6. Dezember

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Mein Rücken schmerzt. Genau wie meine Beine und Arme, da sie aufgrund des harten Trainings in den letzten Tagen vollkommen überfordert sind. Auch wenn ich in den letzten zwei Jahren mich weiterhin täglich gedehnt habe und auch mit dem Joggen begonnen hatte, wurden beim Eiskunstlauf einfach viel zu viele andere Muskelgruppen beansprucht, die ich in den letzen Jahren nicht aktiv trainiert hatte.

„Das war doch schön, nicht wahr?", steigt meine Mutter mit einem Lächeln auf der Beifahrerseite des Autos ein, das wir, leider viel zu weit vom Kinderheim abstellen mussten, sodass wir durch den knöchelhohen Schnee stapfen mussten. Dem Anschein nach hatte der Schneeräumer nicht das Bedürfnis gehabt diesen zu entfernen und die Tatsache, dass ich meine Sneaker angezogen hatte, weil wir den Tag im Inneren des Kinderheimes verbrachten, macht die ganze Sache auch nicht besser.

Vollkommen begeistert empfing meine Mutter Niko und mich gestern Abend, als wir vom Training zurückkamen, da sie die grandiose Idee gehabt hatte, dass wir für die Kinder im Kinderheim Nikolaustüten machen könnten, da der Nikolaus sie angerufen hätte, weil er irgendwie vergessen hatte diese zu organisieren. Demnach hatten meine Mutter, Tante Gab, Niko und ich noch bis vier Uhr morgens im großen Wohnzimmer auf der gemütlichen roten Couch gesessen, kleine Weihnachtsbäume gefaltet und gekaufte Schokonikoläuse gemeinsam mit Orangen, Nüssen und ein paar Dominosteinen in Papiertüten verteilt und alle mit einer großen Schleife versehen. Niko, welchen ich ab Mitternacht nur noch Nikolaus nannte, war gegen zwei Uhr dann verschwunden und hatte uns allein gelassen, auch wenn meine Mutter ihn am liebsten bei uns hätte schlafen lassen und ihm so dankbar für seine, erzwungene, Hilfe war, dass ich dachte sie würde ihn vor Freude abknutschen.

„Meine Socken sind nass", antworte ich ihr, woraufhin sie nur ihre Augen verdreht und sich mit einem Klicken anschnallt. „Und ich bin spät dran."

Blitzschnell dreht sich ihr Kopf in meine Richtung. Spät dran sein findet sie überhaupt nicht gut. „Wofür bist du spät dran?"

„Ich habe eine Verabredung", sage ich sachlich und starte den Motor des kleinen schwarzen Golfs, den meine Mutter schon immer fährt.

„Mit wem?"

Ich lecke mir über meine trockenen Lippen. „Leo."

„Ach." Sie zieht eine Augenbraue hoch und lehnt sich leicht nach vorne, um noch einmal nachzusehen, ob auch niemand hinter unseren Auto steht. Nun verdrehe ich meine Augen und lege den Rückwärtsgang ein. Nie geht sie davon aus, dass ich etwas richtig machen könnte. Nie. Dabei versuche ich es ihr krampfhaft Recht zu machen, auch wenn sie es dem Anschein nach nicht würdigt.

Die Wut kocht in mir hoch und ich drücke mit so einer Wucht auf das Gaspedal, dass wir mit einem Schuss nach hinten losfahren und eine Sekunde später mit einem Knall hinter uns wieder stehen bleiben.

Der Schrei meiner Mutter geht mir durch Mark und Bein und mein ganzer Körper fühlt sich total schwummerig an. Das ist gerade nicht passiert, oder? Bitte nicht.

Meine Mutter ist schon aus dem Auto gesprungen, während ich noch mit den Tränen kämpfend versuche, den Anschnallgurt zu lösen. „Oh Gott", murmele ich und reiße die Tür auf. Das meine Knöchel wieder im Schnee landen und dabei eiskalt werden, ist mir in dem Moment egal, doch als ich nach hinten zu meiner Mutter stolpere sieht sie mich mit einem enttäuschten Gesichtsausdruck an.

„Das Kennzeichen ist zerkratzt", sagt sie trocken und ich ziehe verdutzt mein Handy aus der Tasche.

„Vom Geräusch her, hätte es auch eine Kuh sein können, in die wir reingefahren sind", sage ich leicht ungläubig und bestrahle die Szene mit meiner Taschenlampe. Tatsächlich ist nur das Kennzeichen zerkratzt und der Anhänger, dessen Deichsel eigentlich gar nicht so weit zur Seite hätte raus stehen dürfen, ist glücklicherweise auch nicht beschädigt.

Crystal Christmas - Adventskalender 2020Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt