Tief atme ich die klare Luft ein, lege den Kopf in den Nacken und schließe die Augen. Sanft fallen kleine Schneeflöckchen auf meine Haut und schmelzen in Sekundenschnelle davon.
Es ist noch ziemlich früh und auch noch dämmerig, was mich nicht davon abgehalten hat, aufzustehen, bevor Tante Gab und meine Mutter aufgewacht sind. Dieser Morgen gehört nur mir und ich will nicht, dass die ständigen Fragen meiner Mutter, wie es denn mit dem Training läuft und wann ich Niko nochmal mitbringe, mich jetzt schon aus der Bahn werfen und den ganzen Tag versauen.
Erneut atme ich tief durch und werfe mir dann die Trainingstasche mit meinen Schlittschuhen und zwei Extrajacken über die Schulter. Hoffentlich bin ich früh genug auf dem großen See, sodass nicht allzu viele Menschen da sind, die mich bei meinen Übungen stören könnten. Trotz der aufgehenden Sonnenstrahlen und des fehlenden Windes ist es sehr kalt und ich ziehe meine rote Bommelmütze tiefer in die Stirn, sodass der Rand schon fast meine Augenbrauen verdeckt. Der flauschige Schal, den ich mir halb um den Kopf gewickelt habe, grenzt meine Sicht bis kurz unter meinen Wimpern ein und ich würde es niemandem vergelten, wenn man mich für einen Einbrecher halten würde.
Grinsend über den Gedanken, dass Menschen so etwas von mir denken könnten, biege ich auf den kleinen Weg hinunter zum See ab und blicke auf den spiegelglatten Schwarzeis-See, welcher sich über Kilometer ausstreckt.
„Wow", sage ich leise und mein Atem bildet kleine Wölkchen durch den Schal hindurch.
Der Anblick eines Schwarzeissees ist jedes Mal wieder überwältigend und das Phänomen, wie er entsteht ist für mich ein Wunder der Natur. Die Eisfläche ist durchsichtig, was das Schlittschuhlaufen darauf zu einem besonderen Erlebnis werden lässt und gerne von vielen genutzt wird.
Mit kleinen, vorsichtigen Schritten laufe ich den Hügel zum Ufer hinunter und stelle die schwarze Sporttasche auf einer der Picknickbänke mit integriertem Tisch ab. Meine kurze Skijacke, die ich nur einmal in meinem Leben zum Skifahren genutzt habe, landet direkt daneben, damit ich genug Armfreiheit habe, um mich aufwärmen zu können.
Nachdem ich mehrfach den Hügel hoch und runter gelaufen bin und mit ein paar Übungen meine Fußmuskulatur aufgewärmt habe, dehne ich mich noch kurz, um einer Verletzung vorzubeugen. Vorsichtig ziehe ich den Reißverschluss der Tasche auf und mein Atmen hört sich aufgrund der vollkommenen Stille, unfassbar laut an. Die selbstgemachten Soakers an meinen Schlittschuhen sind mit einer Handbewegung entfernt und ich setze mich neben meine Tasche auf die kalte, beschneite Bank, um sie anzuziehen.
Noch einmal lange ich in meine Sporttasche und hole meinen MP3-Player heraus. Musik lässt mich irgendwie noch mehr Konzentration aufbauen und die Nebengeräusche komplett ausschalten. Zudem hat Niko mir eine Playlist erstellt, die er mit einer Menge weihnachtlicher Lieder gefüllt hatte und mir das Versprechen abnahm, sie beim Training zu hören.
Als ich auf das kristallklare Eis trete und meine Schlittschuhe über das perfekte Eis gleite, schleicht sich ein Lächeln in mein Gesicht. Die Musik spielt in meinen Ohren und die Schnur der Kopfhörer, welche ich extra zwei Mal um meine Ohren gewickelt habe, da sie sonst immer rausrutschen, werfe ich über meine Schulter, sodass sie mich bei meinen Bewegungen nicht stören kann.
Im Takt zu Musik, beginne ich mit ein paar kleineren Runden im Kreis und beginne nach ungefähr zehn Minuten mit etwas anspruchsvolleren Figuren. Das ich den Loop gestern nicht geschafft habe, ärgert mich noch immer, weshalb ich ihn zu Hause den ganzen Abend lang auf meinen rutschigsten Socken erst langsam und im Zeitlupentempo geübt hatte und nun noch einmal probieren möchte.
Der Moment, in welchem ich abhebe, schickt jedes Mal aufs neue ein Glückshormon in meinen Körper. Erdanziehungskraft ausschalten und einfach nach oben fliegen. Früher hatte mich meine Trainerin immer mit einer kleinen Elfe verglichen und meinte, dass es aussehen würde, als würde ich für ein paar Sekunden schweben, doch als ich erneut seitlich über das Eis rutsche, merke ich nichts davon.
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Crystal Christmas - Adventskalender 2020
RomanceWeihnachten zu Hause. Eigentlich könnte es nichts Schöneres geben, wenn die eigene Mutter einen nicht eiskalt für eine Spendengala wieder zurück auf das Eis schicken würde. Genau jenes, auf welchem man vor zwei Jahren einen Unfall hatte und seitdem...