„Beeil dich Callie, wir kommen zu spät", schreit meine Mutter nun schon zum dritten Mal von unten, während ich hastig versuche meine Haare zu trocknen, die ich, zugegebenermaßen, auch hätte früher waschen können.
„Ich komme sofort, Mom", schreie ich zurück und pfeffere die Bürste und den Föhn auf mein Bett. Nach einem kurzen Kontrollblick in den Spiegel, möchte ich am liebsten losweinen, doch da wir wirklich keine Zeit mehr haben, schnappe ich mir nur meine Schminktasche und rutsche dann auf meinen Socken über die dunklen Holzdielen zur Treppe.
„Tante Gab, hast du das Gewand und meine Schuhe?", rufe ich, während ich die Treppen hinunterspringe und meiner Mutter die Tasche mit meinen Schminkutensilien in die Hand drücke, um meine Stiefel, die ich gestern einfach neben die Treppe geworfen hatte, anzuziehen.
Tante Gab erscheint mit einer hochgehaltenen Tasche und sieht mir belustigt dabei zu, wie ich auf einem Socken durch den Flur hüpfe und versuche den Reißverschluss hochzuziehen, welcher heute besonders rumzickt. „Da sollte man meinen, dass du einen Gleichgewichtssinn hast und dann sowas", kichert sie und geht an mir vorbei durch die Tür nach draußen, „ich habe deine Sachen und ich warte im Auto. Da soll nochmal jemand behaupten, dass ich Schuld daran wäre, wenn wir immer spät dran sind."
„Callie, das reicht jetzt. Dann zieh sie halt nur so an. Du wirst sie doch eh gleich durch die anderen Schuhe ersetzen, das ist doch nicht so wichtig", kommt es herrisch von meiner Mutter, die nun auch schon an der Tür steht.
Ich lasse meinen halb geschlossenen Stiefel sinken und gehe zwei Schritte in Richtung der Küche. „Okay, ich muss aber noch kurz-"
„Deine Flasche hat deine Tante. Ich weiß doch wie viel du im Moment trinkst. Eigentlich ist es ein Wunder, dich nicht durchgängig auf der Toilette vorzufinden. Los jetzt."
Kurz gehe ich im Kopf durch, ob ich alles habe, schnappe mir meinen Mantel vom Kleiderhaken und laufe an meiner Mutter vorbei in die Kälte zum Auto. Der Schnee knirscht unter meinen Schuhen und hinterlässt tiefe Abdrücke. „Na toll", schimpfe ich und hebe meinen Fuß samt Stiefel an, aus welchem prompt der Schnee fällt, welcher sich gerade hineingeschmuggelt hat, „ich wusste, dass ich den Reißverschluss hätte hochziehen sollen. Jetzt ist meine Strumpfhose nass."
„Zieh sie halt aus." Meine Mutter öffnet mir die hintere Türe und ich lasse mich auf den Sitz fallen, während sie die Fahrertüre öffnet und sich hinter das Lenkrad setzt. Sofort startet sie den Motor und noch bevor ich angeschnallt bin oder meinen Schuh ausziehen kann, rast sie mit einer Geschwindigkeit, die man von ihr so gar nicht kennt, aus der Ausfahrt.
„Alice. So spät sind wir jetzt auch nicht dran", kreischt Tante Gab und reicht mir meine Schminksachen, welche meine Mutter achtlos auf ihren Schoß geworfen hat, nach hinten.
Schnaubend sieht sie aus der Windschutzscheibe. „Callie. Du siehst absolut verwahrlost aus. Würdest du dich bitte endlich daran machen, dein Erscheinungsbild zu richten?" Ihre Stimme klingt wütend und ich starre sie mit offenem Mund an. Wäre ich nicht ihrer Meinung, würde ich aus Trotz gar nichts mehr machen, doch anstatt was zu sagen, verdrehe ich einfach nur meine Augen und zerre, nachdem ich mich angeschnallt habe, die hautfarbene Strumpfhose von meinen Beinen.
Erleichtert aufatmend, weil ich schlau genug war meine Beine zu rasieren, klappe ich den Spiegel, der genau wegen solcher Situationen an der Kopflehne des Fahrersitzes befestigt ist, herunter. Zum Glück brauche ich für das Wichtigste an Make up nur fünf Minuten und schaffe es sogar, trotz des wahrscheinlich absichtlich ruppigen Fahrstils meiner Mutter, meine Wimpern zu tuschen, was ich sonst nie mache.
Zufrieden blicke ich noch einmal in den Spiegel und drücke meine Locken etwas auseinander, damit sie voluminöser aussehen, bevor ich dieses Mal den Reißverschluss meiner Stiefel komplett hochziehe und gerade rechtzeitig aus dem fertig bin, als meine Mutter auch schon zwischen den ganzen parkenden Autos eine freie Lücke findet.
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Crystal Christmas - Adventskalender 2020
RomanceWeihnachten zu Hause. Eigentlich könnte es nichts Schöneres geben, wenn die eigene Mutter einen nicht eiskalt für eine Spendengala wieder zurück auf das Eis schicken würde. Genau jenes, auf welchem man vor zwei Jahren einen Unfall hatte und seitdem...