„Okay und das machen wir genau so noch einmal", ruft mir Niko zu, während ich mit einer Geschwindigkeit von fast 50 km/h an ihm vorbeirase. Seit zehn Uhr morgens bin ich schon auf dem Eis und außer einer kurzen Toilettenpause habe ich durchgängig trainiert.
Nach den anfänglichen Schwierigkeiten und meiner Angst vor dem Eis, habe ich in den letzten Tagen schnelle Fortschritte gemacht, sodass wir auch wieder in die Eishalle gehen konnten, in welcher wir früher immer trainiert hatten. Zwar habe ich mich noch nicht an die Sprünge und Hebungen herangetraut, jedoch bin ich schon wieder ziemlich schnell unterwegs und kann auch schon wieder eine Pirouette. Anstatt mit mir gemeinsam Figuren einzuüben hat Niko sich entschieden mich erst einmal nur zu trainieren und mir dabei zu helfen wieder eine Bindung zwischen dem Eis aufzubauen.
Niko hat sich eine Choreographie ausgedacht, welche ich früher mühelos hinbekommen hätte, doch aufgrund des Ausfalls an Training, gehe ich nicht davon aus, dass wir alles davon ausführen können.
Keuchend komme ich neben ihm zum stehen und stütze meine Hände auf die Knie. „Kurze Pause bitte."
Schmunzelnd hält Niko mir meine Wasserflasche entgegen. „Du bist aber leicht außer Atem zu bringen".
Eine Augenbraue hochziehend nehme ich einen Schluck des schön kühlen Wassers, welches meine trockene Kehle hinunterrinnt.
„Da antworte ich jetzt erst gar nichts drauf", entgegne ich und verschließe die Flasche wieder, um sie ihm zurückgeben zu können.
„Denken wir jetzt in die eine Richtung oder in die Andere?", kommt es neckisch von ihm, während er sich über die Unterlippe leckt und ich winke mit meinem Du-kannst-mich-mal-Blick ab. Darauf werde ich nicht mehr eingehen.
Niko lehnt sich mit dem Rücken gegen die Bande und da ich es, von der Eisfläche aus, genauso gemacht habe, können wir uns ins Gesicht sehen. „Du glaubst mir gar nicht, wie sehr ich dich vermisst habe, Cal. Unfassbar, dass wir hier jetzt trainieren, als wäre nichts gewesen."
Kurz lache ich auf und sehe in seine dunklen Augen, welche mich ein wenig an einen Teddybären erinnern, so tief und vertrauensvoll kann man sich in ihnen verlieren. „Wenn nichts passiert wäre, würden wir jetzt nicht hier stehen und mich mental darauf vorbereiten, dass wir bei der Kür nicht nur im Kreis fahren."
„Oh girl", seufzt er auf und springt kurz auf der Stelle auf und ab, bevor er auf einmal losgeht und die Tür zur Eisbahn öffnet, „weißt du was wir jetzt machen werden? Wir werden zusammen laufen und dann überwinden wir deine Angst durch direkte Konfrontation. Sei nicht so ein Pessimist."
Mit zwei schnellen Schritten ist er bei mir und zieht mich am linken Arm neben sich in Richtung der Mitte, wobei er sich dreht und rückwärts vor mir herfährt. „Streck dein Bein aus."
Erstaunt über seinen Befehlston strecke ich mein Bein nach vorne aus und lege es in seiner Hand ab. Nur ein paar Schritte weiter, haben wir ein ziemlich hohes Tempo und der Fahrtwind, welcher auftritt, treibt mir die Tränen in die Augen.
Strahlend sehe ich zu Niko, der zwischendurch den Kopf nach hinten dreht, um nicht gegen die Bande zu fahren. Sein Gesichtsausdruck wechselt zwischen ermutigend lächelnd und angestrengt den Wind wegblinzelt.
Mit einem wohligen Gefühl hebe ich meine Arme über den Kopf und lehne mich so weit nach hinten, dass ich das Eis unter mir vorbeirauschen sehe.
„Achtung Callie, du machst jetzt den Loop okay?"
Meine Bauchmuskulatur anspannend, strecke ich mich wieder nach oben und sehe ihn mit einem festen Blick an.
Ein kurzes Nicken und schon lässt er meinen Fuß los, sodass ich an ihm vorbeifahre, mit einer Drehung umdrehe, zwei Schritte laufe und mit dem rechten Fuß abspringe, während ich das linke Knie anhebe. Gerade als ich denke, es wirklich und tatsächlich überstanden zu haben, rutsche ich mit dem rechten Fuß, auf welchem man beim Loop Jump abspringt und auch wieder landet, nach links weg und knalle voll auf die rechte Seite.
Lautes Lachen ertönt von der Bande und ich richte mich wieder ins Sitzen auf. Na super. Die ganze Zeit ist man alleine und dann, wenn man sich so richtig legt, schauen wieder alle zu.
„Callie." Mit einem erschrockenen Gesichtsausdruck fährt Niko auf mich zu und zieht mich an den Händen zurück ins stehen. „Alles gut?"
„Natürlich", sage ich verärgert und klopfe mir den Eisschnee ab, welcher an meiner schwarzen Leggings hängt.
„Oh man", höre ich eine helle Stimme sagen, welche offensichtlich die ist, welche gerade eben noch gelacht hat. Leises Kratzen von Schlittschuhen kommt auf uns zu und noch bevor ich die Person sehe, weiß ich, dass sie nichts Gutes im Schilde führen kann.
„Das ist nicht lustig, Isa." Nikos tiefe Stimme jagt mir einen Schauer über den Rücken.
Als ich aufsehe sehe ich in das Gesicht eines Engels, also eines vermeintlichen Engels, denn als sie den Mund aufmacht, habe ich das Gefühl, dass sie nicht wirklich ein Geschöpf des Himmels sein kann, was auch ihre blonden Locken, die definitiv nicht echt sind, und ihre veilchenblauen Augen nicht besser machen.
„Ich finde es ziemlich lustig. Callie Christiansen, die große Eiskunstläuferin, kann nicht einmal einen Loop fehlerfrei ausführen, ich lache mich kaputt."
Gedanklich verdrehe ich die Augen und stecke mir den Finger in den Hals, um zu demonstrieren, wie nervig ich sie finde, doch im wahren Leben verziehe ich meine beiden Mundwinkel nur zu einem Lächeln. „Du bist also Isa, hallo. Ich bin Callie."
„Das weiß ich schon. Bist ja über die ganze Stadt plakatiert", erwidert sie arrogant und betrachtet mich von oben bis unten mit dem abwertendsten Blick, den ich jemals gesehen habe. Zwar hat sie eine wirklich gute Figur, welche sogar ihr komplett weißes Outfit, das seitlich mit kleinen Glitzersteinchen besetzt ist, nicht versauen kann, doch wenn ich daran denke, dass ich mich selbst wunderschön finde und jemand, den ich nicht kenne, mir das nicht nehmen kann, muss ich leicht auflachen.
„Was genau gibt es daran zu lachen?" Ihre schmalen blonden Augenbrauen ziehen sich nach oben und sie verschränkt ihre Arme vor ihrer etwas üppigeren Brust als meiner.
Ich beiße mir auf die Wangeninnenseiten und sehe zu Niko, welcher sie wütend anstarrt. „Nichts?"
„Gut." Dann verdreht sie die Augen so sehr, dass ich das weiße Sehen kann und leckt sich über ihre blendend weißen Zähne, welche sie mit einem ,im wahrsten Sinne des Wortes, strahlenden Lächeln zeigt, als sie sich Niko zuwendet. „Wie geht es dir Niko? Du hast mich gestern nicht mehr zurückgerufen."
Niko kratzt sich mit der Hand am Hinterkopf. „Ähm, ja das habe ich irgendwie vergessen, sorry."
„Ist ja nicht so schlimm", sagt sie mit einer zuckersüßen Stimme und ich ziehe die Augenbrauen zusammen. Jemanden so unechtes habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Mit einem Wimpernaufschlag schaut sie ihn kokett an und fährt näher an ihn heran, sodass sie ihre linke Hand auf seiner Brust und ihre rechte auf seiner Schulter platzieren kann.
„Oh, mein Gott", flüstere ich lautlos und drehe mich leicht weg, da die Gesamtsituation einfach nur unangenehm ist. Wie kann Niko nur mit ihr zusammen trainieren? Sie wirkt wie ein unausstehliches Wesen, mit welchem ich persönlich nicht gerne viel Zeit verbringen würde.
„Vielleicht sollten wir der da mal zeigen, wie man das richtig macht? Ist ja peinlich, wenn ihr mit so einer Nummer bei der Spendengala auftreten wollt." Abfälliger Blick in meine Richtung. „Ich habe gehört, dass ja sogar das Fernsehen kommen wird."
Niko schüttelt den Kopf und wendet sich ein Stück von ihr ab, was ihre Hand auf seiner Brust nach unten fallen lässt. „Nein Isa, Callie und ich trainieren schon den ganzen Tag und ich glaube, dass es für heute reicht", sagt er mit Nachdruck, „aber das ist ja nur gut für dich, jetzt hast du das Eis wenigstens ganz für dich alleine. Komm Callie, ich spendiere dir noch einen Schokomilchshake. Du hast dich heute echt gut geschlagen."
Sanft fasst er mich am Ellenbogen und schiebt mich vor sich her auf die Bande zu und kurz bevor wir aus der Bandenöffung auf die Matte treten, drehe ich mich noch einmal zu Isa um.
„Es war wirklich toll dich mal getroffen zu habe", versuche ich sie mit der gleichen zuckersüßen Stimme nachzumachen und sehe mit einer Genugtuung, wie ihre pinken Lipglosslippen ungläubig nach unten fallen.
Noch 17 bis Weihnachten
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Crystal Christmas - Adventskalender 2020
RomanceWeihnachten zu Hause. Eigentlich könnte es nichts Schöneres geben, wenn die eigene Mutter einen nicht eiskalt für eine Spendengala wieder zurück auf das Eis schicken würde. Genau jenes, auf welchem man vor zwei Jahren einen Unfall hatte und seitdem...