20. Dezember

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„Also", beginne ich und versuche so die Kinder, welche in einem Kreis vor mir sitzen, etwas ruhiger zu bekommen, „heute werde ich euch die Geschichte „Tischler Andersen und der Julenissen" vorlesen, welche von Alf Prøysen geschrieben wurde. Ihr kennt sie sicherlich, aber da sie eine der beliebtesten Geschichten unseres Landes ist, bin ich mir sicher, dass ihr sie trotzdem gerne hören möchtet." 

Wildes Stimmengewirr bricht aus und ich sehe mich leicht verzweifelt nach Leo um, der sich etwas weiter hinten in eine Ecke gesetzt hatte, damit ich in Ruhe vorlesen konnte, obwohl ich das eigentlich gar nicht wollte. Mit einer Tasse Kaffee in der Hand und das rechte Bein in der beigen Cargohose über das andere gelegt sitzt er dort und betrachtet mich aufmerksam. Seine dunklen Locken sind zu einem leichten Undercut geschnitten und als ich ihn fragte, welcher Friseur ihn denn in den letzten stressigen Tagen vor Weihnachten noch ohne Termin drangenommen hätte, hatte er mich nur mit zusammengezogenen Augenbrauen angesehen, bis mir eingefallen war, dass seine Mom eine Friseuse ist.

Als mein Blick seinen trifft, lächelt er mich auffordernd an. Ich lecke mir kurz über die Unterlippe und sehe dann auf das große Bilderbuch mit der Geschichte hinab.

„Kinder. Wie soll unser Ehrengast euch vorlesen, wenn ihr gar nicht zuhört", schreitet nun die Kinderheimleiterin ein und hält beschwichtigend ihre Hände über die Köpfe der Kinder, welche sofort still werden und mich aufmerksam ansehen. „Okay", nickt sie mir zu und ich schlage die erste Seite auf, nachdem ich ihr ein dankbares Lächeln zugeworfen habe.

Mit Kindern kann ich einfach nicht so gut.

„Es war einmal ein Vater, der hieß Tischler Andersen", beginne ich vorsichtig und mit einem leicht kratzigen Hals, „Er hatte viele Kinder, wie andere Väter auch, und da es gerade der Weihnachtsabend war, schlich er sich leise hinaus. Seine Kinder und Frau Tischler Andersen saßen währenddessen am Tisch und knackten Nüsse.

Er war auf dem Weg zu seinem Holzschuppen, denn dort hing seine Julenissenverkleidung und auf einem Schlitten lag ein großer Sack mit den Weihnachtsgeschenken. Tischler Andersen zog seine Julenissenverkleidung an und zog den Schlitten mit dem Sack darauf auf den Hof hinaus, jedoch war es an diesem Abend sehr glatt, weshalb Tischler Andersen der Länge nach hinfiel – direkt auf den Schlitten und den Sack. Da es in Richtung des Hofweges steil bergab ging, rutschten sie allesamt dorthin, der Sack, der Schlitten und Tischer Andersen. Genau neben dem Weg lief jedoch ein anderer Mann in Julenissenverkleidung und mit einem Schlitten.

„Weg da!" rief Tischler Andersen und versuchte auszuweichen. Doch da er hinter der Julenissenmaske fast nichts sehen konnte, stießen die beiden zusammen und landeten im Graben.

„Entschuldigung", sagte Tischler Andersen.
„Gleichfalls Entschuldigung", sagte der andere.

„Da haben wir ja beide das gleiche vor", sagte Tischler Andersen. „Sie haben sich ja auch als Julenissen verkleidet", sagte er, lachte und streckte seine Hand aus um sich vorzustellen.
„Tischler Andersen."
„Julenissen", sagte der andere und reichte ihm daraufhin seine Hand.

„He, he", sagte Tischler Andersen, „du machst mir Spaß, aber es ist ja schließlich Weihnachtsabend und da hat man es gerne etwas lustig."

„Genau", sagte der andere. „Und wenn du willst, können wir es so machen: Ich gehe zu deinen Kindern und gebe ihnen die Geschenke, und du gehst zu meinen Kindern. Aber dann musst du vorher diese alberne Julenissenverkleidung ausziehen."

„Aber, als was soll ich mich denn dann verkleiden?" sagte Tischler Andersen."

Kurz blicke ich auf und sehe Evie, das kleine Mädchen vom Luciafest, an, die mich gebannt aus der ersten Reihe anstarrt. Ihre blonden Haare sind zu Zöpfchen geflochten, die rechts und links an ihren Schultern herunterhängen und ihre großen Augen blicken mich so an, als könnte sie mir ewig zuhören.

Crystal Christmas - Adventskalender 2020Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt