5. Dezember

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„Reichst du mir mal bitte die Lichterkette?", rufe ich Tante Gab von der Leiter aus zu, während ich mit dem Tacker in der Hand auf einer der obersten Sprossen stehe. Auch wenn ich mich eigentlich dazu entschlossen hatte, sie und meine Mutter mit Schweigen zu strafen und beiden soweit aus dem Weg zu gehen, wie es nur geht, hatte ich mich am Morgen dazu durchgerungen ihnen bei der Dekoration des Hauses zu helfen.

Der Schnee glitzert in der wärmenden Sonne und von hier oben kann ich den ganzen Garten überblicken, in dem ich früher den größten Teil meiner Freizeit, neben der Eisfläche natürlich, verbracht habe. Die großen Tannen dienten immer als gutes Versteck vor meiner Mutter, wenn sie mich dazu überreden wollte, meine Hausaufgaben zu erledigen, auf welche ich keine Lust hatte und im Sommer spannten wir drei Hängematten zwischen den Bäumen auf, sodass wir uns vor der hitzigen Sonne schützen und über den Tag austauschen konnten. Im Winter bauten meine Freunde und ich dann Iglus und Schneemänner, veranstalteten Schneeballschlachten und tranken heißen Kakao, der unsere kalten Finger wärmte.

Tief atme ich die klare, kalte Luft ein und sehe hinunter zu meiner Mutter, welche mit einem vollkommen verknoteten Ball aus Lichterketten aus dem Haus tritt und ihn meiner Tante entgegenwirft.

„Also die habe ich letztes Jahr nicht weggeräumt", empört sie sich, „das kannst du jetzt versuchen auseinander zu bekommen."

Kichernd halte ich mich an der Dachrinne fest, um nicht von der, nur halbwegs sicher an die Wand gelehnten, Leiter, zu fallen. Meiner Mutter wäre solch ein Fauxpas nicht passiert, da sie schon immer eine totale Ordnungsfanatikerin ist, die am liebsten vier Mal am Tag das ganze Haus aufräumen würde, nur damit alles perfekt aussieht, falls mal jemand zufällig und unangekündigt vorbeikommen könnte. Früher fragte ich mich, wo genau eigentlich ihr Problem lag, da meine Freunde, also Niko oder Leonardo, absolut kein Interesse daran hatten, wie unser Haus aussah und, ob ein Staubkörnchen hinter der Kaffeemaschine lag. Tante Gab erklärte mir dann, dass sie nicht wolle, dass andere Mütter denken würden, dass sie als alleinerziehende Mutter, welche auch noch arbeiten geht, sich nicht auch um die Sauberkeit des Hauses kümmern könnte und deshalb durchgängig dafür sorgte, dass es perfekt aussah.

„Es ist ziemlich kalt hier oben, soll ich dir mit den Lichtern helfen, Tante Gab?"

„Nein, nein. Ich mache das schon", ruft sie mir zu und ich höre sie leise vor sich her schimpfen, während ich noch immer oben auf der Leiter stehe.

Trotz meiner warmen Handschuhe und der dicken Schuhe werden meine Finger und Zehen immer kälter, weshalb ich damit beginne die Leitersprossen runter und wieder hoch zu klettern. Gerade als ich auf der zweituntersten Stufe angekommen bin, ruft jemand „Callie Christiansen" und im nächsten Moment rutsche ich auch schon aus. Ich kneife meine Augen zusammen und bereite mich innerlich schon auf den nächsten Krankenhausbesuch vor, als ich von niemand geringerem als Niko, festgehalten werde.

„Huch", ist das einzige, was er sagt, weshalb ich sofort in ein Lachen ausbreche.

„Huch? Du sagst das so, als wäre ich gerade vom Himmel gefallen und du hättest das ganz zufällig mitbekommen."

Niko drückt mich wieder zurück auf die Leiter, deren letzten beiden Sprossen ich sofort runterklettere.

„So ähnlich war es ja auch", lacht er mich an und rückt seine Baumwollmütze wieder gerade, „aber der Retter in der Not, das bin ich, war ja zur rechten Zeit am rechten Ort."

Grinsend drücke ich ihm mit dem Finger gegen die Brust. „Du bist ja auch schuld daran, dass ich ausgerutscht bin. Aber ja. Du bist ein Held."

„Dafür habe ich dir etwas mitgebracht", sagt er und hält mir ein Paket entgegen. Dieses Mal ist es nicht von mir."

Crystal Christmas - Adventskalender 2020Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt