Ich entschloss mich dazu, ihm privat zu antworten. Ich wollte ihm auf jeden Fall eine Antwort zukommen lassen. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es in etwa sechs Uhr morgens war. Ich gähnte ausgiebig und klappte meinen Laptop für einen Moment lang zu. Ich spürte, dass ich vor Müdigkeit und Erschöpfung am ganzen Körper zitterte wie ein Drogenabhängiger während eines Entzugs.
Ein weiteres Gähnen drängte sich aus meinem Rachen, begleitet von einem übermüdeten Seufzen. Für mich stand zumindest fest, dass ich ihm jetzt nicht würde antworten können. Ich wollte ihm überlegt antworten und genau darüber nachdenken, was ich schreiben wollte. Eine vernünftige Antwort hatte er verdient.
Ich schob mir meinen Laptop vom Schoß und schlurfte in mein viel zu kleines Badezimmer. Für mich allein war es groß genug, aber würde ich mit irgendwem zusammenleben? Einem Freund, einer Frau oder einem Kollegen? Nein, das ginge auf gar keinen Fall.
Ich stützte mich am Rand des Waschbeckens ab und betrachtete mein Spiegelbild. Die Augen bläulich unterlaufen, das blonde Haar in der Stirn - ich kam zu dem Schluss, dass man mir meine Müdigkeit deutlich ansehen konnte.
Ein neuerliches Seufzen verließ meine Brust. Mein Kopf fühlte sich an, als hätte ich ihn mehrmals gegen die Wand geschlagen. Irgendetwas in mir hatte tatsächlich das Verlangen danach - was hatte ich schließlich auf dieser Welt verloren? Mein Leben hatte ich verspielt, meine zwei Jobs brachten mir zusammen gerade einmal achthundert Pfund im Monat ein, was jedes Mal für Miete, Lebensmittel, Versicherungen und Rechnungen reichen musste. Wie ich das schaffte, wusste ich oft nicht. Ich schränkte mich sehr ein, aß nur so viel wie nötig und unter Umständen sogar noch weniger. Beim täglichen Duschen beeilte ich mich immer so übertrieben, dass das Shampoo danach teilweise trocken in meinem Haar klebte.
Meine Wangen waren rot. Nicht gerötet, sondern rot. Das kam vermutlich von der stundenlangen Arbeit hinter der Bar, die meistens erst um fünf Uhr morgen endete - die Stunden davor hatte ich damit verbracht, auf die Kinder eines reichen Ehepaars aufzupassen. Oft hatte ich das Gefühl, dass diese beiden Menschen mich zutiefst verachteten.
Sieh ihn dir an, er hat noch nicht einmal genug Geld, um sich eine ordentliche Wohnung leisten zu können.
Nein, stattdessen lebte er in einer Großwohnsiedlung mitten in London, in der nichts geheim blieb, was man geheim halten wollte. Man sollte es besser gar nicht erst versuchen, denn am Ende erfuhr ohnehin jeder davon. Ich konnte mich an eine Jugendliche erinnern, die sich regelmäßig in ihrer Wohnung prostituiert hatte, weil sie Probleme damit hatte, die Miete zu bezahlen - man hat sie rausgeworfen, als das herauskam.
Ich fuhr mir durch das blonde Haar, putzte mir die Zähne und zog mich um. Schließlich legte ich mich ins Bett, mit dem Gestank nach Alkohol und Zigaretten noch immer an meiner Kleidung.
Der nächste Morgen begann für mich genauso früh, wie der andere geendet hatte. Genau genommen hatte ich vier Stunden lang schlafen können, danach musste ich mich wieder dem Kampf des Tages stellen, nach dessen Sinn ich jeden Morgen auf's Neue suchte. Finden konnte ich ihn allerdings nicht.
Während ich mich zum Frühstück mit einem kleinen Apfel zufrieden geben musste, klappte ich meinen Laptop auf und warf einen erwartungsvollen Blick auf den Posteingang. Dort befand sich noch immer Liam's Mail, auf die ich eigentlich vorgehabt hatte, zu antworten. Aber wirklich Zeit hatte ich in diesem Moment nicht, denn ich musste in genau einer halben Stunde bei den Dawsons sein, und mit der U-Bahn würde die Zeit gerade reichen.
Ich würde ihm heute Abend nach der Arbeit in der Bar antworten. Währenddessen konnte ich mir ja überlegen, was genau ich ihm schreiben würde.
Die Arbeit in der Bar begann um Punkt acht Uhr abends - in einer Stunde begann das richtige Nachtleben, und solange musste ich noch Einiges vorbereiten. Genug Getränke hinter die Bar schaffen, Cocktailgläser holen und die Geschirrspülmaschine ausräumen, damit ich auch genug Geschirr zur Verfügung hatte. Ich atmete hörbar aus. Ich hatte absolut keine Lust, hier zu sein. Ich war müde von der langen Arbeit bei den Dawsons und wusste dabei ganz genau, dass ich die nächsten neun Stunden auch hier verbringen würde.
Ich hatte gelernt, meine seelischen und körperlichen Defizite zu verstecken. Hatte ich irgendeine Wahl? Ich wollte nicht, dass man mich hier auch noch rauswarf, mit der Begründung, ich sei ein inkompetenter Nichtsnutz, der sein seelisches Tief als Entschuldigung für seine Schlampigkeit benutzte. So wollte ich nie wieder beschimpft werden.
Gegen neun betraten die ersten Gäste die Bar. Sie bestellten jede Menge hochprozentiges Zeug, dabei war der Abend noch sehr jung. Ich persönlich hob mir das immer für den Schluss auf, um nicht nach einer Stunde hoffnungslos betrunken in der Ecke zu liegen und nicht mehr zu wissen, wo ich war.
Ich konnte mich an eine Trennung erinnern, die ich hinter mir hatte. Ich hatte mir geschworen so lange zu trinken, bis ich Emma's Namen endlich vergaß - aber das Ganze hatte damit geendet, dass ich meinen eigenen zuerst vergessen hatte.
Das kleine Pub war schon nach nur einer Stunde gänzlich überfüllt. Ich fragte mich, was so toll an dieser Kneipe war, dass man so dringend hier her kommen musste. Vor allem war der Großteil der Gäste in etwa so alt wie ich - an ihrer Stelle würde ich mir irgendeinen Club suchen, und keine Absteige wie diese hier. Wenn ich Geld hätte. Wenn ich Geld hätte, würde ich das tun.
Trotzdem stand jetzt ein Mann vor mir, den ich auf Mitte Vierzig schätzte, obwohl er genauso gut hätte älter oder jünger sein können. Vielleicht hatte der Alkohol sein äußerliches Alter nur weit nach oben getrieben - ich kannte den Mann nämlich. Sein Name war Joe, und er war immer bereits betrunken, wenn er hier ankam.
Er bestellte ein Bier, das ich ihm gegen den entsprechenden Preis entgegenhielt. Eine Weile musterte er mich, als würde er etwas sagen wollen. Ich zog beide Augenbrauen nach oben und wollte wissen, weshalb er mich so seltsam ansah.
„Du bist einundzwanzig, Niall", sagte er schließlich, und ich nickte. „Warum verschwendest du deine Jugend in einem solch dreckigen Loch?"
Schulterzuckend machte ich mir selbst ein Bier auf. „Manchmal laufen die Dinge eben nicht so, wie man sie sich wünscht."
Nach meiner Schicht, die exakt um fünf Uhr morgens endete, fuhr ich mit der U-Bahn zurück nach Hause. Ich störte mich längst nicht mehr daran, dass die Menschen in den Zügen Abstand zu mir nahmen, weil ich nach Bier und miefiger Zigarettenluft stank.
Als ich in der Großwohnsiedlung ankam, in der ich lebte, schleppte ich mich die Treppen nach oben und zog benommen vor Müdigkeit meinen Schlüssel hervor. Seit Stunden konnte ich an nichts anderes mehr denken, als an Liam - ich wollte ihm endlich antworten. Vermutlich dachte er schon, das würde ich nie tun. Ich wollte ihn keine Sekunde länger warten lassen.
So klemmte ich mich entschlossen hinter meinen Laptop und begann, die ersten Zeilen zu tippen:
Du ahnst gar nicht, wie sehr ich mich über deine Mail gefreut habe...
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Tumblr. (Niam AU)
FanficNiall und Liam kennen sich eigentlich gar nicht. Der einzige Kontakt besteht vorerst über Tumblr, einer Website, die schon vielen Menschen geholfen hat - für manche aber das genaue Gegenteil bedeutet. Nach einiger Zeit ist ihr Vertrauen so weit gewa...