ღ 12« ιт ηєνєя єη∂ѕ ღ

1.2K 130 1
                                    

Damals


In dieser Situation gibt es nichts mehr, was ich sagen könnte. Alles, was ich sagen kann ist, dass ich nicht weiß, wie es weitergehen soll.


Er öffnet das Fenster, greift nach seinem Feuerzeug und führt es langsam zu der Zigarette, die er sich eben in den Mund gesteckt hat. Das Nikotin verbrennt seine Atemwege, aber er hustet nicht. Er schließt seine erschöpften Augen und spürt tief in das Gefühl hinein.

Er nimmt einen weiteren Zug. Der Rauch kommt qualmend aus seinen Lungen zurück und vernebelt seine Sicht.

Es ist erst zwei Wochen her.

Vierzehn Tage.

Dreihundertsechsunddreißig Stunden.

Zwanzigtausendeinhundertsechzig Minuten.

Er spürt, dass ein neuerlicher Zug aus seiner Zigarette seine Atemwege Feuer fangen lässt. Husten muss er noch immer nicht.

Zu diesem Zeitpunkt ist er gerade einmal sechzehn Jahre alt. Er steht kurz vor dem Schulabschluss, von dem er ganz genau weiß, dass er grottenschlecht ausfallen wird. Mit einer solchen Last auf den Schultern fällt es ihm schwer, sich mathematische Rechenwege, Vokabeln oder rhetorische Stilmittel zu merken.

Augen wie der Zusammenprall von zwei Autos. Er wusste, dass er nicht hinsehen sollte, aber er konnte sich nicht wegdrehen.


Langsam wird ihm klar, dass nichts mehr ist, wie es war. Während er am Fenster steht, und das Gefühl hat, sein Leben eigentlich schon hinter sich zu haben. Dabei weiß er gar nicht, was noch auf ihn zukommen würde.

Leichter Schwindel überkommt ihn, als er seine Zigarette in den Aschenbecher fallen lässt. Ohne zu zögern greift er nach der Schachtel und beschließt, seinen Nikotinhaushalt ordentlich zu füllen. Er braucht das jetzt. Er muss seine Gefühle irgendwie benebeln, ganz egal, wie er das anstellen sollte.

Dabei ist er erst sechzehn Jahre alt. Sechzehn.

Ein zartes Alter für einen so tief verzweifelten Menschen.


Heute


Liam


Obwohl ich mich in den letzten Monaten zunehmend gefragt hatte, weshalb um alles in der Welt ich mir ein Studium in Mathematik und Chemie überhaupt antat - wer glaubt, dass man dort etwas lernt, das man im Lehramt tatsächlich gebrauchen kann, täuscht sich gewaltig -, war mir das in den letzten Tagen doch erstaunlich leicht gefallen.

Diese Melancholie, die sich in den letzten Wochen schleichend über meine Stimmung gelegt hatte, war plötzlich verschwunden. Zumindest kam es mir so vor. Sie war weggeschmolzen, als hätte sie nie existiert. Und ich fühlte mich wieder freier.

Noch nicht einmal die zahlreichen Vorlesung über trockene Mathematik machten mir etwas aus. Dabei hasste ich das Ganze eigentlich viel mehr, als ich zugeben wollte.

Mir war klar, dass das mit irgendeinem Ereignis in den letzten Tagen zusammenhängen musste. Da ich aber nicht viel unternommen hatte, gab es nicht allzu viele Möglichkeiten. Mein völlig betrunkener Zimmerkollege konnte mit Sicherheit nicht für meine gehobene Stimmung gesorgt haben, die Party davor genauso wenig. Also blieb nur noch das Telefonat mit Niall, während dem ich realisiert hatte, dass er eigentlich viel unsicherer war, als man von einem vermeintlich erfolgreichen Menschen erwartete.

Auf mich hatte er einen sehr in sich gekehrten Eindruck gemacht. Dabei wusste ich ganz genau, dass er eigentlich nur versuchte, seinen Alltag zu stemmen. Und dass dieser daraus bestand, kleine Kinder zu beaufsichtigen und in einer Kneipe Bier und Schnaps auszuschenken, hätte ich im Leben nicht erwartet.

Er hatte auf mich einen so erfolgreichen Eindruck gemacht. Dabei hatte er sein ganzes Leben lang nur an den Folgen dessen gelitten, was ihm als Jugendlicher widerfahren war. Und obwohl ich ganz genau wusste, dass ich es nicht konnte, machte ich es mir zur Aufgabe, genau das zu ändern.


Niall


Das Gespräch mit Liam hatte mir neue Motivation beschafft, auch wenn er nichts getan hatte, abgesehen davon, mir zu zu hören. Aber selbst das, hatte ich seit Jahren nicht mehr erlebt. Niemand hatte sich darum geschert, ob ich mich gut fühlte oder nicht. Niemand hatte sich darum geschert, weshalb mein Leben so aussah, wie es eben aussah. Weshalb ich nicht studierte oder einen ordentlichen Job ausübte.

Ich konnte es einfach nicht.

Und dieser Mensch hatte sich dafür interessiert.

Das hatte ich seit Jahren nicht mehr erlebt. Die Letzten, die das getan hatten, waren meine Eltern gewesen. Aber meine Eltern waren tot.

Liam hatte mir am Ende des Gespräches seine Telefonnummer hinterlassen. Nur für den Fall, dass ich etwas auf dem Herzen hatte, über das ich sprechen wollte.

Selbstverständlich gingen mir diese Zahlen durch den Kopf. Ich starrte so lange auf den Zettel, auf dem ich sie mir notiert hatte, bis ich sie auswendig konnte. Vorwärts, rückwärts, durcheinander. Was auch immer.

Ich dachte, dass ich zu viel dachte. Und das Problem dabei war, dass ich es noch nicht einmal bemerkte.

Ein tiefes Seufzen drängte sich aus meiner schweren Brust. Ich wollte ihn nicht bei Dingen stören, die wichtiger waren, als ein x-Beliebiger Versager, der etwas auf dem Herzen hatte. Vielleicht lernte er für die Uni - vielleicht war er auch gerade in der Uni. Die Zeit in Australien war schließlich eine Andere. Ich wusste nur, dass die Nacht sich in etwa mit der Unseren überschnitt.

Und alles, was ich in diesem Moment sagen konnte war, dass ich meinem Inneren lange nicht mehr so nah gewesen war.

Tumblr. (Niam AU)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt