Kapitel 14

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Ich schloss den Deckel meines vollgestopften Koffers, weshalb nun der handbreite Schlitz zwischen dem oberen und unteren Teil deutlich wurde. Ich musste meine Klamotten im unteren Teil eindeutig zusammenquetschen, damit ich ihn richtig zubekam. Mein Blick glitt zu Antiope, welche mich neugierig von dem Bett aus beobachtete.
„Würdest du dich auf den Koffer setzen, damit ich ihn schließen kann?", fragte ich den kleinen Hund, welcher sofort meiner Bitte nachkam. Mit einem Satz saß sie auf meinem Gepäck, weshalb meine Kleidung zusammengedrückt wurde und ich den Reißverschluss problemlos schließen konnte.
„Vielen Dank." Ich tätschelte meinem Haustier kurz den Kopf, weshalb er glücklich bellte. Von der Tür aus hörte ich das leise, bellende Lachen meines Vaters, weshalb mein Blick dorthin glitt.
„Was ist so lustig?", fragte ich den Mann, welcher mit seinem Koffer in der Tür stand und von dort aus mich und mein Haustier beobachtete. Bisher war mir noch nicht aufgefallen, dass momentan etwas Lustiges in diesem Raum passieren würde.
„Man merkt, du und Kira seid die Töchter von Carolin. Überall helfen die Haustiere beim Kofferpacken. Areion hat auch schon auf dem von Kira gesessen, damit sie ihn schließen kann und Bubble hat Carolin immer Sachen gebracht, die noch eingepackt werden müssen", berichtete mein Vater sichtlich amüsiert. Ich biss mir auf die Unterlippe. War es jetzt wieder gut, dass ich mit meinem Hund so umging, oder war es etwas, was er eigentlich ziemlich affig fand?
„Die anderen warten schon unten auf uns. Seid ihr beiden fertig?", fragte mich mein Vater, während er meinen Koffer nahm. Ich sah mich zur Sicherheit noch einmal im Zimmer um, doch ich sah nichts, was wir hatten liegen lassen.
„Wir sind fertig", gab ich schließlich zu, während Antiope noch einmal durchs Zimmer schnüffelte. Der Hund schien noch etwas gründlicher bei Nachsehen zu sein, als ich es war.
„Falls doch etwas liegen geblieben ist, wird es uns jemand hinterherschicken. Jetzt komm. Frédéric und seine Familie warten bestimmt schon auf uns. Auch wenn ich noch nicht weiß, was ich davon halten soll, dass du dort mit Susanne in einem Zimmer schlafen sollst. Nicht dass sie dir in der Nacht die Kehle durchschneidet." Kurz blitzte wirklich Sorgen in den Augen meines Vaters auf, bevor er den Kopf schüttelte und damit wohl den unangenehmen Gedanken vertrieb, jedenfalls hatte er danach wieder das breite glückliche Lächeln auf dem Gesicht, welches ich so gerne an ihm sah.

Das Haus, indem ich von nun an leben würde, war ein typisches schottisches Cottage. An den hellen Steinwänden rankte sich der Efeu die zwei Stockwerke bis zum dunklen Dach herauf. Die Fenster waren allerdings frei geblieben, sodass die Sonne weiterhin ins Innere des kleinen Gemäuers kommen konnte.
Die Wiese, welche das Haus umgab, war schön bunt. Überall wuchsen Löwenzahn, Gänseblümchen und andere Blumen in ihr. Links hinter dem Haus konnte ich sogar ein paar Apfelbäume erkennen.
Ein Feldweg führte von einer Scheune, die ungefähr halb so groß wie das Wohnhaus war von dem Grundstück weg. Wann er auf eine richtige Straße traf, konnte man allerdings nicht erkennen, sondern nur die wilde Wiese, die am Horizont schließlich durch Felder ersetzt wurden.
Ein wenig erwartete ich, dass sich gleich herausstellte, dass wir hier am falschen Ort waren. Ich wartete darauf, dass die Haustür geöffnet wurde und eine kleine glückliche Familie, bestehend aus Mutter, Vater, zwei Kinder, zwei Hunden und drei Katzen, herauskam. Eine Familie, die noch nie auch nur eine schreckliche Sache erlebt hatte. Ein solches kleines hübsches Haus gehört zu einer solchen Familie.
Marlon schien es allerdings ganz anders zu sehen. Er steuerte zielsicher auf das Gebäude zu und auch Sirius folgte ihm, ohne zu zögern. Ich allerdings blieb erstmal stehen, um das zweistöckige Cottage zu mustern.
„Gefällt dir dein neues zu Hause?", fragte mich Remus, welcher uns mit Samuel begleitet hatte, um Kira und Marianne beim Bahnhof abzuliefern. Ich gab ein zustimmendes Brummen und leichtes Nicken von mir, weshalb mein ehemaliger Lehrer breit grinste.
„Na dann geh schon rein." Ich wurde leicht angeschoben, damit ich mich in Bewegung setzte. Genau in diesem Moment drehte sich auch Sirius zu uns um.
„Ich weiß, wir haben früh morgens, Welpe, aber schlaf nicht im stehen ein", rief mein Vater mir zu. Automatisch beschleunigte ich meine Schritte, um zu ihn aufzuschließen. Kaum war ich bei ihm, wurde mir schon schützend ein Arm um die Schultern gelegt und ein Kuss auf die Stirn gedrückt.
Wir hatten fast die Haustür erreicht, da wurde diese auch schon von innen geöffnet. Im Türrahmen kam Vivienne zum Vorschein, welche uns breit grinsend ansah.
„Maman, was machst du denn hier?", fragte Marlon sie verwirrt. Offensichtlich war es nicht abgemacht gewesen, dass seine Mutter heute hier auftauchte. Der Französin machte die Verwirrung allerdings nichts aus. Sie kam ihrem Adoptivsohn entgegengelaufen, zog ihn in eine Umarmung und murmelte etwas auf französisch zu ihm. Die genauen Worte konnte ich allerdings nicht verstehen. Den roten Wangen meines Onkels nach zu urteilen, war es allerdings etwas, wofür er sich mittlerweile viel zu alt fühlte.
Nachdem mein Onkel anständig von seiner Mutter begrüßt wurde, kam mein Vater an die Reihe. Er wurde mit einer Armlänge abstand gemustert, bevor er in eine mütterliche Umarmung gezogen wurde.
„Es ist schön, dich zu sehen, Sirius. Du siehst wieder wesentlich gesünder aus, als noch nach deinem Ausbruch. Ist bei dir alles in Ordnung? Du weißt, du kannst jederzeit zu uns nach Frankreich kommen." Meinem Vater wurde liebevoll die Wange getätschelt.
„Vivienne, danke, dass ihr auf meinen kleinen Welpen aufpasst", flüsterte der Flüchtige zurück. Sein Blick glitt mal wieder zu mir, weshalb ich all die Liebe darin mal wieder erkennen konnte.
„Das machen wir doch gerne. Chiot und du, ihr habt bei uns immer einen Platz, auch wenn es für dich leider zu gefährlich ist, als Mensch bei uns zu wohnen. Bei uns ist definitiv zu oft Besuch für dich. Aber wir tun alles, um deine Unschuld zu beweisen. Wirklich alles. Wenn wir noch etwas für dich tun können, sag mir Bescheid."
„Ihr habt schon alles getan. Ich kann bei meinem kleinen Welpen bleiben und mich um ihn kümmern. Ich kann ihr Vater sein. Das reicht mir." Vivienne löste sich von meinem Vater und sah stattdessen zu mir herüber. Sie streckte ihre Arme nach mir aus, sodass ich mich von ihr umarmen lassen konnte, wie auch Sirius und Marlon vor mir. Etwas zögerlich kam ich der stummen Aufforderung nach.
„Chiot, du siehst auch sehr zufrieden aus. Freust du dich auch darüber, dass Sirius nun bei dir bleiben kann?", wurde ich auf französisch gefragt. Ich nickte wild.
„Er will mein Vater sein", berichtete ich stolz. Marlons Mutter fing sofort an zu grinsen.
„Das überrascht mich nicht, das wollte er auch schon lange vor deiner Geburt. Bist du dir denn sicher, dass du dir mit Sue, Roux und Ari ein Zimmer teilen willst? In Frankreich hatte ich das Gefühl, du würdest die Zeit allein in deinem Zimmer brauchen. Ich weiß, Marlon hat es mit dir besprochen, aber ich mache mir trotzdem ein wenig Sorgen, dass du dich damit übernimmst." Ich wurde besorgt gemustert.
„Ich kann mich in Sirius oder Marlons Zimmer verstecken. Außerdem gewöhne ich mich langsam an – na ja, an das hier." Ich machte eine ausladende Geste. Gerade wusste ich nicht, wie ich die Situation hier benennen sollte.
„An Familie. Du gewöhnst dich langsam daran, in einem familiären Umfeld zu leben. Thema Familie, deine Cousinen warten schon sehr ungeduldig auf dich. Und Kira und Mary müssen bald los, um ihren Zug zu erwischen. Sie sollten dort dringend ein wenig schlafen. Das sollten alle. Man sieht euch den Jetlag an. Hast du ein Glück, dass dich Schlafmangel erst später beeinträchtigt. Augenringe sind nicht hübsch. Und es wird dir gegen Sues Anschlag helfen, der mit Sicherheit gleich folgen wird. Wir sind seit einer Stunde hier und sie plant ihn seitdem." Vivienne ließ mich los und schob mich in Richtung Eingangstür, während meine Hand automatisch in Richtung meines Messers glitt.
Von innen war das Cottage genauso gemütlich, wie es von außen wirkte. Wenn man hereinkam, stand man in einem kleinen rechteckigen Flur, in welchem schon ein Haufen Schuhe standen und an der Garderobe hingen schon die ersten Jacken. Rechts neben der Haustür führte eine hölzerne Wendeltreppe in das obere Stockwerk, während links ein kleines Gäste-WC lag.
Durch einen Türbogen gegenüber von der Haustür kam man weiter in den offenen Wohnbereich des Hauses. Rechts stand eine Sofalandschaft, auf der es sich Arienne und Roux mit Büchern gemütlich gemacht hatten. Auf der linken Seite befand sich die Küche, welche aus einer J-förmigen Arbeitsfläche mit Unterbauschränken bestand. Die Arbeitsplatte zog sich die gesamte linke Außenwand entlang, dann weiter an der Wand zum WC und zog als Theke mit vier Barhockern dran die Grenze zum Wohnbereich.
Der Essbereich des Hauses befand sich in einem Wintergarten, welcher ungefähr so breit war, wie zwei Drittel der hinteren Außenwand. Dort stand schon ein Esstisch, an dem wir gerade mit den acht Leuten, die hier nun lebten, Platz fanden. Besuch zum Essen war definitiv nicht möglich.
„Patricia!" Kaum hatte ich die Wohnküche betreten, da hatte Roux ihr Buch auch schon bei Seite gelegt und das Mädchen war mir um den Hals gefallen.
„Wie geht es dir? Hat dir Amerika gefallen? Erzähl uns alles." Ich wurde zur Sofalandschaft geschoben, wo ich neben Arienne platziert wurde.
„Jetzt wünscht sich unsere Patricia sofort wieder nach Frankreich, wo sie sich in ihrem Zimmer vor dir verstecken könnte. Lass sie erstmal ankommen. Sue hat sie noch gar nicht begrüßt. Dann muss sie nicht alles zweimal erzählen. Sue jetzt begrüß Patricia endlich und schleich dich nicht von hinten an uns heran. Sie gibt dir eh eins auf den Deckel."
„Ich würde sie doch nie anfallen. Was denkt ihr denn von mir?" Susanne umarmte mich von hinten und drückte mir einen Kuss auf die rechte Wange.
„Sie ist doch unsere Lieblingscousine. Und unsere kleine Kriegsnymphe noch dazu. Ich behandle sie so, wie es angemessen ist." Mir wurde von der Gleichaltrigen zugezwinkert, weshalb ich lachen musste. So wie es angemessen war, nannte Sue das also.
„Angemessen? Als du dachtest, sie wäre als Kriegsnymphe vollkommen ungeeignet, hast du sie links liegen gelassen, und seitdem du denkst, du kannst sie doch zu einer zweiten Otrere erziehen, tust du alles, um dein Ziel zu erreichen. Das nenne ich nicht angemessen", teilte Arienne der Braunhaarigen mit, welche nur desinteressiert die Schulter zuckte.
„Das ist sehr angemessen. Eine hoffnungslose Kriegsnymphe brauchen wir nicht, aber dich kriegen wir langsam hin. Noch ein bisschen hier –" Mir wurde in die linke Seite gepikst. „– und da –" Dieses Mal war es die Rechte. „Dann haben wir eine anständige Kriegsnymphe und dann machen wir hier –" Linke Seite. „– und da –" wieder rechts. „Weiter und schon habe ich eine kleine perfekte Kriegsnymphe. Unsere neue großere Otrere." Mir wurde weiter in die Seiten gepikst.
„Ich will aber nicht hier und da gepikst werden. Das nervt mich." Ich fing die Finger rechts ab, weshalb Sue allerdings erst richtig in Fahrt kam. Sie begann mir nur noch schneller in die Seite zu piksen und als ich anfing, ihre Hände abzuwehren, umging sie diese einfach. Schließlich wurde es mir zu bunt. Ich riss an dem Arm des Mädchens, welches im hohen Bogen auf den Couchtisch flog. Ein lautes Rumps war beim Aufprall auf den Tisch zu hören und ein weiteres als dieser unter meiner nervigen Cousine zusammenbrach.
„Siehst, du Patricia, so setzt sich eine richtige Kriegsnymphe zu Wehr! Lass..." Der restliche Satz war nur noch unverständliches Gebrabbel, weil Arienne der Perfektionistin mit ihrer Verse den Mund stopfte.
„Ich verbessere Roux, ich überlege mir, ebenfalls wieder nach Frankreich zu fahren, wo ich in meinem Zimmer Ruhe vor dir und deinem Perfektionismus habe, Sue. Unsere kleine Rona muss keine zweite Otrere sein. Eine hat der Welt vollkommen gereicht. Jetzt brauchen wir offensichtlich eine Rona, sonst hätten wir sie nicht." Die Perfektionistin befreite sich von dem Fuß in ihrem Mund.
„Und ihr hättet mich nicht, wenn ihr nicht eine antreibende Kraft benötigen würdet, die euch dazu bringt, eure eigenen Grenzen zu überschreiten, so wie es Antheia bei Otrere getan. Ich bin Patricias Antheia. Oh ja, das bin ich." Auf Sues Gesicht machte sich ein sehr zufriedener Ausdruck breit. Ihr schien der Gedanke wirklich zu gefallen, ganz anders als mir.
„Ich will aber nicht, dass du dich für mich opferst. Können wir den Teil bitte weglassen, wenn ich schon Otrere sein soll und du Antheia." Ich sah hilfesuchend zu den beiden Mädchen links und rechts von mir, doch diese schienen den Gedanken daran, dass sich Sue so sehr mit der ehemaligen rechten Hand der Amazonenkönigin identifizierte, nicht wirklich zu stören. Obwohl rechte Hand der Amazonenkönigin war eigentlich falsch, schließlich hatte die Frau gerade einmal einen Tag unter Otrere als Königin gelebt.
„Du siehst es ganz falsch, Antheia hat sich nicht geopfert. Sie hat Otrere die Aufgaben abgenommen, die sie selber nicht Stämmen konnte. Dazu gehörte es nun einmal ein Selbstmordkommando anzuführen. Otrere war zu wichtig zum Sterben, sie musste noch Ares Nymphe werden und ein Kind kriegen. Und das werde ich auch, dir die Aufgaben abnehmen, die nichts für dich sind. Zum Beispiel dich zu einer guten Kriegsnymphe zu machen und ein Selbstmordkommando lasse ich dich auch nicht anführen. Das ist mein Job." Ich seufzte leise. Falls es irgendwann einmal ein Selbstmordkommando anzuführen gab, würde ich das auf jeden Fall vor Sue verheimlichen. Notfalls würde ich sogar lügen, auch wenn die Alarmglocken in meinem Kopf mich sehr wahrscheinlich dafür umbringen würden.
„Wie wäre es, wenn wir uns wieder erfreulicheren Dingen zuwenden als Selbstmordmissionen oder uns zu streiten? Zum Beispiel unserem Besuch. Du solltest dich verabschieden gehen, Patricia. Sie müssen langsam mal los, wenn Kira und Mary mit dem Zug nach Hogwarts fahren wollen", teilte mir Roux mit. Die Jüngste unter uns griff nach meinen Arm und zog mich wieder in Richtung Flur, wo sich unser Besuch gerade mit den anderen Mitgliedern dieses Haushaltes unterhielten.

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