Kapitel 11

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Ich klopfte an die Tür von Marlons Zimmer. Ich wartete noch kurz, bevor ich reinging. Auch wenn von drinnen keine Antwort gekommen war. Vermutlich war mein Onkel noch im Bad. Seufzend ließ ich mich auf sein Bett fallen. Dann musste ich wohl doch noch warten, bis ich mit dem Franzosen zu reden.
Es dauerte noch ungefähr fünf Minuten, bis die Tür erneut aufging und der Bewohner des Zimmers hereinkam. Er wirkte nicht überrascht, als er mich hier sah. Marlon schloss die Tür und ließ sich neben mich auf das Bett fallen.
„Na du, was ist denn los? Du hast beim Essen sehr nachdenklich und traurig gewirkt." Ich begann nervös mit meinen Fingern zu spielen.
„Kira nennt Sirius Dad", meinte ich kleinlaut. Der Mann gab sich seit fast einem Jahr Mühe, für mich da zu sein, und mein Spiegelbild sah ihn einmal und nannte ihn sofort Dad, so wie er es eigentlich von mir hören wollte.
„Das habe ich mitgekriegt. Und das beschäftigt dich weil?"
„Weil Kiras Dad Samuel ist. Er hat sie großgezogen. Sirius soll meiner werden. Und jetzt ist er ihrer", beschwerte ich mich. Mein Onkel fing an zu grinsen.
„Ich glaube, Kira nennt Sirius Dad, weil er ihr biologischer Vater ist. Du nennst Sirius Dad, wenn du das Gefühl hast, er ist dein sozialer Vater. Das ist doch nicht schlimm, sondern zeigt nur, wie unterschiedlich ihr aufgewachsen seid. Dir wurde nun einmal vorgelebt, dass es auf das Soziale ankommt, während Kira nun einmal beigebracht wurde, ihre sozialen Väter Onkel zu nennen. Mach dir nichts daraus." Ich schluckte schwer. Das sagte sich so einfach, wenn man sah, wie glücklich es Sirius machte, Dad genannt zu werden.
„Jetzt gucke nicht so grummelig. Ich bin mir ziemlich sicher, Sirius weiß, dass Kiras Dad etwas anderes heißt, als dein Dad. Er wird noch viel glücklicher sein, wenn du ihn so irgendwann nennst." Ich nickte leicht. Hoffentlich würde er das.
„Glaubst du, Sirius will wieder zu Samuel und Remus ziehen, wenn er freigesprochen wurde? Beim letzten Mal meinte er, er will sich mit Harry und mir ein Haus suchen, aber damals hatten sie sich noch nicht wieder vertragen." Auch wenn ich es in Ordnung fand, jetzt ein wenig Zeit hier in Texas zu verbringen, war ich mir sehr sicher, dass mir ein Einzug zu weit ging.
Von mir aus konnten wir in ein Häuschen hier in der Nähe ziehen, sodass mein Vater alle Leute hier oft besuchen gehen konnte, doch ich musste nicht jeden Abend an einem so vollen Tisch wie heute sitzen, wo mir noch bewusster war, dass ich dort nicht hingehörte, als es bei der Kriegsnymphenfamilie der Fall war. Das war doch ein guter Kompromiss, oder? Ob sich Harry dann auch ganz schnell in Kiras Familie einfügen würde?
„Ich glaube, Sirius denkt gar nicht soweit. Er ist gerade einfach nur froh, dass ihr alle an seine Unschuld glaubt, und freut sich über jeden, der ihn hier lieb hat. Ob es für ihn in Frage kommt hier wieder einzuziehen, wird er wohl entscheiden, wenn es so weit ist. Und ich vermute mal, es wird auch sehr davon abhängen, wie Harry und du dazu steht, nach Texas zu ziehen. Euch beiden ein zu Hause zu bieten ist ihm gerade wichtiger, als hier wieder einzuziehen. Aber sie werden Kontakt halten und Weihnachten hast du dann, mit Kira und ihrer Familie zu verbringen. Da brauchst du dir keine falsche Hoffnung zu machen. Und an einem Weihnachtstag erwarte ich, dass du Zeit für deinen supercoolen Onkel Marlon hast."
„Du kannst auch beide Weihnachtstage haben." Marlon fing an, zu lachen, weshalb ich anfing zu grinsen. Mir war klar, dass ich wohl ab jetzt zu Familienfesten bei Kiras Familie anzutanzen hatte. Egal, was ich nun davon hielt. Allen anderen war es viel zu wichtig, als dass ich drum herum käme.
Es klopfte an der Tür, weshalb das Lachen meines Onkels verstummte. Stattdessen sah er neugierig dorthin. Die Zimmertür war geöffnet worden und Sirius sah ziemlich besorgt in den Raum. Als er mich friedlich bei Marlon liegen sah, wirkte er ziemlich erleichtert.
„Hier bist du, Welpe. Ich habe mir schon Sorgen gemacht, weil du nicht zu mir gekommen bist, wie die letzten Abende. Brauchtest du mal wieder etwas Abstand von deinem alten Herrn?" Mein Vater kam richtig in den Raum herein und schloss die Tür hinter sich. Marlon und ich wurden neugierig gemustert. Mein Onkel stupste mir leicht in die Seite, als Aufforderung, ich solle auch Sirius mitteilen, was gerade alles in meinem Kopf rumging.
Seufzend löste ich mich wieder von Marlon. Während unseres Gespräches hatte ich es mir wieder in seinen Armen gemütlich gemacht, weshalb ich mich jetzt immer drehen müsste, wenn ich mit Sirius reden wollen würde. Da war es einfacher mich einmal richtig von meinem Onkel zu lösen.
„Kannst du dich setzen?", fragte ich schüchtern. Dieses Gespräch wollte ich wirklich nicht zwischen Tür und Angel führen. Eigentlich wollte ich es gar nicht führen.
„So schlimm?" Sirius kam zu mir herüber, er zog sich die Schuhe aus, bevor er sich neben mich aufs Bett fallen ließ, sodass ich jetzt in der Mitte zwischen Marlon und ihm lag. Er sah mich fragend an, während ich verunsichert zurücksah. Ich hatte keine Ahnung, wo ich anfangen sollte.
„Willst du mir erzählen, was los ist, mein kleiner Welpe?", unterbrach Sirius schließlich das Schweigen. Ich sah hilfesuchend zu Marlon. Jetzt gerade brauchte ich doch noch einmal Hilfe.
„Wie wäre es, wenn du einfach die Reihenfolge beibehältst, die du auch bei unserem Gespräch gewählt hast. Die war gut", gab mir mein Onkel ein paar Hilfestellungen. Ich nickte dankbar, griff nach seiner Hand, bevor ich mich wieder meinem Vater zuwandte.
„Sirius, Kira hat dich –" Ich schluckte schwer. Das Wort Dad ging mir einfach nicht gegenüber meinem Vater über die Lippen.
„Dad, sie hat mich Dad genannt. Das hast du nicht gerne gehört, nicht wahr? Das habe ich gemerkt."
„Du sollst meiner werden und nicht ihrer. Sie hat Samuel, Remus und Logan als Dads", klagte ich.
„Patricia, du solltest zwei Dinge wissen. Zum einen bin ich mir sehr sicher, dass Kira mich niemals aus den gleichen Gründen wie du Dad nennen wirst, zum anderen kann ich auch von mehren Leuten der Dad sein. Bei Harry warst du doch auch nicht so eifersüchtig."
„Harry nennt dich auch nicht Dad. Er nennt dich Sirius, so wie er soll. Er darf auch Patenonkel zu dir sagen, aber – So wie Kira es macht, ist es falsch", beschwerte ich mich. Sie brachte alles durcheinander. Ich merkte, wie mir Tränen in die Augen schossen.
„Sie macht es falsch. Sie soll dich auch Sirius nennen. So wie alle es machen." Marlon zog mich wieder näher zu sich heran. Mit der freien Hand begann er mir durch die Haare zu streichen.
„Ist schon gut, Prim. Ist gut. Kira will dir doch nicht Sirius wegnehmen. Du weißt doch, sie sagt nur zu ihm Dad, weil er ihr leiblicher Dad ist, nicht ihr sozialer. Ist schon gut", versuchte mich Marlon zu trösten. Mein Vater begann mir über die Wange zu streicheln.
„Sie bringt alles durcheinander. Warum kann sie ihn nicht, wie jeder normale Menschen Sirius nennen? Er ist nicht ihr Vater. Sie kennt ihn nicht. So funktioniert das nicht. Ein Vater hat einen lieb und man verbringt viel Zeit mit ihm. Man muss auch bei ihm wohnen. Er trinkt mit einem Kakao. Wenn Mama nicht da ist, guckt man mit ihm im Bett heimlich fernsehen und isst dort Chips und Popcorn. Und mitten im Film schlafen dann die kleinen Schwestern ein. So geht das."
Die beiden Männer fingen an zu lachen. Offensichtlich fanden sie meine Vorstellung vom Vater sein, sehr amüsant, dabei hatte ich sie bisher immer als sehr schön empfunden. Ich habe es immer sehr gerne gemocht, wenn ich mit meinem Vater gemütlich im Bett gelegen hatte.
„Welpe, die meistens definieren Vater nicht als den Sozialen. Kira zum Beispiel tut es nicht. Deshalb lebt sie hier bei ihrem Onkel Samuel, ihrem Onkel Remus, ihrem Onkel Logan und natürlich ihren beiden Tanten Elaina und Jean. Alle Leute, die du als ihre Eltern bezeichnen würdest. Meine Nichten ticken genauso. Sie nennen mich daher auch Onkel Marlon, obwohl ich nach deiner Definition auch ein Vater für sie wäre. Aber wenn man nun einmal in einer Familie lebt, in der niemand auszieht, gibt es viele Väter. Da kann man sich nur auf die Biologie beziehen. Aber ich denke, Sirius und ich können sehr gut nachvollziehen, warum du es anders siehst. Unsere biologischen Väter waren beide keine guten sozialen Väter, also haben wir uns beide einfach neue gesucht. Ich weiß, dir fällt es schwer, jetzt gerade Kiras Sichtweise zu übernehmen, aber es hat nichts zu bedeuten, dass Kira Sirius Dad nennt. Du stimmst mir doch zu, Sirius, richtig?"
Marlon sah meinen Vater auffordernd an. Sein Blick war mehr als eindeutig. Sollte der Flüchtige nicht zustimmen, würde er wohl mehr als im hohen Bogen herausfliegen und ich an seiner Stelle würde nicht wieder zurückkommen.
„Ja, tue ich. Welpe, du brauchst keine Angst haben, dass ich irgendwann keine Zeit mehr für dich habe. Oder keinen Platz mehr. Ich werde beides immer für dich haben. Du bist mein kleines Baby, mein kleiner Welpe. In Ordnung?" Ich schüttelte den Kopf. Nein, gerade fühlte es sich gar nicht an, als könnte jemals wieder alles in Ordnung sein. Ich fand es schöner, als Sirius und ich noch unter uns waren.
„Ich will nicht, dass du deine Meinung änderst. Ich weiß, du willst von mir auch Dad genannt werden." Sirius seufzte leise. Er zog mich wieder näher zu sich heran.
„Ja und nein, Patricia. Natürlich fände ich es toll, wenn du mich Dad nennen würdest, aber wichtiger ist es mir, dein Dad zu sein. Weißt du noch, von wem das Kuscheltier war, welches ich dir geschenkt hatte? Der schwarze Hund", wurde ich freundlich gefragt. Ich nickte leicht, auch wenn ich keine Ahnung hatte, worauf er hinauswollte.
„Von meinen Großeltern."
„Genau, meinen Eltern, eigentlich die von James. Sie gehörten zu den wichtigsten Menschen in meinem Leben. Sie halfen mir bei all meinen Sorgen und Ängsten, schon bevor ich zu ihnen gezogen war. Auch als ich noch in den Sommerferien bei meinen leiblichen Eltern gelebt habe, stand es immer außer Frage, dass ich ihr zweiter Sohn war. Zu Weihnachten bekam ich immer Geschenke. Anfangs auch zum Geburtstag, aber das trieb ich ihnen aus. Deine Mutter – Carolin führte es später wieder ein. Als ich dann von zu Hause weglief, war es so selbstverständlich für sie, dass ich bei ihnen einzog. Sie waren stolz auf meine Noten und meine Siege beim Quidditch. Sie schimpften mit mir, wenn James und ich es mal wieder beim Streiche spielen übertrieben. Nach meinen Auszug hatte ich immer zum Sonntagsessen zu kommen. Zusammen mit meiner Familie. Sie waren als meine Eltern bei meiner Hochzeit und nahmen euch Mädchen, ohne zu zögern, zu ihren Enkelkindern. Der Tag, an dem sie starben, war der zweitschlimmste in meinem Leben. Wann denkst du, habe ich sie das erste Mal Mum und Dad genannt?"
„Vielleicht bei deinem Einzug? Dem Auszug?", riet ich einfach wild drauf los. Sirius schüttelte breit grinsend den Kopf.
„Ich habe es nie gesagt, Patricia. Es stand immer außer Frage, dass sie meine Eltern waren. Euphemia war meine Mutter und Fleamont, er war mein Vater. Doch ich nannte sie niemals Mum und Dad. Das brauchte ich aber auch nicht. Sie wussten es und ich wusste es. Das war das Wichtige. Und du musst mich auch nicht Dad nennen. Ich bin dein Dad, mein kleiner Welpe. Das weiß ich, weil du mir immer wieder sagst, dass du mich lieb hast. Du magst es nicht, alleine in einem Raum zu schlafen, weil du dich dann alleine fühlst, also kommst du zusammen mit Antiope zu mir herüber und schläfst, wo auch immer ich gerade bin, ein. Wir können auch Chips im Bett essen. Ich kann dir nur keine Mama bieten, die es verbieten. Allerdings habe ich gehört, du bist gegen Stiefmütter. Du willst immer mit dem Kopf durch die Wand, weshalb ich dich oft zurückhalten muss, doch eigentlich bringt es nichts, weil du es trotzdem machst. Du vergisst ständig, dass du ab jetzt einen Dad und einen Onkel hast, die dich lieb haben und beschützen. Du wirst uns beide nicht mehr los. Egal, ob mich Kira jetzt Dad nennt oder nicht. Und falls es dich beruhigt, ich glaube nicht, dass ich jemals für Kira ein richtiger Vater sein kann. Sie wird immer mehr Samuels Tochter sein als die meine."
Sirius zog mich vorsichtig auf seinen Schoß. Liebevoll wurde mir durch die kurzen Haare gestrichen, weshalb ich mich an ihn drückte. Er sollte auf gar keinen Fall auf die Idee kommen zu gehen.
„Also muss ich nicht traurig sein, weil Kira dich so nennt?", fragte ich ihn ängstlich. Mein Vater schüttelte bestimmt den Kopf.
„Nein, musst du nicht. Aber ich denke, ich verstehe, was dein Problem ist. Weißt du, meine heißgeliebte, süße, kleine Tochter wohnt momentan bei jemand anderem. Und auch wenn sie immer sagt, es ist nur vorübergehend, weiß ich, sie fühlt sich dort sehr wohl. Sie hat jetzt nette Cousinen und ein eigenes Zimmer. Die Kobolde schmieden für sie Schwerter, die ihre Augen zum Strahlen bringen. Da frage ich mich manchmal, ob sie nicht dortbleiben will, wenn sie irgendwann auch bei mir Leben könnte."
„Bist du eifersüchtig auf Marlon? Das musst du nicht sein. Ich will bei dir wohnen. Marlon gehe ich dann ganz oft besuchen oder er kommt zu uns. Und meine Cousinen sehe ich dann auch immer. Oder du ziehst nach Frankreich. Vivienne meinte, wir sollten dich einfach mitbringen. Das Schloss ist groß genug. Aber ein Haus nur für uns beide und Harry finde ich auch gut. Und Antiope muss einziehen dürfen." Mein Vater nickte verstehend.
„Aber ich will nicht hier einziehen." Sirius fing an zu lachen.
„Das habe ich mir schon gedacht. Machen wir nicht. Versprochen. Aber ich will auch mal die Bande hier sehen und sie kommen uns manchmal besuchen."
„Darf ich zu Marlon, wenn sie kommen?", fragte ich hoffnungsvoll.
„Nein, du darfst dich dann an sie gewöhnen." Mir wurde gegen die Nase gestupst, während ich leise seufzte. Flucht wäre irgendwie einfacher gewesen. Viel einfacher.

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