Kapitel 36

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Ich beobachtete Madam Pomfrey wie sie vorsichtig meine bandagierte Hand von dem Verband befreite. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, wäre es ihr lieber, wenn ich wie sonst bei dieser Prozedur an Marlon gekuschelt schlief. Doch eigentlich war ich froh, dass ich anders als die letzten drei Tage wach war. So konnte ich wenigstens sehen, welche Ausmaße die Verletzungen hatten.
Außerdem fand ich es gruselig, dass ich nach meiner Bewusstlosigkeit die nächsten Tage fast durchgängig geschlafen hatte. Von meinen Besuchern, die laut Marlon ständig hier waren, hatte ich eigentlich nichts mitbekommen. Nur sehr selten waren sie gerade zufällig da, wenn ich mal meine Augen aufhatte. Selbst wenn sich die Zeiten mal überschnitten, zwang mich Marlon dazu, etwas zu essen und zu trinken, was meistens darin endete, dass ich brechen musste. Eine wirklich ekelhafte Angelegenheit. Jetzt wo ich am eigenen Leib erlebt hatte, wie diese Prozedur war, konnte ich noch weniger verstehen, warum es Menschen gab, die sich das freiwillig antaten. Egal ob nun bei Bulimie oder durch Alkohol.
Jedes Mal wenn ich mich allerdings weigern wollte, Nahrung oder Getränke wieder zu mir zu nehmen, erklärte mir Marlon, dass es sehr wichtig war, dass ich versuchte, irgendwie Nährstoffe und Flüssigkeit aufzunehmen, auch wenn sich bisher mein Körper dagegen wehrte. Egal wie magenfreundlich auch angeblich mein Essen war, mein Magen sah das eindeutig ganz anders.
Das mich irgendeine Verletzung so sehr mitnahm, war ich wirklich nicht gewöhnt, weshalb ich nur noch neugieriger war, wie nun meine Wunden aussahen. Daher war ich eigentlich ganz froh, dass ich ausnahmsweise mal nicht zwischen Halbschlaf und Schlaf hin und her wechselte, sondern wach genug war, um das Neuverbinden meiner Wunden mitzubekommen.
Madam Pomfrey war fertig damit mein Verband abzuwickeln, weshalb ich die Wunde das erste Mal sah. Tatsächlich fand ich sie sogar für meine Verhältnisse einfach nur ekelhaft. Meine gesamte Handinnenfläche und die Finger hatten eigentlich nirgendwo mehr Haut. Ich würde gerne behaupten, sie würde bluten, doch das stimmte nicht. Ich war mir zwar sehr sicher, dass es eigentlich Blut war, welches man sehen konnte, doch es war komisch dickflüssig und schien lieber an meiner Hand als an dem Verband kleben bleiben zu wollen. In dem dickflüssigen Blutgemisch erkannte man ein paar Hautfetzen, die wohl nicht ganz in der ätzenden Substanz aufgelöst worden waren.
An den Wundrändern hatten tatsächlich ein paar Hautschichten überlebt. Dafür hatten sich dort allerdings gelbliche mit Eiter gefüllte Bläschen gebildet. Um sie herum sah man blutende Striche, die wie ein Straßennetz um die Häuser einer Stadt alles miteinander verbanden. Ein paar der Blasen waren aufgeplatzt, weshalb sich der Eiter teilweise mit dem Blut vermischt hatte, weshalb nun eine orange Pampe dort klebte.
„Ich werde auf jeden Fall keine Heilerin", stellte ich fest. „Das ist eklig."
„Deine Hand hat schon einmal besser ausgesehen, aber sie wird wieder werden. In ein bis zwei Wochen sieht sie wieder wie neu aus", versprach mir Marlon, welcher ebenfalls mit Adleraugen die Prozedur beobachtete. Er hatte dem Hauself, welcher in der Kriegsnymphenfamilie die Rolle des wirklich stolzen Heilers einnahm, versprechen müssen, meinen Heilungsprozess aufs genauste zu beobachten. Das Wesen traute Madam Pomfrey wohl nicht ganz die gesundheitliche Betreuung einer kleinen Kriegsnymphe zu, auch wenn sie bisher ihre Aufgabe sehr gut erfüllt hatte. Allerdings konnte ich es auch verstehen, die Heilerin von Hogwarts hatte wohl kaum ein Mittel, mit welchem sie mir helfen konnte.
Die Salbe, welche sie immer auf meine Wunden schmierte, war ihr von unserer Hauselfe gegeben worden, was die Heilerin ziemlich empört hatte. Ein Hauself, der ihr sagte, wie sie ihre Patienten zu versorgen hatte, passte wohl nicht ganz in ihr Weltbild. Dass das freche Wesen auch noch einmal täglich hier vorbeischaute, um meinen Heilungsprozess zu kontrollieren, kränkte sie laut Marlon nur noch weiter in ihrer Heilerehre.
„Sie hatten wirklich Glück, Ms Black. Das Gift hätte sie eigentlich schon in einer wesentlich geringeren Dosis umbringen müssen. Wenn sie Schmerzen haben, kann ich ihnen gerne etwas dagegen geben."
„Ich habe keine Schmerzen. Meine Hand fühlt sich taub an", gestand ich, weshalb die Heilerin noch ein wenig unzufriedener aussah, während sie meine Hand erneut mit der stinkenden Creme einschmierte. Ich sah fragend zu Marlon, welcher mir mit einer kurzen Handbewegung mitteilte, dass er es mir erklären würde, sobald die Heilerin wieder weg war. Also wandte ich mich wieder meiner Hand zu, bei welcher die Wunde unter einer dicken bläulichen Schicht Creme verschwunden war und sich jetzt ein neuer Verband magisch drum herum wickelte. Kaum war das geschehen, wandte sich schon Madam Pomfrey meinem nächsten Verband zu, unter welchem ebenfalls die gelblichen Bläschen versteckt waren, während sich dazwischen die blutigen Striche wie Straßen schlängelten.
Es dauerte fast eine halbe Stunde bis all meine Wunden mit der Salbe versorgt und neu verbunden waren. Kaum war das geschehen, verkündete die Heilerin auch schon wieder, dass es langsam Zeit zum Essen war, weshalb ich kurz darauf auch schon wieder eine Tasse Fencheltee und Kartoffelpüree auf meinem Nachtisch stehen hatte. Alles magenfreundlich, damit ich es hoffentlich heute nicht wieder auskotzen würde.
„Sagst du mir, warum Madam Pomfrey gehofft hat, dass ich Schmerzen habe?", fragte ich bei meinem Sorgeberechtigten nach, welcher mir den Teller mit meinem Essen hinhielt.
„Sie hat gehofft, dass sie mehr machen kann, als nur den Anweisungen eines Hauselfen zu folgen. Das schlägt ihr ein wenig auf die Laune, vor allem weil sie sich nicht erklären kann, wie du überlebt hast."
„Vielleicht sollten wir ihr einfach sagen, dass normale Gifte und Heilmittel bei mir nicht funktionieren. Es wäre schon irgendwie praktisch, wenn die für mich zuständige Heilerin mich auch verarzten könnte. Findest du nicht auch?"
„Als du hier aufgetaucht bist, haben wir überlegt, wem wir Schlafmittel anvertrauen falls du – na ja, als Vorsorge für deinen Fluch. Dabei haben wir auch über Madam Pomfrey nachgedacht. Professor Dumbledore vertraut ihr, aber – Heiler haben ein Problem damit, kleine Kriegsnymphen mit Hilfe einer Spritze auszuschalten, aber das ist der einzige Weg es dir gegen deinen Willen zu verabreichen. Also ist sie ausgeschieden. Und auch jetzt – die Medikamente für dich sind echt teuer und aufwendig herzustellen. Wenn wir sie ihr geben, haben wir nichts mehr. Aber ein Hauself kann hier in Hogwarts schneller bei dir sein als eine Hexe und – wer auch immer das Messer geworfen hat. Er weiß, was du bist und mit Sicherheit auch, dass du zwar besser Gift verarbeitest, aber Medikamente leider ebenfalls in der Regel ebenfalls nichts bringen. Er könnte die Medikamente von hier viel leichter klauen und wenn dann noch einmal eine solche Attacke stattfindet, könnte es sehr übel ausgehen. Du hattest Glück, dass Ari ebenfalls draußen spazieren war und dich deshalb so schnell erreicht hat. Zwei Minuten später, dann – dann hätten wir wohl eine neue Kriegsnymphe gehabt."
„Vielleicht könnten wir Madam Pomfrey wenigstens gestehen, dass ich eine sehr spezielle Behandlung brauche. Dann weiß sie wenigstens, was los ist und verschwendet keine Heiltränke an mich."
„Ich bespreche das mit Dumbledore, ob er es für sinnvoll hält. Zumindest würdest du so schneller eine sinnvolle Behandlung kriegen, weil wir sie nicht erst davon überzeugen müssen, jemand anderen an die herumdoktern zu lassen. Obwohl in diesem Fall müsste es wohl eher herumheilern heißen. Aber jetzt isst du erstmal und trinkst deinen Tee aus." Ich verzog das Gesicht. Eigentlich hatte ich wenig Interesse daran, noch einmal Nahrung zu mir zu nehmen.
„Dann muss ich wieder brechen. Das will ich nicht."
„Wenn du brichst, halte ich dir wieder die Haare. Aber sieh es mal so. Du bist jetzt schon eine ganze Stunde am Stück wach und hast die Kraft, richtig zu nörgeln, anstelle nur grummelig das Essen anzusehen, bevor ich es dir verabreiche. Also vielleicht ist dein Magen damit einverstanden, ein wenig Nahrung wieder in Energie zu verarbeiten." Mir wurde auffordernd die Gabel gefüllt mit Kartoffelbrei hingehalten. Ich verzog noch einmal demonstrativ das Gesicht, weshalb ich ein mahnendes Bellen von Sirius, welcher bisher still auf einem Stuhl neben meinem Bett gesessen hatte, so wie meistens die letzten Tage. In seiner jetzigen Form konnte er sich schließlich leider nur sehr schlecht an Marlons und meinen seltenen Gesprächen beteiligen.

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