29 |Der Porsche am Bahnhof

681 47 0
                                    

Jeremy

Da ich nicht wusste wohin, setzte ich mich bloß auf eine Bank in der Nähe meiner Wohnung und starrte in die Luft.

In die Dunkelheit, die mich verschlang und mich vollkommen umgab. Ich konzentrierte mich aber auch nicht, auf mehr. Mein Atem ging flach und ruhig, obwohl alles um mich herum so aufregend und traurig war.

Das Beverly nun auch weg war und wohl so schnell nicht wieder kam, war nur ein weiterer Grund tiefer in den Abgrund zufallen. Ich tat nichts dagegen. Ich fiel einfach und ließ es geschehen.

„Wo zum Teufel ist meine Tochter!", eine tiefe Stimme hallte zu mir durch. Direkt durch die Dunkelheit. Erschrocken sah ich zu dem Mann auf. Beverlys Vater? „Was?", ich erhob mich ruckartig. „Wo ist Beverly.", zischte er und packte mich am Krangen. Ich hatte Respekt, deshalb wehrte ich mich erstmals nicht. „Nicht bei mir.", stellte ich klar, doch der Mann vor mir schien mir das ganze nicht zu glauben. „Du wirst mir jetzt sagen wo sie ist.", knurrte er sauer.

„Ich weiß nicht wo sie ist!", ich umgriff seine Hand und zog sie von meinem Kragen weg, nur um Mr. Hernandez von mir zu stoßen. „Sie ist abgehauen.", er drehte sich um und glitt sich verzweifelt durch sein Haar. „Das ist nicht verwunderlich, Mr. Hernandez.", ich überkreuzte meine Arme und betrachtete den Mann, der vollkommen unter Strom stand. Er war wütend. „Was hat sie dir erzählt?", spuckte er und kam wieder näher.

Seine Augen glühten und nahmen mich ins Visier. Er konnte mich zerstören und das wusste ich. Und er wusste, dass ich das wusste. Jeder hier war das bewusst. Mr. Hernandez war mächtig. „Genug um alles verstehen zu können.", ich seufzte und schüttelte meinen Kopf, bevor ich den nächsten Schritt tat. Ich hatte schon so eine Ahnung wo Bev hingefahren sein könnte.

„Jeremy Parker!", zischte er, doch ich ignorierte ihn bloß und ging weiter über den Bordstein. Die Dunkelheit ließ André Hernandez verschwinden und brachte mir die angenehme Stille. Die Straßen waren an diesem Abend so trübe, so leer. Kein Mensch verließ seine kleine, eingeengte Wohnung. Sie ließen mir die Ruhe, sie schenkten sie mir und ich war dankbar dafür, auch wenn sie es nicht wussten.

In diesem Viertel gab es jeden Tag einen Toten und trotzdem war es dieses Mal so viel leerer und ruhiger als die Male davor. Als die Tage davor. Die Dunkelheit hatte wirklich alles verschlungen und nur die kleinen Lampen, die ab und zu blinkten, weil sie schon kaputt waren, spendeten mir ein wenig Licht auf dem Weg zum Bahnhof.

Schon vom weiten sah ich den weißen Porsche von Beverly auf dem Parkplatz stehen. Ich hatte recht gehabt. Und die Tatsache machte mich glücklich. Beverly und ich hatten uns in so kurzer Zeit so gut kennen gelernt. Ich kannte keinen Menschen, der mich besser kannte als sie.

Und ich glaubte auch nicht, dass es einen gab, der sie besser kannte als ich es tat. Ich kannte sie so wie kein anderer. Nicht einmal Maja kam an uns heran.

Mit meinem Zeigefinger, der leicht kribbelte, strich ich über den weißen Lack des Autos und ließ zu, dass die Kälte durch mich hindurch jagte. „‚Nein.", hauchte ich und ließ meine Hand fallen. Ich wollte definitiv nicht noch einmal versuchen Beverlys Wagen zu stehlen. Das hatte beim ersten Mal schon nicht geklappt und jetzt wollte ich das auch garnicht. Ich wollte nur Bev finden.

Ich trappte die Treppen des Bahnhofes hinab und befand mich in Mitte des Bahnhofes. Menschen strömten aus den Bahnsteigen, wühlten in ihren Taschen und gaben ein genervtes Stöhnen von sich. Andere redeten, lachten und stupsten sich verliebt an. Von Beverly hatte ich gelernt alles zu beobachten und das noch intensiver als ich es sowieso schon tat. „Ihre Fahrkarte bitte.", der Mann vor dem Zug streckte seine Hand zu mir aus. Ich gab ihm die Fahrkarte und bekam sie Sekunden später wieder.

Stillschweigend und mit einem Adlerblick stieg ich in den Zug und setzte mich auf einen der leeren Plätze. Eine ältere Dame saß vor mir, musterte mich kritisch und wandte sich dann an den kleinen Hund, der neben ihr saß und leise knurrte. Ich ignorierte sie, ihren Blick und das Knurren von ihrem Hund, auch wenn ich es wahrnahm.

Ich wollte nur zu Beverly. Mit ihr konnte ich vergessen und genießen. Mit ihr konnte ich der Junge sein, der ich tatsächlich war. Obwohl ich bemerkte, dass ich immer mehr zudem wurde. Sie veränderte mich und ich ließ es zu, weil es sich so gut anfühlte.

Nach etlichen Minuten, in denen ich still aus dem Fenster gestarrt hatte, hielt der Zug, weshalb ich aufstand, dem Hund auswich, der nach mir schnappte und aus dem Zug stieg.

Schon vom weiten sah ich das kleine Café. Das Beverly dort jetzt sitzen würde, wusste ich und ich freute mich auf sie, ganz gleich aus welchen Gründen wir beide hier waren. Wie konnte das alles nie so schief laufen.

Wie er das leben erlernteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt