28 |Die falsche Ausrede

682 40 3
                                    

Minuten vergingen und trotzdem standen Jeremy und ich noch immer eng umschlungen vor dem Gebäude. »Du dürftest nicht hier sein, Bev.« flüsterte er leise. So langsam wurde mir wieder alles bewusst. All das was ich meinen Eltern erzählt hatte und wieso ich eigentlich hier war.

Ich hatte Henry als Ausrede benutzt.

Etwas das ich nicht hätte tun dürfen. Henry war in London. Bei seiner Mutter. Und obwohl ich wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde bis jemand hier auftauchte und mich mit ihm sah, klammerte ich mich an Jeremy fest. Ich war froh bei Jeremy sein zu dürfen.

»Bin ich aber.« gab ich also nur leise zu und fuhr mit meinem Blick über sein Gesicht, hinab zu seinen vollen Lippen. »Ich liebe dich Beverly.« seine Stimme war nicht mehr als ein Hauchen. »Jer-« er stoppte mich, indem er seine Lippen auf meine legte und mich enger an sich drückte. Ich vergaß alles um uns herum, ebenso wie schon einmal an diesem Abend. Meine Hände fuhren in seinen Nacken, hinauf in sein weiches Haar und mein Körper drückte sich ganz von selbst gegen seinen.

»Beverly Hernandez!« eine tiefe, feste Stimme schallte zu uns rüber. Erschrocken zuckte ich zusammen und löste mich ruckartig von dem muskulösen Körper. Nur Jeremys Hände verblieben auf meiner Taille. Mein Vater. »Was- Wa-« ich stotterte Wörter vor mich hin und starrte meinen Vater ängstlich an. Er kam mit einer rasenden Geschwindigkeit auf mich zu und packte mein Handgelenk. Mit einem Ruck zog er mich von Jeremy weg. Jeremy wollte nach mir greifen, doch mein Vater hielt ihn mit einen Blick auf.

»Du solltest gehen. Sie ist meine Tochter!« zischte er sauer und drehte sich um. Ohne auf mich zu achten riss er mich mit zum Auto. Kein Wort verließ seine Lippen, während mein Vater sich ins Auto setzte und los fuhr.

Sein gesamter Körper stand unter Strom, ebenso wie meiner. Die Luft im Auto war stickig und dünn und entlockte mir ein heiseres Keuchen. Ich wollte zurück zu Jeremy, mich in seine Arme werfen und alles um mich herum vergessen. Vergessen, dass mein Vater mich mit Jeremy gesehen hatte. Das Jeremy und ich erwischt wurden.

»Du hast Hausarrest. Nur das dir das klar ist.« knurrte mein Vater und hielt vor dem großen Haus. Ich sprang Luft schnappend aus dem Wagen und rannte ohne irgendetwas zu sagen in die Villa, vorbei an meiner Mutter, die uns verwirrt betrachtete. »Beverly!« Schrie sie mir nach, doch ich packte die Tür und warf sie rücksichtslos zu. Von unten hörte ich wütendes Geschrei, weshalb die ersten Tränen meine Augen verließen und herab über meine Wangen liefen. Mein Herz lag schwer und pochend in meiner Brust. Es tat weh.

Nicht nur zu wissen, dass sie es jetzt wussten, sondern auch zu wissen wie es jetzt weiter ging und das ich Jeremy nicht mehr sehen durfte. Jetzt wo er mich am meisten brauchte. Er hatte niemanden mehr. Jetzt hatte auch ich ihn verlassen, obwohl ich genau das nicht wollte. Ich wollte für ihn dasein, jetzt wo seine Tante tot war. Aber das konnte ich nicht.

»Beverly?« die Tür ging langsam auf und meine Mutter schielte hinein. Mein Blick geriet in ihren. »Nein!« ich zog meine Beine an meinen Körper heran und legte meinen Kopf auf meine Knie. Die Tür schloss sich wieder, doch meine Mutter verblieb in meinem Zimmer.

»Dein Vater ist unheimlich wütend-« fing sie an. Vermutlich war mein Vater so wütend gewesen, dass er meiner Mum nicht einmal sagen konnte was geschehen war. Das ich mehr mit Jeremy zutun hatte als alle und als sie wussten. Ich liebte Jeremy.

»Schön.« brummte ich. Ich presste meine Augenlider aufeinander und biss mir verzweifelt auf meine Unterlippe. Die Tür öffnete sich und schloss sich wieder. Die Stille nahm den Raum ein. Das einzige was ich hörte, war mein eigener, schneller Atem. »Mum?« hauchte ich kaum hörbar, obwohl ich wusste, dass sie den Raum schon längst verlassen hatte. Sie war weg. Die Sekunden, in denen ich auf dem Bett saß wurden zu Minuten. Und es wurde immer stiller. Die Wochen würden nicht anders werden.

Ich wollte nicht eingesperrt werden Entschlossen hob ich meinen Kopf, wischte meine Tränen mit meinen Fingern weg und sprang aus dem Bett. Unter meinem Bett holte ich eine Tasche hervor. Ich wusste, dass ich sie irgendwann mal gebrauchen könnte. Also fing ich wütend an die ersten Sachen hinein zu stopfen. Die Trauer hatte mich vollkommen verlassen.

Nur noch Wut blieb zurück. Auf meinen Vater und auf meine Mutter, die nichts bemerkte. Und auf mich selbst, weil ich Henry als Ausrede benutzt hatte. Brummend riss ich den Reißverschluss zu und hing sie mir über meinen Körper. Mein Vater müsste jetzt im Arbeitszimmer sein, da er vor Wut vermutlich schon platzte und meine Mutter war sicher ins Badezimmer geflüchtet, um all den Stress und der schlechten Stimmung im Haus zu entkommen.

Also schlich ich herab zur Haustür, direkt hinaus zu meinem Auto. Ich schmiss die Tasche in den Wagen und setzte mich selbst hinein. Der Motor heulte auf und ohne noch einen weiteren Gedanken an meinen Vater zu verschwenden raste ich los.

Wie er das leben erlernteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt