27 |"Jetzt nicht, Maja!"

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Beverly

Müde suchte ich meine Schulsachen beisammen und klatschte sie alle in meinen Rucksack. Mein Blick huschte auf mein Handy, da ich um 18 Uhr unten sein sollte. Mein Vater bestand heute auf ein gemeinsames Familienessen. Da Henry ja jetzt in London war und ich so mehr Zeit für die Familie hatte.

Den Rucksack knallte ich neben meine Zimmertür, bevor ich die Tür aufmachte und nach unten zu meinen Eltern ging, die schon abwartend am Tisch saßen und sich über die Arbeit unterhielten. Das taten sie immer und wenn nicht, dann behandelten sie das Thema Schule und die Möglichkeiten meiner Zukunft. »Abend.« nuschelte ich in mich hinein und ließ mich auf den Platz gegenüber von meiner Mutter nieder.

Mein Vater nickte nur und nahm sich als erstes etwas von dem Auflauf. »Gibt es etwas Neues?« fragte er dann. »Nein.« ich schüttelte langsam meinen Kopf und warf ihm einen misstrauischen Blick zu. Er fragte nicht umsonst nach. »Henry hat dich betrogen?« Sein Blick lag auf mir. Und obwohl es eine Frage war, war es das zugleich auch nicht. Ich zog die Luft ein und biss mir auf meine Unterlippe.

Das er mit einem anderen Mädchen gesehen wurde, war gut möglich. Wir waren ja nicht wirklich zusammen. Er lebte sein Leben und ich meines. »Candy hat uns davon erzählt.« er redete weiter, ohne auf den Inhalt zu achten oder darauf wie ich reagierte. »Okay.« ich nickte langsam. »Du solltest ihn verlas-« Mum unterbrach meinen Vater ruckartig. »Jetzt lass sie doch in Frieden. Sie muss das erstmal verdauen!« zischte sie, während sie sich etwas auf ihren Teller tat.

Das meinem Vater das herumgezicke meiner Mutter nicht gefiel, sah ich ihm deutlich an, doch er schwieg, ebenso wie ich. Denn sie bekam wieder nur ein Nicken von mir. Mir war es eigentlich egal, was sie dachten. Nun, dann hatte er mich halt nach außen hin betrogen. Was änderte das schon, wenn er mir nicht wirklich etwas bedeutete. Ich zuckte zusammen als eine Vibration über den Tisch hallte. Mein Blick flog auf mein Handy, das neben mir lag und für das ich einen scharfen Blick meines Vaters kassierte. Er mochte das garnicht.

Wenn wir mal zusammen aßen, dann sollten die Handys nicht einmal in der Nähe des Esstisches sein.

Maja rief mich an. »Entschuldigung.« murmelte ich und drückte sie weg. Was wollte sie denn? Sie wusste genau, dass ich jetzt mit meiner Familie aß und das es nicht gut kam, wenn mein Handy dann klingelte. Vor allem nicht, wenn ein fremder Name darauf erschien. Mein Vater kannte Maja sicherlich, aber er würde mich hier einsperren, wenn er wüsste, dass ich etwas mit ihr zutun hatte.

Als das Handy erneut anfing zu klingeln, schnaubte mein Vater verärgert, sagte aber noch nichts. Ich legte erneut auf und packte es in meine Hosentasche. Doch auch jetzt hörte man das Vibrieren. »Mein Gott! Jetzt geh schon ran.« zischte mein Vater verärgert und schenkte mir einen scharfen Blick. Ich erhob mich ruckartig und bewegte mich mit schnellen Schritten aus dem Esszimmer.

»Jetzt nicht, Maja!« fauchte ich ins Handy und spürte das Zittern, das durch mich hindurch jagte. »Endlich!« schrie sie in den Hörer. »Schrei nicht so.« Maja ließ mir keine Zeit, sondern redete weiter. »Es geht um Jeremy.« mein Körper versteifte sich und meine Augen starrten in das Wohnzimmer. »Was ist los?« wollte ich leise wissen. Was war mit Jeremy? Ob er irgendwas kriminelles getan hatte? Ich schluckte und spürte mein Herz, das mir schwer in der Brust lag.

Es schmerzte. »Vor seiner Wohnung stehen Krankenwagen-« sie stoppte. »Auf der Straße geht das Gerücht herum, dass seine Tante Selbstmord begannen hat.« kam sie zum Punkt. Ich keuchte. Die Luft blieb mir im Hals stecken und kleine Punkte setzten sich vor meine Sicht. Jeremy!

Ich musste zu Jeremy.

»Bis-« Ich legte auf und steckte mein Handy beiseite. »Ich bin bei Henry.« schrie ich, während ich mir meine Schuhe überzog und aus dem Haus rannte. Schwungvoll riss ich die Tür meines Porsches auf und setzte mich hinein. Gerade als ich davon raste, sah ich noch meinen Vater, der die Haustür aufmachte und mich verwirrt anstarrte. Doch für mich zählte gerade nur Jeremy.

Seine Tante war das einzige was er hatte. Der einzige Mensch, der in seinem Leben war. Auch wenn sie oft nicht für ihn da war und ihm nicht gut tat. Sie hatte Selbstmord begannen. Sie hatte ihn alleine gelassen. Und so musste Jeremy sich gerade auch fühlen. Mit zittrigen Händen suchte ich seine Nummer heraus und legte mein Handy an mein Ohr.

»Bitte Jer.« flüsterte ich, doch keiner ging ans Handy. Nur ein ewiges Tuten, das mir die letzten Nerven raubte. Vor seinem Haus machte ich eine Vollbremsung und blieb mit quietschenden Reifen stehen. Die Krankenwagen fuhren gerade davon und nur noch der Nachgeschmack dessen, verblieb auf der Straße.

Die Trauer Stimmung hatte das komplette Viertel eingenommen. Und sogar ich spürte das. Es war still und nur wenige Menschen trauten sich aus ihren Wohnungen. »Sie sollten sich eine Therapie suchen, Mr. Parker.« Mein Kopf drehte sich ruckartig zu der Stimme. »Ich bin schon in einer.« stechend blaue Augen sahen in meine und ließen mein Herz schneller schlagen. Schon jetzt konnte ich die ersten Tränen spüren, die meine Wange herunter glitten und sich nicht aufhalten ließen. »Jer-« flüsterte ich, während ich auf ihn zu ging.

Ohne über all das was geschehen war nach zudenken, schlang ich meine Arme um seinen Nacken und drückte ihn an mich. Ich spürte seine Arme, die sich um meinen Oberkörper legten und mich feste an sich pressten. Ich war sein Halt. Das einzige, was ihm nachdem Sturm geblieben war. Melissa war tot, aber ich ging nicht. Ich verließ ihn nicht. »Es tut mir so leid, Jeremy.« hauchte ich gegen seine Ohrmuschel und liebkoste ihn. Ich streichelte durch sein nussbraunes Haar, küsste seine Haut und sein Kiefer, glitt über seinen Nacken und versuchte ihn mit meinem Dasein zu beruhigen.

»Sie hat sich umgebracht, Bev.« sein Kopf versank in meiner Halsbeuge. Ich vergaß wo wir standen. Vergaß, dass uns jeder sehen konnte und ich vergaß, dass ich eigentlich garnicht hier sein durfte. Das ich Henry nicht hätte als Ausrede benutzen dürfen.

Wie er das leben erlernteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt