Gegeneinander und füreinander

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Eine Stunde später gab Ilus laut Bescheid: "Die Technik läuft wieder und die Arbeit geht weiter. Zigz ist noch nicht gestorben". Allen waren natürlich erleichtert, doch Shark klatschte sogar. Dexter humpelte auf Ilus zu: "Du meintest, du hättest noch eine Aufgabe für mich?". "An sich ja, aber du hast dich beim Treppensturz etwas verletzt. Du solltest dich dafür gut fühlen", warnte er vor. "Ach, eine kleine Verstauchung ist nichts Schlimmes", winkte er ab. "Sicher?", hakte er nochmal nach. Henry stand nur wenige Meter von ihnen entfernt und hob besorgt die Augenbrauen. Nachdem Dexter nickte, ging Ilus mit ihm die Treppe runter. Als Pate hatte Henry nun die Pflicht, das Pult zu übernehmen und er konnte nicht mit runter.

Dexter kam sowieso zwei Minuten später mit sehr bösem Blick wieder hoch. Total bleich folgte Ilus ihm. Dexter war sogar so sauer, dass er Henry fragte: "Weshalb magst du Ilus nochmal?". Henry blieb besorgt: "Ich habe ihm gesagt, dass es keine gute Idee war...". Ohne Weiteres stapfte Dexter nach oben. Ilus' Stimme war sehr heiser: "Ich habe keine Ahnung, was er gesagt hat, aber ich denke, ich habe einen Fehler gemacht...". "Du meintest es ja nur gut", versuchte Henry ihn aufzumuntern, "Ich werde mal mit ihm reden". So folgte er Dexter hoch und fing ihn noch im Flur ab: "Immer noch so schlimm?". "Manche Dinge können einfach nicht repariert werden. Das liegt mir zu weit weg. Nö, ich will nicht mit ihm reden. Setz ihn ins nächste Flugzeug und weg mit ihm", winkte er ab. "Du meinst doch immer, dass andere eine zweite Chance verdienen. Ich kann es wirklich verstehen, wenn du mit Zane nicht reden willst und es auch nach einem Gespräch keine Aussichten auf eine gute Zukunft gibt. Für Ilus war das wichtigste immer Brüderschaft. Er möchte ein kaputtes Bund nur ungerne sehen", argumentierte er.

"Wenn er ihn zurück nach Marokko schickt, sieht er es doch nicht", konterte er. "Dexter...", seufzte Henry, "Nur ein kurzes Gespräch. Ich verspreche dir, Ilus dann davon zu überzeugen, dass du und Zane euch nie wieder sehen sollten". Unzufrieden rollte Dexter mit den Augen und ging wieder mit Henry runter. Ilus folgte unsicher und aufgeregt zugleich. Sein Bruder hing immer noch an den Ketten. Dexter nuschelte: "Zane...". Er sah ihn gar nicht an: "Dexter...". Doch Dexter wollte nicht reden und schob daher Henry vor: "Kennst ihn noch?". "Kommt mir nicht bekannt vor", kam es stumpf zurück. "Henry", winkte der Angesprochene knapp. Da schwenkte der Blick vom Bruder zurück: "Ihr beide seht viel erwachsener aus...". Dexter murrte: "Du auch, mit deinem Möchtegern-Stoppel-Bart". "Mir gefällt er", wurde er offensiver. "Wem denn auch sonst?", zischte Dexter. Langsam wurde die Luft wieder angespannter: "Meiner Frau". "Also hast du geheiratet", nahm der Jüngere monoton an. "Wir haben einen Sohn. Deswegen bin ich auch hier. Angeblich soll er entführt worden sein", nickte er. 

Hinter der Ecke versteckt gab Ilus leise von sich: "Das war eine Lüge. Er ist immer noch Zuhause". Dexter fragte: "Kannst du ihn dann wieder nach Hause schicken? Ich will ihn nicht sehen". Zane machte ihm Vorwürfe: "Vor den Problemen wegzurennen ist kindisch, Dexter. Du magst älter aussehen, aber dein Verstand ist wohl damals stehen geblieben". "Du willst mir also sagen, dass ich ein harmloses Abbild von deinen Fehlern sei?", knurrte Dexter mit geballten Fäusten. Henry bemerkte, dass es kritisch wurde: "Lass uns wieder nach oben". Doch ließ sich das Dexter nicht gefallen: "Ich reise schon mit Mama und Papa, seitdem du dich dazu entschieden hast, vor deinen Problemen wegzulaufen". "Eben, ich weiß, wie kindisch das ist. Du solltest eigenständig werden und den Mut haben, dich deiner Vergangenheit zu stellen", wies er ihn an. "Was willst du schon wissen?", wurde Dexter immer wütender, "Ich habe die Welt gesehen - auch ohne an der Hand unserer Eltern zu laufen! Nur, weil ich mich noch nicht nieder gelassen habe, bin ich nicht kindisch! Ich bin einfach nur unschuldig... und will mit Menschen wie dir nichts zu tun haben...". "Weshalb sitze ich dir dann gekettet in einem Keller einer illegalen Lagerhalle gegenüber und nicht in einem netten Café?", hinterfragte er. "Du kannst ja Vieles sagen, aber diese Menschen sind gutherzig und meine Freunde. Im Gegensatz hast du immer noch die gleiche freche und herrische Einstellung wie damals. Geh zurück nach Hause und leb dein Leben. Ich lebe meins", fauchte er noch leise.

Danach wand er der Situation den Rücken zu und ging nach oben. Henry sah Zane unbehagen an: "B- bye...". Schnell war auch er aus dem Keller draußen. Zane wand sich an Ilus: "Lässt du mich wieder gehen? War das alles, was du wolltest?". "Im Morgengrauen", antwortete er knapp und ging niedergeschlagen als letzter die Treppe hoch. Dexter wollte ihm keine Schuld geben: "Danke für den Versuch, aber es ist wirklich nicht das, was ich jemals bräuchte". "Ich habe mich zu entschuldigen... Mein Sturkopf hört nicht gerne auf die Wünsche der anderen, sondern mehr auf meine eigenen...", sank er die Schultern. Henry schüttelte mit dem Kopf: "Das stimmt gar nicht. Du setzt gerne deine Ideen um, komme was wolle, aber du möchtest damit ja für andere da sein". Von Dexter bekam er Zustimmung: "Genau. Ich weiß, wie diese Euphorie ist. Manchmal sind gezwungene Hilfeversuche aber einfach die größten Reinfälle".

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Koi und Lucky prügelten sich lachend mit Kissen in Luckys altem Kinderzimmer ein. Da das Haus nie verkauft wurde, standen sogar noch die Möbel so wie damals. Nach einer Weile fiel Lucky auf sein ehemaliges Kinderbett, welches direkt laut knackste. Zwar schnaufte auch Koi, doch er stand noch: "Was soll das? Mal bist du außer Atem?". "Ich kann koordinierten Sport machen, aber Spielereien sind wirklich etwas für dich", lächelte er. "Was ein Glück deine Familie hat, dass sie dieses Haus auch wieder bekamen", nahm er sich einen Stuhl und setzte sich drauf. Nicht mal eine Sekunde, da brach er unter ihm zusammen. Lucky verhinderte Kois Gejammer: "Du bist nicht fett, der war schon damals morsch". Verlegen lächelte Koi den Fußboden an.

"Ich schätze, dass Kindheit gemeinsam mit dieser Bude auseinander fällt...", säuselte Lucky gegen die feuchte Zimmerdecke. Koi stand wieder auf und setzte sich zu ihm auf die Bettkante: "Und dennoch umrundet der Gedanke, hier zu bleiben, deinen Kopf". "Ich habe gut Geld auf meinem Konto... Wenn ich hier einen Job bekomme, dann könnte ich meine Eltern so weit unterstützen, dass wir sogar das Haus restaurieren könnten...", gab er als Argument. "Du hast jetzt schon genug, um ein ganzes neues Haus bauen zu lassen", hob Koi eine Augenbraue. Kurz war Lucky still, dann gab er zu: "Nein, ich habe das Meiste ausgegeben...". "Wohin?", fragte Koi neugierig. Darauf bekam er gar keine Antwort mehr. Koi stocherte ihn an: "Du hast Geheimnisse". "Du wirst es sehen, wenn du zurück in Amerika bist", schlug er seine Hand weg. "Wenn wir zurück in Amerika sind", korrigierte Koi ihn. "Yasuo... Ich weiß wirklich nicht, ob ich zurück will...", quengelte er.

Kois Blick sank etwas ein, doch wollte er sich das nicht anmerken lassen und legte sich neben ihn: "Ein letztes Mal wirst du doch noch an meiner Seite stehen, oder...?". "Immer werde ich das, nur in einem anderen Land...", versuchte er ihn zu überzeugen. "Auf einem anderen Kontinent, mit genau verkehrter Zeitzone...", fügte Koi hinzu, "Lass mich nicht allein...". Es knackste laut und beide rollten in der zusammen gebrochenen Mitte vom Bett ineinander rein, sodass sie sich die Köpfe anschlugen. Lucky meinte: "Ich verspreche dir, ich hole mir sogar neue Möbel". "Wunderbar...", murrte Koi traurig, "Ein neuer Ikea-Katalog in deinem Kinderzimmer wird mich bestimmt vor Einsamkeit schützen...". 

"Denke nicht, ich würde nicht mehr bei euch sein wollen... Ilus hat mir wahrscheinlich das Leben gerettet und du bist mein bester Freund, aber... Die Rettung ist jetzt ein paar Jahre her... Kurz bevor du hinzu kamst, wurde ich in die zweite Liga gestuft... Du warst nach zwei Monaten in der ersten Liga... Ich meine, ich kann es nachvollziehen. Da oben sitzen seine besten Freunde - diejenigen, die er als fähig und sympathisch empfindet. Dich könnte man davon nicht ausschließen. Ich beneide dich... Ilus hatte viele Probleme, doch meinte er vor paar Wochen, er würde mich eventuell hochstufen. Seitdem wurde sogar Arrow in die zweite Liga gesetzt... Ich... Ich fühle mich einfach vergessen; nicht gut genug für diese Gruppe. Wenn ich in meinem Heimatsort mehr erreichen kann, als in einem Job, den sogar ein Siebzehnjähriger besser ausführen kann, warum sollte ich dann zurück?", teilte er seine Zweifel mit. Koi war sehr überrascht, dennoch für ihn da: "Irland ist dein Heimatsort, doch bei uns bist du Zuhause. Ja, vielleicht hat Ilus es vergessen. Aber dann nicht dich. Jemanden in die erste Liga aufzunehmen wird ja groß zelebriert. Dafür gab es nicht viel Zeit. Was auch immer es ist - Du bist auf jeden Fall mehr wert, als du denkst". 

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