Klar werden

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Faye schlich sich ganz leise ans Zimmer heran. Sie hörte durch eine Tür weiter, wie Henry mit der ersten Liga eine Besprechung hielt, nachdem er sie am Vorabend so plötzlich abbrach. Danach öffnete sie heimlich den Raum, wo sie sich eigentlich hätten ausruhen sollen. Da sie sich so schnell zur Tür drehte, um sie möglichst lautlos zu schließen, entdeckte sie nicht, wie Koi doch noch im Zimmer lag. Direkt hockte sie sich auf den Boden, setzte eine Brille auf und fing an zu suchen. Koi fragte gleichgültig: "Suchst du hiernach?". Völlig erschrocken riss sie die Brille runter, warf sie weg und sah ihn großäugig an. Koi schüttelte enttäuscht mit dem Kopf: "Oh Mann. Dass du die Brille so wirfst, tut mir ja fast mehr weh, als du dein Handy einfach fallen gelassen hattest". "Warum von allen bist du der, der nicht bei den anderen mit redet?!". regte sie sich auf. "Ich bin faul", zuckte er mit den Schultern und wackelte mit einer kleinen Dose, "Also, willst du deine Kontaktlinse zurück haben?".

Schnaubend stand sie auf und wollte wieder gehen: "Behalte sie, ich hole mir neue". "Es ist schwer, eine nahe Entfernung mit Weitsichtigkeit einzuschätzen. Viel Glück, das Hauptqaurtier zu räumen. Ferne Ziele sollten ja nicht schwer sein, aber lauf nicht wieder gegen eine Tür", warnte er. Sie ballte die Fäuste und wurde laut: "Weitsicht ist ganz und gar nicht witzig!". "Ich kann dir ein Lied davon singen", stimmte Koi zu, "Hey, ich bin deswegen mal fast in ein scharfes Messer gelaufen. Shota ist hingegen kurzsichtig und hat mich warnen können. Was hast du? Plus drei?". Sie antwortete nicht, starrte ihn nur an. Er fügte hinzu: "Ich habe plus fünf". "Du kannst da so locker drüber sprechen...?", fragte sie leise nach. Ziemlich schnell verstand er ihr Problem und richtete sich etwas auf: "Okay. Welche Beleidigung war es? Brillenschlange? Vierauge?". Wieder blieb sie still und Koi setzte nach: "Sollte ich besser fragen, wer dich angegriffen hat? Ich meine, das hatte ich auch in der Grundschule. Aber als Shota eine Brille tragen musste, war es wieder cool. Mir haben die ganzen Beleidigungen aber nie etwas ausgemacht. Da du einen hohen charakterlichen Stolz hast, kann ich mir nicht vorstellen, dass es bei dir auch einfach nur Mitschüler waren".

"Du solltest doch einfach nur froh sein, wenn ich jetzt den Raum wieder verlasse und jede Chance nutze, um ein Gespräch mit dir zu vermeiden", war sie abweisend. "Ach, sorg dich nicht, dass mich jetzt interessieren würde, was deine Lebensgeschichte ist. Mit der Cola war nichts falsch und du versuchst Dienste für mich zu erfüllen. Ich habe lediglich das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen", tat er es ab. "Das... ist unerwartet... Scheint eine nette und zuvorkommende Seite von dir zu sein... Ich sehe jetzt zumindest, wer an deinen gescheiterten Beziehungen Schuld war und wieso... Gute Herzen werden gerne ausgenutzt, hm...?", atmete sie schwerer. Koi rechnete damit nicht: "Oh, die große Faye hatte eine schlechte Beziehung". "Eine?", lachte sie etwas verzweifelt auf.

Auch wenn er verletzt war, konnte er jetzt nicht auf sie sauer sein: "Da denken sie immer, dass man nichts kann, außer mit Trauben und einem Palmenwedel hinter einem her rennen. Hübsch aussehen, dumm lächeln und alles tun, was von einem verlangt wird. Das schätzt man nie". Sie nickte bedrückt: "Genau das". Es blieb kurz still, bis Faye zusammen gezogen fragte: "Wurdest du auch... misshandelt...?". Allmählich bekam er Mitleid: "Scheiße, das auch noch?". "Es war zum Glück nur die letzte Beziehung, aber ich weiß nicht, was heute noch lila und blau wäre außer meine Haare, hätte Emily auf der Straße nicht meine Wunden gesehen gehabt...", gab sie zu. Seufzend griff Koi zu den Krücken und robbte sich aus dem Bett. Er hob die Brille auf, welche noch ganz war, und brachte sie ihr.

Vorsichtig nahm Faye sie entgegen und schaute auf den Boden. Er schüttelte mit dem Kopf: "Etwas ist hier nicht richtig. Du kannst mir nicht sagen, dass du so schrecklich behandelt wurdest, jetzt aber in den letzten Wochen mir gegenüber dieses Verhalten hattest". Schwer holte sie Luft und brach in einem kleinen Lächeln aus: "Ich wollte dir eigentlich nichts verraten. Es hätte mir ein paar Dinge erschwert, aber na gut. Kann ich zu dir Nein sagen?". "Natürlich kannst du das. So wenig ich deine Anwesenheit auch mochte, ich werde dich nicht physisch angreifen. Du hast ein Recht auf Selbstverteidigung", sprach er dazwischen. Ihr Lächeln wurde größer und sie schüchterner: "Das ist nett zu hören... Ich... Nein, ja, nein. Ja, danke für den Zuspruch, aber nein, ich kann dich nicht im Unwissenden lassen. Yasuo... Dafür... hab ich dich zu gern...". Koi schluckte ängstlich.

"Als wir zum ersten Mal Wege gekreuzt haben, fand ich dich einfach sehr attraktiv und habe meine Fähigkeiten genutzt, um über dich zu recherchieren. Es war schwer zu finden, da du nur als böser Verbrecher dargestellt wirst, aber du hättest dich in einem Verhör gerechtfertigt, dass man dich so gemacht hätte. Du hättest das College gehackt, um Rache bei deiner Exfreundin zu finden. Alles andere dabei mitzunehmen, war außer deiner Kontrolle. Du warst nicht mehr nur hübsch und interessant für mich, sondern ich... Keine Ahnung, ich habe mich dir etwas gleich gefühlt. Dein großmäuliges Verhalten und alles... Von wem kenne ich es denn besser als mir? Mir war aber klar, dass ich mich jetzt nicht über dich hätte stürzen können. Dafür bist du noch zu verletzt. Ich wollte dich einfach durch nerven ablenken. Hey, wenn wir in ein paar Jahren wieder aufeinander treffen, dann hast du gefälligst eine hübsche, intelligente und liebevolle Freundin, okay?", öffnete sie sich ihm.

Es wurde ruhig. Dann stöhnte Koi gereizt auf, stützte sich auf seine Krücken, trat sein Bett heftig, griff zu einem Kissen und schrie hinein. Sie stand zusammen gezogen da: "Habe ich etwas Falsches gesagt?". Er warf das Kissen so stark aus dem Fenster, sodass es zerbrach und regte sich dann auf: "Neun Mal! Neun verdammte Mal bin ich hart auf die Fresse geflogen, weil ich mich bei völlig falschen Schlangen verloren habe! Und jetzt - dieses eine Mal - mache ich das genaue Gegenteil! Wie behindert bin ich eigentlich?!". "Es war doch von vorne rein nicht meine Intention, dass du dich in mich verlieben würdest. Dass du mich hasst, ist genau richtig", versuchte Faye ihn zu beruhigen. "Hassen?! Wie soll ich dich jetzt noch hassen?!", brach seine Stimme fast. Die Tür wurde aufgeschlagen und Lucky wütete direkt herum: "Was tust du hier?! Wusstest du, dass er alleine ist?! Verschwinde! Und du, junger Mann, zurück ins Bett!".

Faye hob die Hände schmunzelnd und drehte sich zur Tür: "Ich wollte ohnehin nicht länger eine Last sein". "Ja! Danke für deine Einsicht!", schrie Lucky sie an. Während sie den Flur runter ging, fiel Koi auf sein Bett und zog die Decke über seinen Kopf: "Ich denke, ich weine gleich...". Aufgebrachter lief Lucky Faye nach: "Was hast du jetzt schon wieder getan?! Stell dich mir, Weib!". Dabei bekam er einen Schwindelanfall und stolperte auf den Boden. Henry kam aus dem Nebenzimmer: "Lucky, dein Fieber!". "Scheiß... drauf!", murrte er, derweil er sich an der Wand hochzog und Faye weiterhin verprügeln wollte. 

Ihm kam Dexter entgegen, welcher seinem Hund nach lief. Sharks Sinne schlugen aus und er kam aus dem Raum, um Vanilla abzugreifen. Außer Atem stützte Dexter seine Hände auf seinen Knien ab: "Danke dir, endlich kann ich eine Pause machen. Ständig entdeckt sie Mäuse und rennt ihnen hinterher. Ich will nicht, dass sie verloren geht, deswegen muss ich ihr folgen". Shark neigte den Kopf: "Warum keine Leine?". "In letzter Zeit macht sie immer öfter Tricks. Nur ungerne möchte ich ihr den Raum für Talent nehmen. Nochmal danke, dass du auf sie aufpassen wirst, wenn der Rest von uns morgen im Kampf ist", lächelte er. Henry sah sich eigentlich Koi besorgt an, doch drehte sich rasch um: "Was?! Du machst mit?!". "Warum bin ich denn hier?", stellte er die Gegenfrage. "Ja, a- aber du hast deinen Teil doch schon geleistet. Ich dachte nicht, dass du in den großen Endkampf mitgehst. Kannst du überhaupt kämpfen?", wurde er fast krank vor Sorge. Er schüttelte mit dem Kopf: "Ich werde nicht mal eine Waffe ziehen, nur ausweichen und selbstverteidigen. Damit die anderen sich besser auf das Kämpfen konzentrieren können, soll ich im Hintergrund versteckt nach dem Leiter dieser Gruppe suchen".

"Dexter, nein...", sank Henry den Blick. Er war feste entschlossen: "Was? Immerhin kneife ich nicht wie du. Mir ist bewusst, wie viele Menschen diese Aktion retten kann. Ich kann Drogen nicht aus der Welt schaffen, aber dabei helfen, eine große Organisation zu erledigen. Anderen zu helfen kann nun mal manchmal bedeuten, sich selbst in Gefahr zu bringen. Ich weiß, dass ich nur soweit involviert bin, wie es meine physikalischen Fähigkeiten erlauben". "Bei so etwas geht aber immer etwas schief. Im schlimmsten Fall-", wollte er ihn davon abhalten, doch Dexter unterbrach: "Im schlimmsten Fall hatte mir Ilus nicht umsonst beigebracht, wie man mit einer Waffe schießt. Wirklich, du, die erste Liga, Kiki und Shota seid die einzigen, die morgen nicht mitmachen werden". "Wenn du meinst...", gab er nach, griff sich Lucky beim Kragen und schob auch Shark zurück in den Raum. Den Hund gab er Dexter zurück.

Zu seiner Rechten hörte Dexter leises Wimmern von Koi. Eigentlich hätte er auch gerne ihm geholfen, doch hatte er teils Angst vor ihm. Also schloss er die Tür und sah zuversichtlich den nächsten Tag kommen.

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