Kapitel 31. Anders

15 4 0
                                    

(1 Tag später)

Wunderbar. Einfach wunderbar. L Lawliet, Meister der Logik und bester Detektiv der Welt, war offensichtlich nicht in der Lage, eine Hand zu heben und gegen diese einfache Holztür zu klopfen. Und dass seit geschlagenen fünfzehn Minuten. Eigentlich wollte er gar nicht mit diesem Mädchen reden. Wer weiß, wie er sich am Vorabend aufgeführt hatte? Andererseits konnte sie, wenn sie freiwillig mit ihm getanzt hatte, auch nicht mehr ganz nüchtern gewesen sein. L fluchte leise.Das Fluchen wurde jedoch von einem erschrockenen Aufschrei abgelöst, als plötzlich die Tür mit Schwung aufgerissen wurde und ihm beinahe den Schädel einschlug.

L taumelte nach hinten und krachte mit dem Rücken in die gegenüberliegende Wand, worauf er langsam zu Boden rutschte. Mit vor Schock verzerrtem Gesicht hielt er sich den angeschlagenen Kopf und betastete seine aufgeplatzte Lippe. Er registrierte den metallischen Geschmack von Blut in seinem Mund und stöhnte gequält.

„Verdammte Scheiße! Welche scheiß verfickte Hoteltür öffnet sich verdammt noch mal nach außen! So ein Mi…“ Die Stimme verstummt jäh, als die junge Frau den verletzten Teenager im Flur erkannte. Ihre grauen Augen waren von tiefen Augenringen umrahmt und ihre langen haselnussbrauen Haare waren zu einem provisorischen Zopf zusammengefasst, der beträchtliche Ähnlichkeit mit einer Schlingpflanze aufwies. Sie trug nur ein viel zu großes graues T-Shirt mit der schwarzen Aufschrift: ‚LOL‘ und hellgrüne Boxershorts. Ihr ungeschminktes Gesicht verfärbte sich knallrot und sie wich einen Schritt zurück. L erkannte überrascht, dass die Braunhaarige English sprach…beziehungsweise English fluchte.

„Hallo. Ich dachte, ich schau mal vorbei.“ brachte er hervor und versuchte angestrengt, das Blutrinnsal in seinem Mundwinkel zu ignorieren.
Toller Auftritt, Lawliet, wirklich super.  
Die junge Frau starrte ihn an, wie ein Tier, dass sie soeben überfahren hatte. So falsch war das ja nicht einmal…
„Upps. Sorry…ich hab die Tür nicht aufbekommen und da…ich wollte eigentlich nur meine verdammten Schuhe suchen.“ murmelte sie und kratzte sich etwas verlegen am Kopf. Lawliet hievte sich auf die Beine und stützte sich dabei an der in hellem braun gehaltenen Wand ab.
„Kein Problem.“ brachte er hervor und versuchte sich an einem Lächeln. Lächeln ist zwar eigentlich immer gut, es sei denn man hat gerade mit einer Tür die Fresse poliert bekommen. Wahrscheinlich musste er wirken, wie ein verwahrlostes Tier, das soeben einen unschuldigen Passanten angefallen und zerfleischt hatte.

„Äh…du blutest da ein wenig.“ bemerkte die Braunhaarige und ging etwas zögernd auf ihn zu.
„Hab‘s gemerkt.“ stöhnte er und rieb sich wieder den unangenehm pochenden Kopf.
„Komm mit, ich hab sicher irgendwo ein Tuch…“ murmelte sie wieder mit schuldbewusstem Blick. Sie dirigierte ihn wortlos in ihr Zimmer, wo eindeutig das Chaos regierte. Berge von Wäsche türmten sich auf dem Sofa, darunter ein hübsches rotes Kleid, das L irgendwie bekannt vorkam. Auf der Antenne des Radios steckte eine lila Socke und eine Flasche Champagner thronte mitten auf einem Stapel aus Schuhschachteln, der sich aus unerfindlichen Gründen mitten im Raum befand. Auf dem großen Bett lagen einige Bücher, ein riesiger Stoffleopard und eine neongrüne Schlafmaske.Die Braunhaarige ließ ihn kurz los und kickte beiläufig etwas getragene Unterwäsche unters Bett, wobei sie ihm erneut einen entschuldigenden Blick zuwarf.

„Entschuldige das Chaos…ich nehm’s mit Ordnung nicht so genau.“
„Wirklich?“ kam es sarkastisch von L, der mit der Gesamtsituation reichlich überfordert war.
„Ich muss mich für gestern Abend entschuldigen…“ setzte er schließlich an. „Ich kann mich an so gut wie nichts erinnern deshalb…“
„Jaja ich weiß schon…Champagner.“ Sie warf der Flasche auf dem Kartonstapel einen vielsagenden Blick zu und fuhr dann fort:
„Tanzen kannst du immerhin.“
„Danke…könntest du bitte auf das Angebot mit dem Tuch zurückkommen. Ich würde ungern deinen Boden vollbluten.“ murmelte der Detektiv und hielt sich die Hand vor den Mund, um einige Tropfen davon abzuhalten, den hübschen Teppich einzusauen.
„Äh, ja klar, tut mir leid.“ entschuldigte die Braunhaarige sich sofort und rauschte ins angrenzende Bad. Wenige Momente später kehrte sie mit einem nassen Lappen und etwas Verbandszeug ins Zimmer zurück und wies L an, sich auf die fast vollständig von Skizzen, Kleidungsstücken und Brösel bedeckte Couch zu setzten.Lawliet tupfte vorsichtig seine Lippe ab, während die junge Frau seine Kopfwunde provisorisch verband.


„Ich habe ganz ehrlich keine Ahnung mehr, ob ich dich nach deinem Namen gefragt habe.“ sagte er nach kurzer Zeit der Schweigens.
„Anastasia Caroline Brianna Summer. Meine Freunde nennen mich Amy.“ kam es nur zurück.
„Du bist Rue Ryuzaki.“ stellte sie dann fest. Offenbar war sie doch noch bei klarem Verstand gewesen…zumindest zum Großteil.Nachdem L vorerst verarztet war, machte Amy sich daran, den Wasserkocher zu verwenden, um etwas Tee aufzusetzen. Minuten später knallte sie eine dampfende Tasse unbekannten Inhalts auf den Couchtisch und blickte Lawliet erwartungsvoll an. Sollte er das Zeug jetzt etwa trinken? Okay…offensichtlich schon.

Etwas zweifelnd schnupperte er an dem warmen Getränk. Zögernd streckte er eine Hand danach aus, zog sie dann aber zurück. Amy hielt inne und betrachtet ihn mit gerunzelter Stirn.
„Magst du deinen Tee nicht?“ fragte sie schmollend, schnappte sich Ls Becher und genehmigte sich selbst einen großen Schluck. Genießerisch schloss sie die Augen und schob die Tasse dann wieder L zu.
„Schmeckt doch gut!“L musterte das Getränk abschätzig. Er könnte seinen rechten Arm darauf verwetten, dass das Zeug nicht genug Zucker enthielt, um ihn zufrieden zu stellen und er konnte in der näheren Umgebung keinen Süßstoff ausfindig machen. Trotzdem hatte Amy sich extra die Mühe gemacht, den Tee zuzubereiten und er wollte sie nicht verärgern. Außerdem hatte er wirklich ziemlichen Durst. Entschlossen schnappte er sich die Tasse und stürzte das unbekannte Zeug in einem Zug hinunter. Er spürte, wie das heiße Getränk seine Kehle hinunter ran…und bereute im nächsten Moment zutiefst, es auch nur angerührt zu haben. Feuriger Schmerz schoss durch seinen Hals und er musste würgen. Seine Augen tränten fast augenblicklich und er konnte seine Zunge nicht mehr spüren.

„Waf if daf…!?“ brachte er hustend hervor. Mühsam vertrieb er das schier unerträgliche Brennen aus seinem Bewusstsein und funkelte sie wütend und mit glasigem Blick an.
„Magst du keinen Ingwertee? Also ich kann gar nicht genug von dem Zeug kriegen! Außerdem ist Ingwer sehr gesund und wirkt reinigend auf den Körper.“ belehrte ihn sein Gegenüber ruhig. Immer noch hustend blinzelte er die Tränen aus den geröteten Augen und seine Sicht klärte sich wieder, wenn auch nur langsam. Amy starrte ihn leicht amüsiert an, was der junge Detektiv nur mit einem leichten Schmollen erwiderte.

„Du bist verdammt niedlich, weißt du das.“ sagte sie nach einer Weile. L spürte wie seine Wangen heiß wurden. Na super…so viel zur unerschütterlichen Selbstkontrolle. Amy lachte nur und trank dann Ls Tee aus, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.
„Zocken?“ fragte sie dann plötzlich.
„Zocken…“ wiederholte der junge Detektiv und probierte das ungewohnte Wort aus. Amy sah das allerdings als Bestätigung und sprang eifrig auf. Kurz darauf flog ein Controller mit voller Wucht gegen seine Schläfe.
„Upps.“ kam es von der anderen Seite des Raumes, wo die Braunhaarige in einem Karton herumkramte und kurz darauf mit triumphierenden Blick einen weiteren Controller hervorkramte.
„Rot oder blau?“ fragte sie grinsend.
„Blau.“ antwortete er reflexartig, obwohl er keine Ahnung hatte, wovon sie eigentlich redete.
„Gut, dann kann‘s ja losgehen…!“

„Scheiße! Wie machst du das?“ fauchte Amy, die gerade den dramatischen Tod ihres Charakters durch Lawliets unbarmherzige Schläge hatte einstecken müssen.
„Ich nutze die gegebenen Bedingungen bestmöglich zu meinem Vorteil.“ erwiderte L und ein kleines Lächeln schlich sich auf sein blasses Gesicht. Drei Stunden hatten gereicht, um ihn mit der Steuerung des Spiels vertraut zu machen und jetzt besiegte er seine ältere Gegnerin schon zum siebten Mal.
„So macht das keinen Spaß…“ schmollte die Braunhaarige beleidigt und wippte auf der Couch vor und zurück, während ihre Finger unruhig auf dem hellen Stoff des Möbelstücks irgendeinen Marsch nachtrommelten. L diagnostizierte bereits eine Form von Hyperaktivität, als es plötzlich an der Zimmertür klopfte wurde und ein besorgt aussehender älterer Mann mit vornehmem Anzug hereingeschritten kam.

Seine Haare waren irgendetwas zwischen grau und blond und schon sehr dünn, aber er wirkte immer noch ziemlich durchtrainiert und die unverschämt teuer aussehende Uhr an seinem Handgelenk verlieh ihm zusätzlich zu den Klamotten das Aussehen eines reichen Geschäftsmannes. Er sah sich kurz um und erstarrte, als er den auf der Couch hockenden L registrierte. Seine hellgrauen Augen verengten sich zu zwei schmalen Schlitzen. Drohend schritt er quer durch´s Zimmer und baute sich vor dem mittlerweile leicht eingeschüchterten Jugendlichen auf.

„Würdest du mir bitte verraten, was du im Zimmer meiner Tochter zu suchen hast?“
...

L's Geschichte (Death Note) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt