"Wie heißt du eigentlich?“ erkundigte L sich, während er das kurze Leben einer äußerst flaumigen Teigtasche beendete. Über den Service im Erste-Klasse Abteil dieses Zuges konnte man sich wirklich nicht beschweren.
„M…Mail.“ antwortete der Rothaarige etwas verschüchtert. L hatte seine Reisetasche, die wie durch ein Wunder noch an Ort und Stelle gelegen hatte, wieder abgeholt und dann dank Mails Beschreibung endlich den Bahnhof aufgespürt. Jetzt lagen die beiden völlig erschöpft in einem der Schlafwägen. Mail trug eines von Ls weißen T-Shirts, da sein Pullover wirklich nicht mehr als solcher zu bezeichnen gewesen war. Die Brille hatte er sich nicht ausreden lassen, aber L hatte ihn schließlich einfach in eine Decke eingewickelt, da er beim besten Willen keine passende Hose für den Kleinen hatte auftreiben können.
„Bist Waise oder von zu Hause abgehauen?“ fragte er ihn frei heraus und Mail sah ihn betrübt an.
„Eigentlich war ich sogar eine Weile in der Schule, aber meine Eltern sind eines Tages einfach verschwunden. Mein Bruder hat mir gezeigt, wie man klaut. Aber er war sehr krank. Er hat gesagt er würde zum Arzt gehen…aber er ist nicht wieder zurückgekommen, also hab ich gemacht, was er mir erklärt hat.“L nickte nur stumm. Sollte er ihn jetzt trösten? Watari hatte ihn immer getröstet wenn es ihm schlecht ging…aber wie machte man so was denn? Er kannte den Jungen ja kaum, außerdem war dieser immer noch schuld am Ableben seines Mobiltelefons.
„Wie lange schon?“
„Was?“
„Seit wann ist dein Bruder…verschwunden?“ Tot.
„Seit es das letzte Mal geschneit hat. Deswegen war er auch krank. Es war so kalt…“Mail begann wieder zu frösteln und L beobachtete ihn schweigend. Dann griff er nach seiner Teigtasche und reichte dem Rothaarigen ein Stück. Dieser riss die Augen auf und sah ihn ungläubig an. Er streckte zögernd die kleine Hand nach der Mehlspeise aus und seine Augen leuchteten.
„D…Danke.“ sagte er dann und verschlang das Stück in wenigen Augenblicken. L hätte auch früher darauf kommen können, dass er Hunger hatte. Ihm wurde zunehmend bewusst, dass er absolut kein geeigneter Babysitter für ein offensichtlich verstörtes Kind war. Oder auch nur für irgendein beliebiges Kind.Der Zug ruckelte, als er zum Halt kam und die beiden beobachteten aufmerksam den fast vollkommen leeren Bahnsteig.
„Warum hast du mich mitgenommen?“ fragte Mail schließlich und L erkannte belustigt einen Funken Misstrauen in seinen dunkelblauen, fast schwarzen, Augen.
„Ich kenne jemanden der dir helfen kann. Darf ich dir eine Frage stellen?“ Mail nickte unsicher.
„Du sollst eine runde Torte mit nur vier geraden Schnitten in möglichst viele Stücke zerschneiden. Die Stücke müssen nicht gleich groß sein. Geschnitten werden darf nur senkrecht.In wie viele Stück kann man die Torte so maximal zerschneiden?“ Mails Augen weiteten sich.
„Was für eine Frage ist das denn bitte?“
„Sag mir deine Antwort.“ Mail schien angestrengt zu überlegen und Ls unwirkliche Hoffnung Wammy’s House erneut ein begabtes Kind mitzubringen sank. Doch dann riss der Rothaarige den Kopf hoch und antwortete stolz:
„Elf!“ L nickte. Aber raten konnte jeder…
„Und wie kommst du darauf?“
„Elf Stücke erhält man, wenn jeder Schnitt alle bisherigen Schnitte kreuzt, aber sich niemals mehr als zwei Schnitte in einem Punkt treffen.“ meinte der Junge und streckte sich ausgiebig. „Gegen ein Stück Kuchen hätte ich übrigens nichts einzuwenden…“ Lawliet nickte zustimmend.
„Ein großartige Idee…“…
Mail folgte zögernd der netten Dame mit dem blauen Kleid in das steinerne Gebäude. Etwas einschüchternd wirkte das Ganze schon auf ihn, aber eigentlich war er froh, dass der Schwarzhaarige ihn mitgenommen hatte. Wahrscheinlich wäre er demnächst ohnehin verhungert. Sein großer Bruder Matt war von einem Tag auf den anderen einfach verschwunden und Mail konnte sich einfach nicht erklären, wieso er nicht wieder zurückgekommen war, wie er es versprochen hatte. Neugierig warf er einen Blick auf die Kinder, die auf einer großen Wiese vor dem Haus spielten. Sie waren alle in dicke Jacken oder Mäntel eingewickelt und stießen beim Atmen dichte Wölkchen aus, die ein Zeichen für die herbstliche Kälte darstellten.
„Der Schlafsaal ist schon überbelegt, aber da ist ein ganz netter Junge der sicher liebend gern sein Zimmer mit dir teilen würde.“ erklärte die freundliche Dame, die sich als Mrs Madigan vorgestellt hatte. Mail nickte nur abwesend und sein Blick fiel auf eine sanft hin und her schwingende Schaukel die an einer großen Eiche befestigt war.
Wieso schaukelt dort niemand? , fragte er sich etwas verwirrt. Die anderen Kinder machten aus unerfindlichen Gründen einen großen Bogen um den gigantischen Baum. Merkwürdig.„Weißt du, hier bei uns ist es üblich, dass jedes Kind sich einen zweiten Namen zulegt. Als Synonym. Hast du dir dazu schon was überlegt?“ Mail zögerte. Wozu war das bitte gut? Er wollte doch keinen anderen Namen! Er war Mail Jeevas und sonst niemand! Andererseits wollte er keinen der freundlichen Menschen hier verärgern, sonst würden sie ihn vielleicht nicht aufnehmen und er schuldete es seinem Bruder, auf sich aufzupassen.
„Matt.“ flüsterte er leise und ließ traurig den Kopf hängen. Wieder sammelten sich salzige Tropfen in den Brillengläsern und der Junge schniefte bedrückt. „Matt ist doch schon mal ein toller Name. Aber wieso weinst du denn Kind, jetzt ist alles gut, hier bist du in Sicherheit…“
…
„Mello, das hier ist dein neuer Zimmergenosse Matt.“ Mello setzte sich so ruckartig auf, dass das Stückchen Schokolade das er eben noch verzehren wollte, aus seinem Mund katapultiert wurde und mit der weißen Bettdecke kollidierte, was einen ziemlich deutlich sichtbaren Fleck hinterließ. Der Blonde hustete und starrte dann ungläubig zur Tür, in der ein kleiner rothaariger Junge stand und ihn durch eine viel zu große Fliegerbrille anblinzelte.
„Was is’n das für’n Opfer?!“ keuchte er, während er sich immer noch von seinem Schokounfall erholte. Madigan verzog abfällig das Gesicht und drohte Mello mit erhobenem Zeigefinger:
„Dieses Kind hat viel durchgemacht und ich würde es sehr begrüßen, wenn du ihn etwas in die Gesellschaft hier integrieren könntest.“ Mello sah sie nur mit seinem besten ‚what-the-fuck‘ Blick an und versuchte seine Atmung halbwegs unter Kontrolle zu bekommen.
„Und warum genau ich?“ motzte er missmutig. Die Betreuerin wollte schon wieder zu einer Strafpredigt ansetzten, als der Rothaarige sie unerwartet unterbrach:
„Ich komm schon klar. Machen Sie sich keine Sorgen.“Madigan sah ihn kurz verwirrt an und Mellos Gesichtsausdruck war ebenfalls nicht der intelligenteste, den er an den Tag legen konnte. Matt stapfte wortlos ins Zimmer und setzte sich sichtlich erschöpft auf sein Bett. Madigan verließ schließlich den Raum und ließ die beiden allein. Verwirrt beobachtete der Blonde ihn von der Seite. Wieso redete der Neue nichts? Der Rothaarige schien völlig entspannt einfach nur auf den weißen Laken herumzuliegen und rührte sich nicht.
„Hey.“ rief Mello ihm schließlich zu, der die erdrückende Stille nicht länger aushielt.
„Hey.“ kam es ungerührt zurück, der Junge ignorierte ihn jedoch weiterhin geflissentlich. Aus unerfindlichen Gründen machte diese nicht vorhandene Aufmerksamkeit dem Blonden extrem zu schaffen und irgendwann warf er genervt ein Kissen auf den Anderen. Dieser starrte ihn zuerst nur perplex an, warf das Kissen aber schließlich zurück. So ging das eine Weile hin und her, bis Mello sich ein Herz fasste, aufsprang und den Rothaarigen am Handgelenk packte.
„Komm mit, ich zeig dir alles, was du kennen musst.“
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L's Geschichte (Death Note)
FanficIn dieser Geschichte geht es um die Vergangenheit von "L. Lawliet". Ich hoffe es gefällt euch.