Kapitel 37. Verzweiflung

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Adam Anderson strich sich eine schweißnasse Strähne aus dem vor Anstrengung leicht geröteten Gesicht. Keuchend stemmte der Zwölfjährige sich immer wieder hoch, nur um seine Arme kurz darauf wieder zu beugen. Nachdem er bis dreißig gezählt hatte brach er schließlich zusammen. Besorgt betrachtete der die mit Zahlen gefüllte Tabelle  vor sich. Seine körperliche Kondition hatte sich tatsächlich verschlechtert. Müde kauerte er sich wieder auf seinen Schreibtischstuhl und schlug sein Mathebuch auf. Nur noch ein bisschen pauken…

(Flashback)

Der kleine Adam sitzt vor dem Klavier und muss sich aufknien, um überhaupt die Tasten zu erreichen. Sein Privatlehrer schaut streng auf den Jungen herunter.
„Das kannst du doch besser! Na los, noch mal! Wir spielen dieses Lied jetzt so lange, bis du es endlich in deinen dummen Schädel hineinbekommst! So was Faules…“

A konzentriert sich, aber mit seinen knappen zweieinhalb Jahren fällt es ihm schwer, alle Tasten mit seinen kleinen pummeligen Fingern zu erreichen. Er ist so müde…

Aber wenn er dieses Lied lernt, kann er es seinen Eltern vorspielen, und sie werden endlich stolz auf ihn sein, ganz so wie er es sich immer gewünscht hat. Also noch einmal von vorne…

„Daddy?“
„Jetzt nicht, Kleiner.“
„Aba…“
„Ich sagte: JETZT NICHT!“

Geknickt ließ Adam den Kopf hängen. Dann sprach er seine Frage aber trotzdem aus:
„Daddy, wann arf ich endlich ur ule gehen? Ich will lernen…“ Sein Vater strich sich erschöpft durch die weißblonden Haare.
„Du bist gerade mal 2 Jahre alt, Adam.“ Meinte er stirnrunzelnd und wandte sich dann wieder seiner Arbeit zu. Das Kleinkind tapste erschöpft in sein Zimmer und kletterte mühsam in das weiche Bett. Dann würde er seinem Vater das Lied eben morgen vorspielen…vielleicht war dann Mama auch wieder mal zu Hause.

„In diesem Waisenhaus gibt es ganz viele Kinder, die so sind wie du.“ erklärte die übertrieben schlanke Frau mit den schulterlangen rostroten Haaren.
„Ja, Mama.“ sagte das Kind und umklammerte den kleinen hellblauen Rollkoffer etwas fester.
„Ich werde dich vermissen, mein Kleiner. Lern brav, verstanden?“
Adam nickte entschlossen und ballte die kleinen Hände zu Fäusten.
„Ich versprechs!“

Die Frau verschwand durch das schmiedeeiserne Tor und stieg in den wartenden Wagen. Sie drehte sich nicht einmal mehr um.

„A, wenn du jemals an L heranreichen willst, musst du dich etwas mehr anstrengen, verstanden?“ Roger blickte streng auf den Rothaarigen herunter und dieser schluckte schwer.
„Ich gebe mein Bestes, Roger!“ Der Zehnjährige biss sich fest auf die Unterlippe und blinzelte heftig. Wie er es hasste, andere zu enttäuschen! Wieso musste B nichts lernen? War er am Ende ein besserer Nachfolger für L als A selbst? Aber das durfte er nicht zulassen! L zu sein war sein einziges Ziel und seine einzige mögliche Zukunft! Und B würde ihm das nicht wegnehmen, er bemühte sich ja noch nicht einmal ordentlich! Der Rotäugige verstand einfach nicht den Ernst ihrer Mission, immer hatte er nur Blödsinn im Kopf! Adam fing an zu zittern und krallte seine Fingernägel in seinen Unterarm. Er musste sich noch mehr anstrengen und fleißiger lernen als bisher, dann wären L, Roger, Linda und Watari bestimmt stolz auf ihn, und B könnte ihn dann nicht mehr einholen!

(Flashback Ende)

Alles fühlte sich taub an…Adam war so müde. Das Koffein brauchte einfach viel zu lange um in sein Blut zu gelangen und er wollte nur noch schlafen, aber so kurz vor den Semesterprüfungen kam das gar nicht in Frage! Er musste wach werden, musste einen Weg finden sich zu konzentrieren! Angestrengt fixierte er das Mathebuch, das vor ihm auf dem Tisch lag. Nachdenklich wanderte sein Blick über die verschiedenen Lernutensilien und blieb an seinem Zirkel hängen. Er könnte doch…Mit zitternden Händen griff er nach dem Objekt und führte die Spitze langsam zu seinem Unterarm. Vielleicht würde er dadurch wach werden?

Als die Spitze sich langsam in die ungeschützte blasse Haut bohrte, schoss Adrenalin durch As Körper und ein wohliger Schauer jagte seinen Rücken hinunter. Vorsichtig zog er den Zirkel quer über seinen bleichen Unterarm und wimmerte kurz auf. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, etwas höher erneut anzusetzen und erneut eine blutrote Spur zu hinterlassen. Seine Sicht klärte sich und er sog scharf die Luft


„Lern brav, verstanden?“A nickte, wie zu sich selbst und lächelte, während warmes Blut aus den Wunden an seinem Arm rann und das weiße Papier auf dem Tisch tiefrot färbte.„Ja, Mama.“

„Und wenn dir so was noch mal einfällt, haben wir zwei ein Problem, verstanden!?“ zischte B den Kleineren an. Das blauäugige Waisenkind mit der blonden Stachelfrisur, das ihn vor kurzem noch so provokant angegrinst hatte, hing nun hilflos in Bs Griff. Der Rotäugige zerrte an dem hellgrauen Shirt und brachte seinen Mund ganz dicht an das Ohr des Neunjährigen.
„Meine Marmelade ist tabu für dich und für jedes lebendige Wesen auf diesem Planeten! Geht das in deinen kleinen blöden Stachelkopf?!“

Der Junge nickte hastig und stotterte:
„Alles klar B, ich hab verstanden!“ Beyond grinste zufrieden. Na also! Es ging doch…Achtlos ließ der den Blauäugigen, sein Name war Mike, fallen und stapfte dann missmutig zu dem fast leeren Marmeladenglas auf der Theke. Er schnappte sich das Behältnis und marschierte dann auf sein Zimmer, um die spärlichen Reste zu vertilgen, die dieser Idiot ihm noch übrig gelassen hatte.

Der Rotäugige drückte die Klinke nach unten und fast sofort schlug ihm ein viel zu vertrauter Geruch entgegen. Süßlich und irgendwie metallisch. War das…Blut? Misstrauisch schob Beyond sich in das Zimmer und atmete noch einmal tief ein. Eindeutig! Der Geruch war schwach, aber er war da. Beyonds nackte Zehen kratzten über den dunklen Holzboden, als er die unverkenntlichen dunklen Flecken auf dem Schreibtisch vor dem hohen Fenster erkannte.
„A? A, wo bist du?“Keine Antwort. Panisch stürmte B zu dem Möbelstück und erkannte einige weitere Flecken auf einem Zirkel. A hatte doch nicht etwa…nein, das musste ein Unfall gewesen sein! Sein Herz donnerte doppelt so schnell wie üblich gegen seinen Brustkorb und seine Handflächen wurden feucht vor Angst. Wenn seinem besten und einzigen Freund, abgesehen von L, etwas passieren würde, könnte er das nicht ertragen!

Mit schnellen Schritten näherte er sich dem Badezimmer am Ende des Flures und riss die Tür auf. Erleichterung durchströmte jede Faser seines Körpers, als er den blauäugigen Jungen an einem der Waschbecken erkannte, der sich seelenruhig die Hände wusch und etwas irritiert aufsah.
„Beyond?“ fragte A mit leicht zittriger Stimme. Dieser konnte sich nicht mehr zurückhalten und fiel seinem Freund stürmisch um den Hals.
„Ich dachte dir sei etwas passiert!“ schrie er ihn schon fast an und seine wackeligen Beine drohten unter ihm nachzugeben, also verstärkte er seinen Klammergriff und A keuchte erstickt.
„B! Du zerquetscht mich ja!“ beschwerte er sich und wand sich aus dem Griff seines Freundes.
„Mir geht es gut, keine Sorge!“
„Du blutest.“ gab B erschrocken zurück und A verbarg hastig seinen Hände hinter seinem Rücken.
„Ja, war ein Unfall.“ meinte er nur und sah B nicht an. Dieser verengte die roten Augen zu zwei schmalen Schlitzen und packte A dann ohne Vorwarnung am Kragen seines Hemdes.
„Ein Unfall also? Natürlich.“ spuckte er ihm entgegen. Wut pulsierte durch seine Adern und er konnte sich nur schwer davon abhalten, A gleich auch noch eine reinzuhauen.
„Ich bin doch nicht dumm! Wieso hast du das getan, A! Sag mir das!“

Adam erschauderte und wollte den Jüngeren von sich schieben, aber dieser war zu stark.
„Es tut mir leid, B. Das war das letzte Mal, ich versprechs dir!“ Beyond nickte einigermaßen zufrieden und ließ seinen Freund endlich los.
„Lass uns das verbinden.“ meinte er mit einem Nicken in Richtung Adams Unterarm. Der Blauäugige nickte stumm.

Es blieb aber nicht bei einer einmaligen Ausnahmesituation. A hatte nicht aufgehört, aber er verwischte die Spuren besser. Wenn sich gerade keine scharfkantigen Gegenstände in seiner Reichweite befanden, biss oder kratzte er sich. Beyond würde das nicht verstehen, er wusste ja nicht wie viel A tatsächlich lernen musste um seinen Posten als oberster Nachfolger für L halten! Aber A war sich sicher, dass es ihm guttat solange er sich nicht ernsthaft verletzte. Er fühlte sich lebendig und wach, während das Adrenalin durch seinen Körper schoss, sein erschöpfter Geist sich wieder aufraffte und von Adam zu Höchstleistungen angetrieben wurde.

Niemand würde verstehen, was ihn antrieb. Sie wussten nichts von dem ehrgeizigen Feuer, das von ihm Besitzt ergriffen hatte. Er würde sie alle stolz machen, dessen war er sich sicher. Er musste nur lange genug durchhalten…

L's Geschichte (Death Note) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt