Kapitel 4. Bastard

66 3 0
                                    

(6 Jahre)

Keuchend taumelte L gegen eine der Wände um möglichst schnell um die Ecke im Flur zu rasen und etwas Abstand zwischen sich und die hämisch lachenden Kinder hinter sich zu bringen. Panik schnürte ihm die Kehle zu und er trieb seine Beine an, schneller zu laufen. Irgendwann spürte er einen harten Griff im Nacken und ein brutaler Ruck beförderte ihn auf den Hosenboden. Schnell wischte er sich die verräterischen Tränen mit seiner kleinen Faust aus dem bleichen Gesicht und schaute eingeschüchtert auf.

Ein Tritt in gegen sein Schienbein ließ ihn vor Schmerz zusammenzucken. 
„Aufhören…“, murmelte er und ignorierte die Tatsache, dass sich der Aussichtslosigkeit seiner Bitten dank der letzten zwei Jahre durchaus bewusst war. Winselnd wie ein Hund rollte er sich zu einer Kugel zusammen und blendete die Beschimpfungen der Älteren Kinder einfach aus, so wie immer. 
L steht für lahm. 
L steht für lächerlich.
L steht für Loser.
L ist wertlos.
L ist ein Bastard.Niemand mag wertlose Bastarde.
Er wiederholte diese Worte in Gedanken wie eine Art Mantra, dass ihn die grausame Wirklichkeit begreifen ließ, während er an allen erreichbaren Stellen seines Körpers getreten wurde. 

Was genau war dieses Mal der Grund gewesen? Ach ja, er hatte einen Zehnjährigen davon abgehalten, einen der Neuzugänge von der Schaukel zu schubsen. Wenigstens konnte dieser jetzt unbehelligt schaukeln während man ihn hier zu Brei verarbeitete, dachte der Schwarzhaarige bitter.

Wieder führte er seinen Daumen zum Mund, das gab ihm irgendwie ein Gefühl der Sicherheit. Als ihn jedoch ein harter Schlag mitten ins Gesicht traf, schrie er erschrocken auf und registrierte benommen den Blutschwall, der aus seiner verletzten Nase schoss. 

L begann mitleierregend zu heulen wie ein verletztes Tier und versuchte verzweifelt, seinen Kopf mit den Händen vor weiterem Schaden zu schützen, als er plötzlich ein lautes Schimpfen hörte. Hoffnungsvoll schaute der Schwarzhaarige auf, jedoch nur damit seine Wange Bekanntschaft mit Wylers flacher Hand machen konnte. Lawliet sog scharf die Luft ein. Ein brennender Schmerz breitete sich in seinem Gesicht aus und er starrte völlig verängstigt in die boshaft zusammengekniffenen Augen der Alten. 

„Was bildest du dir ein! Das wischt du nachher auf, verstanden!?“, zischte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und deutete vorwurfsvoll auf die Blutlache vor dem Schwarzhaarigen. L nickte nur stumm und ließ resigniert den Kopf hängen.

„Wir haben Besuch.“, fügte sie dann noch kalt hinzu. Anschließend wandte sie sich noch einmal anklagend an den zitternden Jungen und bemerkte säuerlich: 
„Du bist hingefallen. Die Treppe hinunter.“ 
Dann wandte sie sich ohne ein weiteres Wort ab und ging einfach davon. Die anderen Waisen verzogen sich in den Aufenthaltsraum, um ihre möglichen Adoptiveltern kennenzulernen. Einer von ihnen trat noch einmal gelangweilt nach Lawliet, dieser reagierte jedoch kaum.  

L unterdrückte mühsam ein Schluchzen, hievte sich auf die dürren Beine und humpelte mühsam in Richtung Badezimmer. In seinem Zustand würde ihn niemand adoptieren, abgesehen von der Tatsache, dass Wyler jeden Interessenten mit Lügen über Ls Person ohnehin davon abhalten würde, ihm ein neues zu Hause zu schenken. 

Dennoch siegte seine Neugier und nachdem der Junge seine neuen Wunden provisorisch gesäubert und verpflastert hatte, hinkte er mit schmerzverzerrtem Gesicht ebenfalls in den Aufenthaltsraum. Als er das Zimmer betrat, beachtete ihn niemand. Alles wie gewohnt. 

Neugierig beobachtete er den Fremden, der gerade durch die Tür kam und sich aufmerksam umsah. Er war ein älterer Herr in einem vornehm aussehenden Anzug und einem freundlichen Gesicht. L lauschte gespannt, was der Mann zu Wyler sagen würde. Vielleicht wusste er etwas von Madigan. Langsam schlich er näher und schnappte einige Gesprächsfloskeln auf.

„Ich würde gerne einen IQ Test bei allen ihren Kindern durchführen. Ich arbeite zurzeit an einem wichtigen Projekt und würde ihre Kooperation sehr begrüßen.“ Was? Ein IQ Test? Würde er auch daran teilnehmen? Bestimmt würde er so schlecht abschneiden, wie in allem anderen auch…

Plötzlich spürte L zwei Augenpaare auf sich ruhen. Ein Zischen von Wyler und ein überraschtes Keuchen von dem Fremden.
„Was ist denn mit dem passiert?“, erkundigte der Mann sich, während L am liebsten vor Scham im Boden versunken wäre. Er bedeckte sein geschwollenes Gesicht mit den blassen Händen und entschuldigte sich sofort. Wylers Augen sprühten förmlich Funken und L glaubte, etwas Geifer in ihrem Mundwinkel zu erkennen. Grusliges Weib…

Das war offenbar auch der Gedanke des Fremden, denn er bat die Nonne, sich kurz mit L allein unterhalten zu dürfen. Wie bitte? Er wollte…sich mit ihm unterhalten? Allein? Mit IHM?

Wyler zögerte, warf L einen warnenden Blick zu und nickte dann kurz. Der Fremde ließ sich auf der verschlissenen Couch im Aufenthaltsraum nieder und winkte den Schwarzhaarigen zu sich. Dieser setzte sich zaghaft auf die äußerste Ecke des Möbelstücks und wagte es kaum, seinem Gegenüber in die Augen zu sehen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie der Fremde drohend die Hand hob. Instinktiv zuckte er zurück und hob die dürren Arme schützend vor sein ohnehin schon von Schrammen verunstaltetes Gesicht.
„Nicht schlagen! Bitte!“, flehte er und begriff im selben Moment, was für einen schrecklichen Fehler er begangen hatte. Wyler würde ihn sicher umbringen, wenn sie das erfuhr.

Der Fremde nickte jedoch nur kurz, ließ den erhobenen Arm wieder sinken und erhob sich dann.
„Gut, mehr Beweise brauche ich nicht.“ Seine Stimme wurde lauter und richtete sich nun an die Oberschwester. 
„Schwester Wyler? Ich nehme diesen Jungen hier in Gewahrsam. Bitte legen sie die nötigen Formulare bereit.“

L's Geschichte (Death Note) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt