Kapitel 22. Vergangenheit

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(16 Jahre)

„Ryuzaki.“ L hob den Kopf und erkannte Madigan, die im Türrahmen stand und ein Tablett mit etwas Kaffee und einer Schale Zucker bereithielt.
„Willst du nicht langsam mal eine Pause machen?“ erkundigte die Betreuerin sich etwas besorgt. Lawliet antwortete nicht, nahm nur wortlos das Tablett entgegen und hockte sich dann wieder an seinen Schreibtisch, während er sich einige Zuckerwürfel in den Mund fallen ließ und andächtig kaute.
„Das ist zurzeit nicht möglich.“ antwortete er einfach und starrte dann wieder auf den Bildschirm. Als Madigan sich hinter ihn stellte und über seine Schultern blicken wollte, klappte er den Laptop eilig zu und drehte sich genervt zu seiner Betreuerin um.
„Ist irgendetwas Nennenswertes  passiert oder könntest du mich jetzt wieder alleine lassen?“ fragte er etwas schroff.
„Dürfte ich wissen, was du da machst?“ erkundigte die Braunhaarige sich misstrauisch und nahm dabei genau denselben mütterlichen Tonfall an, den sie seit einem Jahr immer öfter an den Tag legte.
„Ich arbeite.“ kam es monoton zurück. 
Evelyn zog die Augenbrauen zusammen und runzelte leicht die Stirn.
„Du kannst es mir sagen, weißt du.“ meinte sie sanft. L nickte nur und sah zu Boden.
„Ich…habe etwas recherchiert, bezüglich…meiner Mutter.“ gab er dann leise zu.

Madigan fiel beinahe das nun leere Tablett aus der Hand. Damit hatte sie nicht gerechnet. Vielleicht verletzte es sie auch, aber L konnte es sich einreden, solange er wollte. Madigan war weder seine Mutter, noch war Watari sein Großvater, oder was auch immer. Er wollte endlich wissen, wo seine wahren Wurzeln lagen! War das denn wirklich so viel verlangt?
„Ryuzaki, wir wissen nicht, wer deine Mutter war. Wie willst du etwas über sie herausfinden?“
„Ich bin, ohne angeben zu wollen, einer der besten Detektive der Welt.“
„Niemand kann ganz ohne Hinweise einen Fall lösen.“ erklärte die Betreuerin sanft.
„Ich habe Hinweise.“ erwiderte L einfach.
„So so.“
„Schwester Wyler muss meine Mutter gekannt haben, da sie mich für ein uneheliches Kind gehalten hat. Vielleicht hatte sie nur eine Vermutung, aber die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie die Identität meiner Eltern kannte  beträgt über 80%. Es gibt also nur eine plausible Lösung. Ich muss zurück ins Waisenhaus und sie fragen.“

Evelyn war verblüfft. Wenn ihr Schützling sich seiner ehemaligen Waisenhausleiterin stellen wollte, hatte er seine traumatische Kindheit wohl endgültig überwunden. Die alte Schachtel verdiente es ohnehin, einmal für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen zu werden! Madigan hatte erfahren, was sie L nach ihrer Abreise angetan hatte und ihre grenzenlose Wut ließ sich nicht mit Worten beschreiben. Wenn sie gewusst hätte, dass die Situation derart eskalieren würde, hätte sie ihn schon viel früher dort raus geholt. Aber schließlich war ihr Mr. Wammy zuvorgekommen.

„Ich bin stolz auf dich.“ sagte Madigan dann ehrlich und entlockte L damit ein kurzes Lächeln, bevor dieser sich wieder dem Laptop zuwandte und offenbar gerade alle Angestellten des Heimes identifizierte.

L stand vor dem steinernen Gebäude und seine bloßen Füße gruben sich in die eiskalte Erde neben der Straße.
„Wieso wollte ich nochmal allein herkommen…“ murmelte er gedankenverloren vor sich hin und begann zu zittern, als ein gewaltiger Windstoß ihn beinahe von den Füßen riss. Vor dem Waisenhaus spielten sogar noch einige Kinder, die das Wetter keineswegs zu stören schien. Sie lachten und ließen kleine Blätter im Wind flattern, während andere sich nach drinnen verzogen, um Schutz vor dem aufziehenden Gewitter zu suchen. Wie passend.

Eine kleine Gruppe, etwas abseits von den anderen Waisen, zog Ls Aufmerksamkeit auf sich. Es sah aus, als spielten drei Kinder auf dem Rücken eines kleineren Jungen eine Art Brettspiel. Er fragte sich gerade, wie die kleinen Spielfiguren dem Wind den widerstehen könnten, als er nach genauerer Betrachtung den Hacken an der Sache sah. Wortwörtlich.Bevor er sich seines Handelns überhaupt bewusst war, hatte der junge Detektiv sich über den eisernen Zaun geschwungen und raste mit vor Wut geballten Fäusten auf die lachenden Kinder zu, die sich überrascht zu ihm umdrehten. Schlitternd kam er vor der Gruppe zum Halt und fand seine schlimmsten Vermutungen bestätigt.

L's Geschichte (Death Note) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt