Kapitel 2. Wissbegierung

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(2 Jahre)

„Miss Madigan! Miss Madigan!“ Genervt wandte sich Evelyn Madigan zu dem Kind hinter sich um. 
„Ja, Luke?“, fragte sie desinteressiert. Dieses Kind war so was von nervtötend. Es verpetzte sogar den Wind, wenn der ihm ein Blatt ins Gesicht wehte!
„Zombie hat mein Puzzle ruiniert!“, beschwerte er sich. Der Siebenjährige baute seit einer Woche an einem fünfhunderter Puzzle und verteidigte dieses wie eine Löwenmutter ihre Jungen. 
„Wer hat was getan, Luke?“, erkundigte sie sich verdrießlich.

Ihr Blick wanderte zu der Zimmerecke, in der sich besagtes Puzzle befand, es war jedoch nicht ruiniert sondern, im Gegenteil, komplett vervollständigt. Evelyn schaute erstaunt den blassen Zweijährigen an, der neben dem Puzzle hockte und sich die gerötete Wange rieb. 
„Luke, hast du ihn geschlagen!?“, schimpfte sie den Braunhaarigen. Dieser zuckte gleichmütig die Schultern. 
„Es ist MEIN Puzzle.“, murrte er missmutig und wich ihrem scharfen Blick aus. Die Betreuerin schritt eilig auf das schwarzhaarige Kleinkind zu und hockte sich vor ihm auf den Boden. 

„L?“ Als Antwort erhielt sie nur ein leises Schniefen. „Lawliet? Hast du Lukes Puzzle fertiggebaut?“ Ein zögerliches Nicken.
„Ich wollte nur helfen.“, brachte das Kind hervor und rieb sich wieder die geschwollene Wange. Evelyn war mehr als nur überrascht, dass ein Zweijähriger ein derart schwieriges Puzzle lösen konnte. 
„Hast du das allein gebaut?“, fragte sie neugierig weiter. L schüttelte den Kopf. 
„Der Rand war schon fertig...Es…es tut mir wirklich leid! Ich wusste nicht…“ Wieder ein Schniefen.
„Schon gut, aber lass das in Zukunft sein. Luke wollte allein an diesem Puzzle arbeiten.“, mahnte sie. Im Stillen nahm sie sich vor, diesen klugen Jungen in Zukunft im Auge zu behalten.

(3 Jahre)

Die Kinder saßen im Kreis um Madigan versammelt, und lauschten gespannt ihren Erzählungen. Es kam nicht oft vor, dass ihnen jemand eine Geschichte erzählte, und nun saugten sie jedes der Worte begierig auf. 
„Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“, beendete die Betreuerin das Märchen. Kurz war es still, dann plapperte eine helle Stimme neugierig los:
„Ist es eigentlich Notwehr, die böse Königin zu töten? Man hätte sie doch auch einsperren können, es ist nicht in Ordnung jemanden einfach so zu…“
„Halt die Klappe, L!“, kam es unisono von den anderen Kindern. L blinzelte kurz und ließ dann betrübt den Kopf hängen. 

Madigan verspürte einen Anflug von Mitleid beim Anblick des blassen Jungen. Okay, es war auf Dauer wirklich ziemlich nervenaufreibend, seine ständigen Fragen über Gott, Gerechtigkeit und wer weiß was noch zu beantworten, aber seine übernatürliche Intelligenz war nicht zu leugnen. 

Er war unterfordert und bekam eindeutig zu wenig Aufmerksamkeit, aber alles, was Madigan tun konnte, war ihm gelegentlich den einen oder anderen Buchstaben oder ein paar Zahlen beizubringen, da Oberschwester Wyler der Meinung war, ein uneheliches Kind verdiene keinerlei Sonderbehandlung oder Förderung.

Die übrigen Kinder im Waisenhaus mochten L nicht besonders, da er geradezu schmerzhaft aus der Masse herausstach und es ihm schwerfiel, seine Meinung für sich zu behalten. Meistens saß er mit seltsam angezogenen Knien und an den Mund gelegtem Daumen in der Zimmerecke und spielte mit kleinen Ästchen aus dem Garten, bis Schwester Wyler ihm die Stöckchen wegnahm und in den Ofen warf mit den Worten: „Lass den Dreck gefälligst draußen!“ 

Von da an bettelte er Madigan ständig an, ihm endlich das Lesen beizubringen. Das Kind war bemerkenswert stur und irgendwann hatte sie ihn unter dem Vorwand, ‚ein ernstes Wort mit ihm reden zu müssen‘ aus dem Zimmer geschleift und ihm in etwa zwei Stunden alle Buchstaben etwas näher gebracht. Drei Tage darauf konnte er flüssig lesen und auch auf dem Niveau eines Volksschülers schreiben.

Eines Abends fand Madigan einen kleinen Zettel vor ihrer Zimmertüre. Mit krakeliger Handschrift und einem offenbar abgebrochenen Farbstift hatte jemand auf das Papier gekritzelt:

Libe Miss Madigen

Danke für den Untericht, ich hab dich sehr lieb,

L

L's Geschichte (Death Note) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt