Saite 10

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╝ Saite 10 ╔
❝Zur Hölle❞

DER RISS SCHLÄNGELTE sich durch die Luft und sprang auf ein Seil eines Steifens zu, das in seiner Nähe hing

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DER RISS SCHLÄNGELTE sich durch die Luft und sprang auf ein Seil eines Steifens zu, das in seiner Nähe hing. Sobald er es berührt hatte, verfärbte sich der Weißton in ein bräunliches Farbgemisch, bis es schwarz wurde und sich kringelte. Rauchähnliches Gas stieg an der Stelle auf. Der Spalt wanderte am Faden entlang und dort, wo sein Schwänzchen den Kontakt zum Seil verlor, verwandelte sich die Farbe und Konsistenz zurück in das ursprüngliche reine Weiß.

Nachdem der Riss am Faden einige Zeit entlanggekrochen war, stockte er und sprang auf das nächste Seil über, das kaum einen Millimeter entfernt war und zur selben weißen Girlande gehörte. Er wanderte darauf die entgegengesetzte Richtung entlang, nur um wenig später wieder einen Minisprung zu einem dritten Faden vorzunehmen. Er schleppte sich von Seil zu Seil, bis er die andere Längsseite des Streifens erreicht hatte. Wegen des großen Umwegs, den er vor jedem Sprung zurücklegte, brauchte er länger als man erwartete.

Als er sich zum letzten Faden hindurchgeschlängelt hatte, der ans Nichts grenzte, sah er sich nach einer neuen Girlande um. Plötzlich war es, als blickte das schwarze Etwas geradewegs durch Biancas Augen in ihre Seele und vergiftete sie mit seinem Hass. Bewegung kam in Biancas Körper, als sich eine grauenvolle Vermutung in ihren Kopf bohrte. Keine Sekunde später sprang der Riss kraftvoll weg und schoss auf die Girlande über ihrem Kopf zu.

Durch die Erschütterung begann der Streifen zu wackeln und die auseinandergerissenen Seile, die sich zu wirren Knoten verstrickt hatten und Bianca trugen, lösten sich auf. Das Herz sprang ihr aus der Brust. Ihr Leben hing am seidenen Faden. Der Riss hatte noch ein halbes Dutzend Seilchen vor sich, bevor er das klaffende Loch inmitten des Streifens erreichen und zu ihr hinunterklettern würde. Unter heftigem Blinzeln sah sie dem Spalt dabei zu, wie er die Fasern zum Zischen und Rauchen brachte.

Bianca musste handeln. Jetzt. Sie sah an sich herunter. Sie musste sich aus dem Wirrwarr befreien. Ihre einzige freie Hand fummelte am Seil herum, doch sie konnte es nicht lösen. Hatte sie einen spitzen Gegenstand bei sich? Nein. Doch! Die Feder. Das konnte funktionieren. Mit aufkeimender Hoffnung, die in ihren Venen brannte, tastete sie sich an ihre Hosentasche heran und zog besagten Gegenstand heraus.

Ein Blick nach oben ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Dem Riss fehlten noch zwei Seile. Ihre Atmung beschleunigte sich und sie stocherte mit der Feder in dem gummiartigen Material herum, bis es so locker war, dass sie es mit der bloßen Hand auseinanderreißen konnte. Ihr Körper löste sich Stück für Stück aus den Fesseln und sie hielt sich am senkrecht runterhängenden Seil über ihr fest, das den Ursprung ihrer Fesseln darstellte. Erst als ihr zitternder Arm Halt gefunden hatte, durchtrennte sie die restlichen Gummifäden. Auf einen Schlag nahm der Druck um Bauch und Taille ab und die zerstückelten Seile fielen in das bodenlose Nichts hinein.

Plötzlich ging eine Vibration durch die Gummiliane, an der sie sich festhielt. Ihre Armmuskeln zitterten heftig und ihr Blick schoss nach oben. Ein Schrecken jagte durch ihren Körper und beinahe hätte sie losgelassen. Der Riss zupfte an ihrem Faden und ließ sich daran hinabgleiten. Ihre Beine umklammerten das untere Ende des Seils und das Gummi dehnte sich in die Länge. Ihr Körper wurde minimal nach oben geschleudert.

Ihr Herz setzte aus, doch eine Idee brannte sich in ihren Kopf. Nachdem sie den Blick vom Riss gelöst hatte, schaukelte sie nach unten und oben. Wie auf einem Trampolin hüpfte ihr Körper auf und ab. Das Schwindelgefühl in ihrem Kopf ließ sie glauben, ihr Gehirn würde mitspringen. Sie fühlte sich wie ein Wackelpudding. Die Dehnung des Seils nahm immer mehr zu und litt mehr und mehr unter ihrem Gewicht. Es ächzte und fühlte sich unter ihren schwitzigen Händen dürr und verletzlich an. Wie eine Saite, die kurz vor dem Reißen stand. Ein Blick nach oben ließ sie stocken.

Der Riss wurde durch die Unruhe des Fadens abgebremst und kletterte mit viel Vorsicht herab. Doch das war es nicht, was in Bianca ein ekelerregendes Gefühl von Angst und Kontrollverlust verursachte. Der Knoten. Er löste sich. Bianca ließ sich zitternd in die Dehnung des Seils hinunter senken und legte ein letztes Mal ihr gesamtes Gewicht hinein. Sie betete dafür, dass sie ausreichend hoch hinaufgeschleudert werden würde.

Das Seil ächzte und jammerte unter ihr. Sie biss die Zähne zusammen. Noch ein bisschen. Das mulmige Gefühl riet ihr, es nicht zu übertreiben, doch sie zwang sich dazu. Der Moment war da. Blitzschnell nahm sie ihr Gewicht vom Seil weg und ließ sich senkrecht nach oben schleudern. Ihre Hände ließen los und griffen nach oben, wo die Girlande immer näher kam. Blinzelnd flog sie durch die Luft. Die Haare wirbelten um ihr Gesicht herum. Das Herz schlug wild in der Brust. Alles in ihr schwebte in der Unsicherheit, ob sie die Seile zu fassen bekommen würde. Oder ob sie fallen würde.

Der Streifen trat näher und wie ein verzweifeltes Tier krallte sie ihre Finger in den ersten Faden, den sie zu fassen bekam, bevor das Gewicht sie gen Boden drücken konnte. Sie schloss ihre Augen und klammerte sich zitternd mit Armen und Beinen an der Girlande fest. Sie verharrte schweratmend für einen Augenblick, bevor sie das Knistern des Risses dazu ermutigte, sich hinaufzuziehen.

Bianca schlüpfte durch das wirre Loch mit dem Knoten und dem runterhängenden Seil. Die Fäden zitterten unter ihren Bewegungen, als wollten sie sie abschütteln. Als sie sich auf die Oberfläche des Streifens gehievt hatte, setzte sie sich aufrecht hin und schüttelte den Schwindel ab. Endlich Halt. Schwerkraft. Keine schmerzhaft angespannten Muskeln, die sie vor dem Fallen bewahren mussten. Sie ließ ihre Beine im Loch vorsichtig hinabbaumeln und blickte in die Tiefe hinunter.

Das lose runterhängende Seil war noch immer nicht gerissen, wurde aber nur noch von wenigen Fasern gehalten. Der Spalt war auf halben Weg wieder umgekehrt und kletterte voller Stress zurück zu Bianca hinauf. Heftig atmend suchte sie im Wirrwarr der Seile nach dem richtigen Faden und nahm die Feder zur Hand. Ihre Lippen waren fest aufeinandergepresst, als sie wie ein Psychopath auf das weißliche Gummi einstach. Der Blick war fest auf den schwarz verfärbten Teil der Liane geheftet.

"Fahr zur Hölle, Riss", knurrte Bianca und bohrte die Feder ein letztes Mal in den Faden. Die Fasern gaben nach. Mit einem dumpfen Geräusch wurde er durchtrennt und fiel in das Nichts. Ihr zitternder Atem war das Einzige, das noch zu hören war.

 Ihr zitternder Atem war das Einzige, das noch zu hören war

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