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❝Kein Himmel❞

BIANCA LIESS SICH ins Meer hineinfallen und schnappte panisch nach Luft

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BIANCA LIESS SICH ins Meer hineinfallen und schnappte panisch nach Luft. Das kühle Nass umhüllte ihren Körper und ließ ihn förmlich zu Eis erstarren. Durch die Grabeskälte wurden ihre Schwimmbewegungen ruckartig und drosselten ihr Tempo. Es erschien ihr nicht wie richtiges Wasser. Sie war von einer Flüssigkeit umgeben, die sich mehlig anfühlte. Winzige Körnchen rieben sich gegen ihre Haut. Sie erzeugten ein unnatürliches Kälteempfinden. 

Liz schwamm am schnellsten. Sie waren inzwischen so nahe, dass Bianca hinter dem Wasserdampf die rauschende Welle erkennen konnte. Sie schäumte sich und erhob sich in einem steilen Winkel. Wenn sie nach oben sah, konnte sie kein Ende mehr erkennen. Keinen Himmel. Nur weiße Schwaden.

Bianca kam nicht weiter. Sie drückte sich gegen die Wassermassen und versuchte anzukämpfen, aber sie blieb stecken. In ihrem Hals bildete sich ein Knoten. Möglicherweise wurde sie von einem Strudel festgehalten. Doch als sich plötzlich Sam zu ihr umdrehte und zurückschwamm, schlich sich eine andere Befürchtung in ihren Kopf.

"Es wird nicht funktionieren. Rein physikalisch gesehen. Es hat keinen Sinn", brachte er außer Atem hervor. Bianca beobachtete Liz, die wieder und wieder in geübten Bewegungen auf die Welle zuschwamm. Ihrem Zittern zufolge kam sie ebenfalls nicht mehr weiter. Finley hatte sie eingeholt und versuchte sein Glück. Er drückte sich gegen die Wassermassen, aber sie drängten ihn nach hinten. Keine Chance. Auch er steckte fest. "Wir müssen zurück."

Bianca antwortete nicht. Sie hatte Angst, dass die Worte ihre letzten Kraftreserven aufbrauchen würden. Sie atmete die dampfige Luft ein und hatte das Gefühl, daran zu ersticken. Sie war froh, dass Sam neben ihr schwamm. Wenn sie kurz vor dem Ertrinken war, konnte er ihr helfen. Doch soweit kam es nicht. Ein völlig anderes Problem lag vor ihnen und begrüßte sie mit einem Beben, das durch das Wasser vibrierte. Der Riss schaffte sich ein Weg durch das Meer und begann, die Flüssigkeit in sich hineinzusaugen. Als wäre er ein gigantischer Abfluss, rann alles in ihn hinein. Sie hatten es nicht mehr notwendig zu schwimmen. Der Boden unter ihren Füßen tauchte schneller auf, als ihnen lieb war.

"Weißt du, warum es nicht funktioniert? Warum wir nicht näher gekommen sind?", fragte Sam prompt, als er einen festen Stand hatte. Bianca stützte sich auf ihren Knien ab und schüttelte den Kopf. Ihre Lippen waren bestimmt blau.

"Keinen Plan", hauchte sie zwischen zwei Atemzügen. Das Rauschen der Wellen dämpfte ihre Worte ab und ließ sie im Wasserdampf verfliegen.

"Weil sich die Wellen auf uns zubewegen. Alle. Sie schwemmen einen immer zurück, egal wie lange man es versucht. Aber weißt du, warum sie sich auf uns zubewegen?", fragte er aufgeregt und sah sie mit funkelnden Augen an. Sie hob den Blick an und atmete tief durch. Langsam durchblutete der Sauerstoff wieder ihr Gehirn.

"Keinen Plan! Mach's nicht so spannend", seufzte sie und starrte ihn ungeduldig an. Ihr Nacken kribbelte bei dem Gedanken, dass irgendwo hinter ihr der Riss auf sie zukam und ihr jeden Moment scheinheilig den Boden unter ihren Füßen wegnehmen könnte.

"Weil sich Wände hinter den Wellen befinden. Sie werden uns einquetschen. Alles bewegt sich auf uns zu. Die Wände. Der Himmel. Der Boden. Alles", hauchte er und kam ihr immer näher. Bianca stockte bei seinen Worten. Ihr Blick huschte instinktiv nach oben und unten. Ihre Beine zitterten und ihre Kehle war wie zugeschnürt. Der Himmel würde ihnen wortwörtlich auf den Kopf fallen. "Aber das beste ist noch immer, dass du das aus irgendeinem Grund von Anfang an gewusst hast. Du hattest recht mit deinem Bauchgefühl. Du weißt tatsächlich Dinge, die wir nicht wissen. Deswegen wollte ich mich entschuldigen." Er sah beschämt hinunter.

"Nein. Du hattest recht. Ich muss mich bei dir entschuldigen. Es gibt keinen Plan und herumstehen hätte nichts gebracht. Ich wusste nicht, was wir tun sollten und ich weiß es noch immer nicht", gab Bianca zu. Sie riss ihren Kopf zurück und versuchte den Spalt zu erkennen. Oder wenigstens zu erahnen, wie weit er noch entfernt war. Ohne Erfolg. "Ich weiß es einfach nicht. Es ist vorbei. Wir sind tot." Sie presste ihre Augenlider aufeinander, da es schon wieder brannte. Sie durfte nicht in Tränen ausbrechen. Sie durfte nicht.

"Sind wir nicht. Wir wissen jetzt sehr viel mehr als vorher. Außerdem könnte noch etwas in dir drinnen stecken. Wenn du das Problem weißt, kennst du möglicherweise auch die Lösung", erklärte er aufgeregt und kam näher auf sie zu. Bei jedem Wort bekam Bianca Kopfschmerzen. Alles hing von ihr ab. Sie wollte das nicht. Der Druck der Menschenleben auf ihren Schultern zog sie hinunter. Tiefer als die Schlucht, in die sie der Riss befördern wollte.

"Aber ich weiß nichts! Ich weiß einfach nichts!", fauchte Bianca. Sie warf ihre Arme in die Höhe und sah zum vernebelten Himmel hinauf. Das Gewitter betonte ihren Zorn. Den Zorn auf sich selbst. Finley und Liz traten aus dem Meer hinaus. Während sie näher kamen, wurden ihre von Verzweiflung geprägten Mienen immer deutlicher.

"Beruhige dich", beschwichtigte Sam sie und senkte seine Stimme. "Vielleicht befindet sich dein Wissen nicht im Bereich des Gedächtnisses, auf den du zugreifen kannst. Vielleicht befindet es sich in deinem Unterbewusstsein." Bianca wollte schon den Kopf schütteln und sich von ihren Problemen abkapseln, doch bei den letzten Worten hielt sie inne. Die Welt stand still. Ruhe sickerte in sie hinein, als sie Sam anstarrte. Sie faltete ihre Hände.

"Das ist es", flüsterte sie. Ihre Lippen bewegten sich kaum, doch auf seinen entstand ein ermutigendes Lächeln. "Das ist es. Der Traum. Der seltsame Traum." Bilder schossen vor ihr inneres Auge und ließen sie kaum merklich zusammenzucken. Hoffnung und Furcht kämpften in ihr um die Überhand. Es trieb ihr den Schweiß auf die Stirn.

"Alles in Ordnung?", fragte Liz schwer atmend. Sie blieb neben Sam stehen und stützte sich bei Finley ab. Es schien, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen.

"Schwer in Ordnung", murmelte Bianca mehr zu sich selbst als zu Liz. Diese hatte inzwischen die Augen geschlossen und sich gegen Finleys Brust gelehnt. In seiner Miene zeichnete sich unendliche Angst ab, als er in Richtung des Risses blickte. Er fuhr sich durch die Haare und suchte zitternd nach seinem Hut. Wahrscheinlich hatte er mal wieder vergessen, dass er ihn verloren hatte.

 Wahrscheinlich hatte er mal wieder vergessen, dass er ihn verloren hatte

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