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❝Zukunftskapitel❞

MANCHMAL WAR ES besser, wenn man die Klappe hielt

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MANCHMAL WAR ES besser, wenn man die Klappe hielt. Wenn man log. In solchen Momenten musste man alle Stimmen im Kopf abschalten und sein Bauchgefühl eiskalt ignorieren. Genau das tat Bianca. Mit zusammengebissenen Zähnen zeichnete sie das Türchen, das Sam zu seinem gewünschten Ort bringen sollte. Zumindest war es das, was er von ihr verlangte. Sie hatte in Wirklichkeit etwas anderes vor.

Ihre Hände malten den letzten Strich des kleinen Quadrats und zauberten schwungvoll den Türknauf. Bianca schloss die Augen und dachte fest an den Ort, zu dem sie wollte. Sie konzentrierte sich auf eines der letzten Kapitel des Buches. Eine Szene, die sozusagen in der Zukunft lag. Möglicherweise war sie unversehrt, da sie sich weit weg vom Papiermeer und dem Papierwald befand. Außerdem war der Riss nicht mehr dort. Vielleicht hatten sich die Wände nur deswegen auf sie zu bewegt, weil der Spalt Zerstörung brachte. Da er jetzt weg war, könnte sich die Fantasiewelt inzwischen erholt haben.

Biancas Augenlider flatterten. In ihren Erinnerungen an diese ferne Szene war in der Nähe ein Wasserfall, zu dem sie gehen würde. Sie atmete tief ein, als könnte sie die dampfige Luft riechen. Die Welt wartete auf sie. Das spürte sie, als ihre Hand über das Türchen strich. Dahinter verbarg sich der Zukunftsort, an den sie fest dachte.

"Bist du fertig?", drängte Sam. Sie wurde aus dem zauberhaften Strom ihrer Erinnerungen gerissen und nahm ihre Hand weg. Ihr Kopf drehte sich wie in Trance zu ihm. Keine Sekunde nach ihrem zaghaften Nicken kniete sich Sam nieder und schob sie weg. Überrascht wirbelte sie ihre Arme umher, um ihr Gleichgewicht zu behalten. Er beachtete sie nicht weiter, sondern griff nach dem Knauf. "Leb wohl." Er widmete ihr einen knappen Blick, bevor er das Türchen öffnete. Glitzerstaub flog ihm entgegen und wehte ihm durch die farblosen Haare. Ein sanfter Wind brachte Bewegung in die stehende Luft. Sam streckte seine Beine hinein und senkte seinen Blick hinein. Er war kurz davor sich fallenzulassen, doch er hielt inne. Verwirrung zeichnete sich in seinem Gesicht ab.

"Tut mir leid", hauchte Bianca. Noch bevor Sam sich ihr zuwenden konnte, krabbelte sie auf ihn zu und gab ihm einen Schubs. Er fiel durch die Öffnung und verschwand in dem bunten Glitzerstaub. "Dich dem Tod auszuliefern, hätte ich nie über's Herz gebracht." Sie blinzelte, als der Wind ihr ins Gesicht blies. Kurz und schmerzlos. Ohne ihre Gedanken fertigzudenken, sprang sie hindurch. Ihm nach.

Biancas Hände streiften die Papierkante und schnitten sich beinahe daran. Sie entzog ihre Hände schnell genug. Ein hoher Ton kreischte in ihren Ohren, als sie hinunterfiel. Die Schwerelosigkeit ließ ihr das Herz aus der Brust hüpfen. Sie wollte nach Luft schnappen, doch ihre Haare flogen ins Gesicht und nahmen ihr die Sicht. Der Wind trocknete die Augen aus. Hektisch wirbelten ihre Arme umher, bis sie die Mähne gefunden hatte und sie zurückstreichte. Ihr Blick schoss zum Boden, auf den sie zuraste.

Ein Schrei verließ Biancas Kehle, der ihren ganzen Körper unter Strom stellte. Jedes ihrer Härchen stellte sich auf. Je näher der Grund kam desto mehr weiteten sich ihre Pupillen. Sie wollte ihren Kopf wegdrehen, um sich dem Grauen zu verschließen. Doch es gab kein Entkommen. Mit einem dumpfen Schmerz, der durch sie hindurchjagte, prallte sie auf.

In ihren Ohren klingelte es. Das Geräusch durchflutete ihren gesamten Körper, bis es in den Zehenspitzen kribbelnd aus ihr hinausfloss. Bianca krümmte sich und atmete die blumige Luft ein. Der Ton trat in den Hintergrund, sodass sie Vögel zwitschern hören konnte. Stöhnend richtete sie sich auf und griff nach ihrem Kopf. Er fühlte sich an, als hätte sie ihn gegen eine Betonwand knallen lassen. Ihre Hände fuhren durch das weiche Gras unter ihr. Der Blick schwenkte nach oben, als sie sich daran erinnerte, dass sie gerade aus dem Nichts gefallen war.

Da war ein Loch. Ein Loch im Himmel. Knisternd wurde es kleiner. Die dünnen Blätter krochen näher zueinander und verschlossen sich. Bianca blinzelte und die Öffnung war weg. Als hätte jemand mit einer riesigen Hand die Fläche glatt gestrichen. Sie schüttelte den Kopf und ihr Blick fiel auf Sam. Ein Schock durchfuhr sie, als ihr der Gedanke kam, dass er den Sprung nicht überlebt hatte. Er rührte sich nicht.

Bianca erhob sich stolpernd und lief zu Sam. Sie kniete sich nieder und rüttelte ihn. Auf ihre Bewegung hin atmete er die Luft scharf ein, was sie beruhigte. Er drehte sich auf den Rücken und öffnete seine Augen. Als sie sein Gesicht sah, stockte sie. Er war wieder normal. Die gruseligen schwarz-weißen Farben waren verschwunden.

"Was ist passiert?", murmelte Sam verschlafen. Er stützte sich am Gras ab und rutschte beinahe nach hinten. "War ich nicht gerade noch zwischen zwei Wänden und kurz davor zu sterben?" Er sprach so leise, dass Bianca erstarrte und die Worte noch einmal durch ihren Kopf wandern lassen musste.

"Wie meinst du das? Erinnerst du dich nicht an jetzt gerade?", sie biss sich auf die Lippen, um ihn nicht mit unzähligen Fragen zu durchlöchern. Während sie sprach, griff sich Sam mit schmerzverzerrter Miene an den Schädel. Es kam ihr vor, als hätte er einen Filmriss. Riss. Sie schüttelte sich und lenkte ihren Blick in den Himmel. Doch da war kein Spalt zu sehen oder zu hören. Zumindest noch nicht.

"Keine Ahnung was du meinst", brachte Sam hervor und holte sie aus ihren von Sorgen durchtränkten Gedanken raus. Sie runzelte die Stirn und überlegte hektisch, was sie ihm sagen sollte. Seinem Aussehen und Verhalten nach war Dark-Sam in ihm nicht mehr anwesend und noch dazu waren die Erinnerungen an das Nichts ebenfalls ausgelöscht. Das alles kam ihr rätselhaft vor.

"Also es ist so, dass ich außerhalb der Papierwelt einige Zeit herumgelaufen bin und dich irgendwann aus Langeweile gezeichnet habe. Du bist lebendig geworden und hast gesagt, dass du zurück in die Papierwelt musst, weil sich sonst deine Existenz auslöscht. Also habe ich eine Öffnung gezeichnet, durch die wir gesprungen und hier - in einem Kapitel, das weit in der Zukunft liegt -, gelandet sind." Bianca biss sich auf die Lippen und hoffte, dass er seine Erinnerungen nicht zurückbekam. Sonst würde er merken, wie wenig davon der Wahrheit entsprach. Aber sie hatte es einfach nicht gekonnt. Jemanden dem Tod ausliefern wollte sie nicht.

"Moment mal, Bianca. Moment mal", er schüttelte seine Verwirrung von sich ab und stand auf. 

 

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