Kapitel 6

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Pov Tsukishima

Ich war genervt. Es nervte mich, dass Yamaguchi mich die ganze Zeit an log, es nervte mich, dass er mir aus dem Weg ging und es nervte mich, dass es ihm offensichtlich schlecht ging und ich nichts tun konnte.

Ich hatte mich heute mit Yumi nach der Schule im Park getroffen und wir hatten viel geredet. Sie war so schön und aufrichtig. Sie war wie ein kleiner Sonnenstrahl, der in mein Leben drang. Als wir uns gerade aus einem Kuss lösten meinte sie etwas verwirrt: "Schau mal, da vorn steht Yamaguchi." Sie winkte ihm zu und begann zu lächeln. "Vielleicht hat er ja Lust noch mit uns ins Kino zu kommen oder so?" Sie schaute mich kurz an und ich nickte leicht.
Aber gerade als ich mich umgedreht hatte und auch etwas sagen wollte, drehte er sich um und rannte einfach davon. Total verwirrt schauten Yumi und ich ihm hinterher.
"Was war denn mit dem plötzlich los?"
"Ich weiß nicht." antwortete ich scheinbar gleichgültig, aber ich begann mir ernsthaft Sorgen zu machen. Ich merkte schon länger, dass er mir aus dem Weg ging und richtig sprechen tat er auch nicht mehr wirklich. Ich wollte unbedingt mit ihm sprechen.
Vielleicht war er ja wegen irgendetwas sauer oder es war etwas mit seiner Mutter oder seinem Vater passiert?
Ich hatte schon vor einigen Jahren gemerkt, dass etwas mit diesem Thema nicht stimmte, aber damals dachte ich es würde seinen Grund haben, wenn er nicht darüber reden wollte. Und nach einer gewissen Zeit wirkte es so als habe er sich wieder einigermaßen gefangen, aber dass er in letzter Zeit wieder zurück in diese Unnahbarkeit verfiel nervte mich gewaltig.
Lag es an Yumi und mir?
Ich dachte, er als mein bester Freund würde sich einfach freuen. Vielleicht etwas beleidigt sein, dass ich nicht mehr so viel Zeit mit ihm verbrachte, aber doch nicht total abgekapseln.

Ehrlich gesagt musste ich aber gestehen, dass ich ihn schon irgendwie vermisste. Klar, ich hatte jetzt auch Yumi, aber die Gespräche und die Zeit mit Yamaguchi waren etwas anderes. Sie fehlten mir.
Ich wusste nicht wie ich dieses Gefühl einordnen sollte.

Aber bevor ich mich noch mehr in Gedanken verrennen konnten küsste mich Yumi auf die Wange und lächelte mich an. "Hey, es wird schon echt dunkel, ich muss langsam nach Hause."
"Oh sicher." antwortete ich und erhob mich. Während wir zusammen die Straße hinunter gingen erzählte mir Yumi irgendetwas von der neuen Serie, die sie gerade schaute, aber meine Gedanken wanderten immer wieder zu Yamaguchi. Ich konnte ihn jetzt nicht im Stich lassen und ich wollte unbedingt wissen, was los war.
Ich beschloss also ihn später zu besuchen.

Nachdem ich Yumi nach Hause gebracht und mich verabschiedet hatte musste ich aber zunächst einmal ebenfalls nach Hause. Meine Schritte wurden, je länger ich ging immer länger und schneller bis ich schließlich nach Hause rannte. Diese ganze Sache mit Yamaguchi wühlte mich innerlich total auf. Ich hoffte, dass sich alles spätestens im Trainingscamp nächste Woche klären würde. Da konnte er meinen Fragen wenigstens nicht einfach davon laufen.
Als ich zu Hause ankam schrieb ich ihm ein paar Nachrichten, aber er antwortete nur mit einer Ausrede, von wegen Anruf oder so.

Also schaute ich nach dem Essen, zu dem ich leider vorerst von meinem Bruder genötigt wurde, bei Yamaguchi vorbei.
Nachdem ich geklingelt hatte, hörte ich leise Schritte hinter der Tür und ein frisch geduschter Yamaguchi schaute mir etwas verwirrt entgegen. Ich musste zugeben, mit diesem oversize Pullover, den er an hatte, sah er verdammt niedlich aus. Tch, das war jetzt wirklich der falsche Augenblick.
Wortlos drückte ich die Tür auf und ließ mich quasi selbst herein. Es war mir egal ob seine Eltern da wären, ich war eben ein wenig wütend auf ihn und wollte jetzt verdammt nochmal von ihm hören, was er sich dabei bloß dachte.
Als er nach einer Weile immer noch nichts gesagt hatte und nur in der Tür rum stand ergriff ich doch das Wort:"Was soll das? Warum bist du vorhin weggelaufen? Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich das mit dem Anruf schlucken würde, oder?"
Ich versuchte, es nicht allzu aufgebracht klingen zu lassen. Sonst war ich doch auch so cool, warum brachte mich denn sowas aus dem Konzept?!
Er stammelte irgendwas von wegen was ich hier machen würde, aber das war doch jetzt total nebensächlich.
Und dann fragte er auch noch warum ich mir Sorgen machte?!
Was war das denn für eine Frage?
Ich merkte, wie die Wut in mir langsam immer größer wurde.
"Verdammt Yamaguchi, was ist mit dir los? Seit Tagen bist du total seltsam, kannst dich nicht konzentrieren, triffst keinen Ball und starrst ständig Gedanken verloren in der Gegend rum!" versuchte ich mich auszudrücken, aber durch sein Zucken merkte ich, dass ich schon beinahe geschrien hatte.
Ich wollte ihm doch keine Angst machen, aber ich war einfach verdammt wütend.
Und wieder stammelte er irgendeine Lüge. Von wegen 'schlecht geschlafen', er konnte doch nicht ernsthaft glauben, dass ich ihm das abnahm. Also unterbrach ich ihn leise, um nicht versehentlich wieder los zu schreien.

Seine Antwort verwirrte mich umso mehr. "I-ich kann n-nicht!" Dieser eine Satz, von Schluchzern unterbrochen, raubte mir all meine Wut und hinterließ nur Verwirrung und Verzweiflung.
"Ich hab doch gesagt es g-geht mir gut, d-das reicht d-doch."
Er drehte sich weg und sah zu Boden. Was war bloß los? Ich wollte doch nur helfen, ich wollte für ihn da sein. Er war doch mein bester Freund.
Langsam erhob ich mich und ging langsam auf ihn zu.
Ich konnte noch nie besonders gut mit Gefühlen umgehen und die richtigen Worte fand ich auch nie, aber jetzt war mir egal, ob es das richtige war oder nicht.
Ich nahm ihn einfach in den Arm. Ich merkte wie er sich anspannte und es wirkte kurz so als würde er sich los reißen wollen, aber nach kurzer Zeit entspannte er sich wieder und weinte ungehemmt in meine Schulter.
Mein Shirt wurde immer nasser, aber das störte mich nicht.
Ich genoss diese Umarmung regelrecht.
Ich musste daran denken, dass die Umarmungen mit Yumi anders waren. Nicht so warm.
Aber ich war doch ihr Freund, über so etwas sollte ich mir also keine Gedanken machen.
Irgendwann hatte Yamaguchi sich wieder etwas gefangen und hob unsicher den Blick.

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