Kapitel 10

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Pov Tsukishima

Ich hatte vorgehabt Yumi zu Fragen, ob sie sich im Bus vielleicht woanders setzten könnte, weil ich mit Yamaguchi reden wollte.
Aber Yumi überhörte meinen Einwand und ließ sich auf den Platz neben mir fallen, während sie mich mit irgendetwas vollquatschte. Ich musste zugeben, dass sie wirklich überhaupt nicht zuhören konnte. Sie erzählte total viel, aber man hatte nicht das Gefühl, sie würde auch einem selbst zuhören.
Ganz anders als bei Yamaguchi. Bei ihm hatte ich das Gefühl ich könnte seinen Ausführungen Stunden lang lauschen, auch wenn ich immer etwas desinteressiert wirkte. Ich hörte ihm in der Tat immer aufmerksam zu und er mir, wenn ich denn mal etwas sagte.

Ich schaute mich um und fand ihn schließlich etwas weiter hinten. Er saß allein am Fenster und hörte wohl Musik.
Irgendwie sah er etwas verloren aus.
Ich hatte ein schlechtes Gewissen, ihn so zu vernachlässigen.
Der Abend, als er einfach in meinen Armen angefangen hatte zu weinen ging mir nicht mehr aus dem Kopf.
Was war es denn, was ihn nur so sehr bedrückte?
Ich wollte im Trainingscamp unbedingt mit ihm sprechen, aber es schien so als würde er mir aus dem Weg gehen.
Seufzend drehte ich mich wieder in Fahrtrichtung und wollte gerade meine Kopfhörer aufsetzen, als ich ein beleidigtes Schnauben neben mir vernahm.
Ich drehte etwas überrascht den Kopf und schaute direkt in Yumis zusammengekniffene Augen.
Da hatte ich doch tatsächlich für einen Moment vergessen, dass sie dort saß. Ups.

"Hörst du mir überhaupt zu? Ich habe seit Vorgestern das Gefühl du bist in Gedanken ständig woanders." Sie klang ziemlich beleidigt und ich seufzte noch einmal.
"Ich mache mir nur Sorgen um jemanden."
"Wen denn? Ich dachte ich bin dir gerade am Wichtigsten?!"
Okay, dieser mini Ausbruch überraschte nicht jetzt wirklich.
In einer gesunden Beziehung ging es doch nicht darum all seine Zeit und Gedanken seinem Partner zu opfern, oder?
Ich meine, klar, Yumi war jetzt ein großer Teil meines Lebens, aber Yamaguchi und meine Familie, und wenn ich recht überlegte auch das Team, waren eben auch wichtig. Die könnte ich ja nicht einfach so vergessen.

Gott sei Dank entkam ich einem weiteren Gespräch, in dem Herr Takeda ankündigte, dass wir nun drei Stunden fahren würden. Schnell setzte ich meine Kopfhörer auf und tat so, als würde ich Yumis wütenden Blick nicht bemerken.

Als wir ankamen, begrüßten uns die Spieler der Nekoma und Kuroo verwickelte mich direkt in ein Gespräch. Ich antwortete zwar nur sehr einsilbig und eigentlich wollte ich auch viel lieber schon reingehen, aber Yumi hörte Kuroo umso gespannter zu und fragte ihn zu allem Möglichen aus.
Nach ungefähr fünf Minuten wurden wir endlich von Ukai mit den Worten "Quatschen könnt ihr auch noch nachher" in unser Gebäude geschickt.

Im Schlafsaal angekommen sah ich, wie Yamaguchi auf einer der hinteren Futons saß und irgendwas am Handy spielte.
Natürlich belegte ich den Platz neben ihm. So etwas war vor einiger Zeit noch selbstverständlich gewesen, aber kurz sah er mich etwas verwirrt an, bis Daichi das Essen ankündigte.
Mit Yamaguchi zusammen lief ich Richtung Speisesaal und nahm, nachdem ich mir etwas zu Essen genommen hatte, neben ihm Platz.
Yumi setzte sich, immer noch beleidigt, demonstrativ gegenüber von Yamaguchi, was mich, wenn ich ehrlich war, aber gar nicht störte.
Langsam fragte ich mich wirklich, ob unsere Beziehung eine gute Idee war.
Schnell schüttelte ich den Kopf.
Was waren das denn für Gedanken? Jetzt zweifelte ich auch noch an meiner Beziehung, was kam als nächstes? Stellte ich dann fest, dass ich gar nicht Hetero sondern doch Bi oder sogar schwul war?!
Mit einem leisen "Tch" wandte ich mich wieder meinem Toast zu. Das Rührei hier schmeckte ziemlich durchschnittlich, aber Yamaguchi schien sich fast übergeben zu müssen.

Bevor ich reagieren konnte war er auch schon aus dem Speisesaal verschwunden.
Mein verwirrter Blick wanderte zu Sugawara, aber der sah mich nur leicht angesäuert an und widmete sich dann wieder seinem Essen.
Was war denn mit dem los?

Nachdem ich rasch aufgegessen hatte stand ich genervt auf. Ich wollte unbedingt mit Yamaguchi reden und da bot sich wohl keine bessere Gelegenheit, als wenn ich ihm einfach folgen würde.
Ich sagte also zu niemand bestimmtem :"Ich geh mich dann auch schon mal fertig machen." und verließ den ohnehin viel zu vollen Speisesaal.

Gerade als ich um die Ecke biegen wollte, stieß jemand gegen mich.
Überrascht taumelte ich ein paar Schritte zurück, fing mich aber schnell wieder und richtete meinen Blick auf Yamaguchi, der in mich hinein gerannt war und nun total verwirrt auf dem Boden saß.
Irgendwie sah er schon süß aus, wie er da so verdattert vor mir saß.
In Gedanken scholt ich mich selbst. Warum kam mir denn jetzt so ein Gedanke in den Sinn?
Langsam stand Yamaguchi auf und murmelte leise eine Entschuldigung.
Ob es ihm wohl unangenehm war, dass er vor mir geweint hatte?
Er fasste sich an den Arm und verzog ganz kurz und beinahe unmerklich sein Gesicht.
"Ist alles okay bei dir?" fragte ich daher etwas vorsichtig.
"Oh ja sicher." Und da war es wieder. Dieses breite Lächeln, dem ich doch nicht so ganz glauben mochte.

"Zeig mal deinen Arm." forderte ich, zugegeben etwas unüberlegt.
Sofort zuckte er zurück. "Nein, nein, es geht schon. Was machst du denn hier? Ich dachte ihr esst alle noch?"
Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich auf eine Antwort drängen oder ihn fürs Erste lieber in Ruhe lassen sollte.
Ich entschied mich für letzteres und antwortete wahrheitsgemäß: "Ich hab dich gesucht. Ich wollte mich versichern, dass alles okay ist. Es tut mir Leid, dass du im Bus so allein sitzen musstest und ich wollte dir sagen, dass es nicht meine Absicht ist dich zu vernachlässigen. Ich will eigentlich Yumi und dich und auch das Training unter einen Hut bekommen und es tut mir Leid, dass du jetzt darunter leiden musstest." Wow, soviel hatte ich glaube ich noch nie am Stück geredet. Zumindest nicht über irgendwelche Gefühle. Wobei, bei meinem kleinen Wutausbruch bei Yamaguchi zu Hause hatte ich auch viel gesagt.
Eigentlich war das auch gar nicht meine Art, aber bei Yamaguchi wollte ich einfach mit der Wahrheit rausrücken.

Und wieder kam mir der Gedanke, ob ich dieses Gefühl auch bei Yumi hatte. Und ganz ehrlich, ich musste verneinen.
Gerade deshalb fühlte ich mich im Moment wirklich mies. Das war weder Yamaguchi noch Yumi gegenüber fair.
Ich seufzte.
"Ist schon gut." antwortete Yamaguchi leise. Ich sah ihm in die Augen und zu meinem Schrecken konnte ich schon wieder Tränen in ihnen sehen.
Gerade als ich meine Stimme erheben und etwas sagen wollte, von dem ich nicht einmal selbst wusste, was es gewesen wäre, nickte Yamaguchi einmal und drückte sich dann an mir vorbei.
"Ich gehe schon mal aufbauen, du kannst ja gleich nach kommen, dann können wir wieder Annahmen üben." Und mit diesen Worten war er weg und ließ mich total empört und genervt im Flur stehen.

Verdammt nochmal, diese blöden Gespräche führten doch zu nichts! Ich hatte immer noch keine Ahnung, was Yamaguchi Vorgestern mit "Ich kann nicht" meinte und was sein Problem war hatte ich auch noch nicht raus gefunden.
Wütend kickte ich einmal gegen die Wand, bis ich mich wieder etwas beruhigt hatte, meine Brille zurecht rückte und mich auf den Weg ins Bad machte.

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