Kapitel 9

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Pov Yamaguchi

TW

Ich setzte die Klinge an meinem Arm an und zog einmal darüber.
Der Schnitt war nicht besonders tief, aber er begann sofort zu bluten und ich zuckte zusammen.
Es tat weh, keine Frage, aber ich konnte für diesen kurzen Augenblick nichts weiter als diesen Schmerz fühlen. Meine Gedanken waren leer, nichts war mehr da.
Ich wollte dieses Gefühl noch einmal fühlen. Nichts denken zu müssen. Es war so, als würde dieser Schmerz mir für einen kurzen Augenblick all meine Last nehmen.
Ich zog die Klinge noch einmal über meinen Arm und dann noch einmal. Immer wieder. Die Schnitte wurden von Mal zu Mal tiefer, aber es machte mir nichts mehr aus. Ich wollte nur weg, ich wollte, dass meine Gedanken aufhörten.

Nach einer Weile hörte ich durch das halb geöffnete Fenster ein Auto vorbei fahren. Dieses einfache, banale Geräusch brachte mich wieder zurück in die Realität. Ich betrachtete die Klinge auf meiner einen und den blutübertrömten Arm auf meiner anderen Seite und mir wurde bewusst, was ich gerade getan hatte.
Das Erstaunliche war, dass ich es nicht bereute. Ich dachte daran, dass es doch kurz vor dem Trainingscamp war und dass ich dort ein echtes Problem haben würde, aber den Schmerz und die Tat an sich bereute ich kein bisschen. Es hatte mir für eine kurze Zeit aus meinen Gedanken geholfen und ich war dankbar dafür.

TW Ende

Schnell säuberte ich die Klinge und legte sie zurück. Dann verarztete ich meinen Arm so gut es ging und legte mir einen Verband an.
Schließlich wischte ich noch den Boden und das Waschbecken sauber und ging zurück in mein Zimmer.
Das beklemmende Gefühl des nicht atmenzukönnens war verschwunden und ich schloss das immer noch geöffnete Fenster.
Rasch zog ich mich um und legte mich in mein Bett.
Kurze Zeit später schlief ich ein.

Am nächsten Tag wurde ich früh von meinem Wecker geweckt. Heute war der Tag, an dem wir zum Trainingscamp fahren würden.
Ich packte also meine Sachen. Im Bad stoppte ich.
Sollte ich die Klinge mitnehmen? Nur vorsichtshalber, falls ich wieder dieses Gefühl von gestern bekam. Andererseits, falls die jemand finden sollte wäre ich geliefert.
Ich stand mehrere Minuten im Bad und wog beide Seiten ab.
Schließlich verstaute ich sie vorsichtig in meiner Tasche, redete mir aber ein sie nicht brauchen zu werden.
Nachdem ich fertig gepackt und mich angezogen hatte, verabschiedete ich mich kurz von meiner Mum und trat vor die Tür.
Das Camp sollte zwei Wochen dauern und ich musste diese irgendwie überleben.

Als ich am Bus ankam waren schon fast alle da. Nur Tanaka fehlte noch, aber kurz nach mir stürmte er völlig außer Atem um die Ecke und entschuldigte sich damit, einer alten Dame über die Straße geholfen zu haben.
Die Skepsis war uns wohl allen anzusehen, denn er beteuerte noch drei Mal, dass wir ihm ruhig glauben sollten und er uns genau beschreiben könne wie die Dame aussah.
Daichi unterbrach ihn schließlich mit den Worten: "ja, ja. Ist schon gut, jetzt kommt, wir wollen losfahren!"
Wir stiegen alle ein.
Yumi hatte sich neben Tsukki gesetzt, weswegen ich still auf der Sitzreihe hinter Kageyama und Hinata Platz nahm. Ich wollte nicht direkt hinter Tsukki sitzen, das hätte ich nicht ertragen.
Ich spürte Sugawaras besorgten Blick auf mir, ignorierte diesen aber gekonnt und machte mir Musik an. In letzter Zeit war Musik die willkommene Ablenkung für mich und ich verstand langsam, warum Tsukki immer mit Kopfhörern durch die Gegend lief.

Nach gut drei Stunden waren wir angekommen. Es war ein Trainingscamp mit der Nekoma, wir hatten aber ein eigenes, kleines Gebäude für uns, in dem unser Schlaf- wie auch der Waschraum untergebracht waren.
Gegessen wurde in einem etwas größeren Saal mit allen zusammen.
Die Nekoma war schon vor uns angekommen und begrüßte uns, als wir gemeinsam aus dem Bus stiegen.
Ich gesellte mich zu Sugawara, Daichi und Asahi, während diese schonmal zum Schlafraum vorgingen.
Die anderen unterhielten sich noch weiter mit der Nekoma und ein kurzer Blick über die Schulter verriet mir, dass Tsukki mehr oder weniger freiwillig in ein Gespräch zwischen Kuroo und Yumi involviert war.
Ich wollte da nicht zu hören und war auch nicht erwünscht, daher suchte ich mir einen Schlafplatz in einer Ecke und legte meine Sachen ab.

Nach etwa fünf Minuten, die ich an meinem Handy auf meinem Platz verbracht hatte, kam der Rest der Mannschaft in den Schlafsaal. Tsukki kam auf mich zu und belegte wie selbstverständlich den Platz neben mir.
Einerseits fand ich das irgendwie süß, andererseits hieß das, ich konnte ihm wirklich nicht mehr aus dem Weg gehen.
Yumi schlief zum Glück mit Shimizu wo anders, sodass ich wenigstens hier vor ihrem Auftreten sicher war.
Daichi streckte den Kopf durch die Tür, um allen mitzuteilen, dass es Frühstück gab. Wir waren eben sehr früh losgefahren, um noch den ganzen Tag für das Training zu haben.
Vor den Mahlzeiten hatte ich auch ein wenig Angst. Ich hoffte sehr, dass niemandem auffiel wie wenig ich aß, aber ich bezweifelte, dass Sugawara das durchgehen ließ.

Ich seufzte leise und erhob mich. Ich würde einfach versuchen so viel wie möglich runter zu bekommen.
Ich folgte Tsukki, der mich schon wieder leicht schräg betrachtete, in den Speisesaal. Dieser war ein großer, von der aufgehenden Sonne hell erleuchteter, weißer Raum mit vier langen Tischen, an denen schon die Nekoma Platz genommen hatte.
Nachdem ich mir mit den anderen aus meinem Team etwas zu Essen geholt hatte verteilten wir uns auf die freien Plätze.
Schlussendlich saß ich zwischen Tsukki und Sugawara, gegenüber von Yumi. Schlimmer hätte es auch wirklich nicht kommen können!
Mühsam zwang ich mir eine Gabel Rührei rein und hätte es beinahe wieder ausgespuckt. Es schmeckte total widerlich und ich versuchte den Geschmack mit einem Schluck von meinem Saft loszuwerden.
"Yamaguchi? Ist alles okay, du siehst so aus als würdest du gleich spucken." Verdammt, Sugawara entging auch wirklich gar nichts.
"Ja, alles okay, ich hab mich nur verschluckt. Ich habe aber eigentlich gar keinen Hunger, also gehe ich schon mal vor und bau auf, ja?"
Ich wartete gar keine Antwort ab, sondern sprang beinahe schon auf und stolperte aus dem Speisesaal.

Missmutig stapfte ich in den Waschraum um mir meine Zähne zu putzen. Ich wollte diesen Rühreigeschmack unbedingt schnellstmöglich loswerden.
Jetzt hatte ich auch in Ruhe Zeit darüber nachzudenken, wie ich vermeiden könnte, dass jemand meinen Arm sah.

Nachdem ich das Bad verlassen hatte, entschied ich mich schließlich dafür einfach meine Trainingsjacke über zuziehen.
Da es ja sowieso Winter war könnte ich einfach behaupten mir wäre kalt. Ich saß ja die meiste Zeit eh nur auf der Bank.
Als ich Gedanken verloren um die Ecke eilte, um in der Turnhalle mit dem Aufbauen zu beginnen, stieß ich ungünstigerweise mit jemandem zusammen und stolperte ein paar Schritte nach hinten, bis ich schließlich doch auf dem Boden landete.

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