「 Kapitel 4 」

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"Aufwachen, Zwerg!"
Die knarzende Tür zu Ilèyns kleinem Zimmer wurde krachend aufgestoßen. Ilèyn war bereits wach und saß auf dem klapprigen Bett und beobachtete skeptisch die Wirtin, welche in das Zimmer hineingewatschelt kam, einen kleinen Eimer Eiswasser zu Ilèyns Füßen platzierte und nun gierig die Hand aufhielt.
"Wasser kostet extra!", schnauzte sie.
Ilèyn verzog den linken Mundwinkel, friemelte eine Münze aus ihrem dunkelroten Wams und legte diese langsam in die fettige Hand der Wirtin. Diese schloss schnell ihre Finger um das Geldstück und verstaute es sofort in einer Tasche in ihrem Rock. Dann trampelte sie zur offenen Tür hinaus und zog diese hinter sich so wuchtig zu, wie sie sie geöffnet hatte.
Ilèyn lächelte, ließ die Münze zwischen ihren Fingern hin und her springen. Bis die Schreckschraube von Wirtin mitbekommen würde, dass die Zwergin ihr nur ein wertloses Stück Blei in die Hand gedrückt hatte, wäre Ilèyn viel zu weit weg, um von ihrem Zorn getroffen zu werden.
Die Zwergin zog den Eimer zu sich heran und warf einen Blick hinein. Das dreckige brackige Wasser war eisig kalt.
Ilèyn seufzte, nahm beide Hände voll und spritzte sich das Wasser ins Gesicht. Die Kälte ließ sie schnell endgültig wach werden. Während sie ihre derben Lederstiefel anzog dachte sie über den gestrigen Tag nach. Sie musste einfach herausfinden, was da im Gange war. Und was hatten Gandalf und dieser Hobbit mit alldem zu tun?
Ilèyn wusste nun von dem Abenteuer. Der Hobbit hatte abgelehnt, das hatte er ihr versichert, doch würde das einen Zauberer und einen sturen Zwergenkönig aufhalten? Nun, wahrscheinlich nicht.
Auch sie hatte von den Geschichten gehört, die sich ihre Sippe seit langem erzählte. Als Zwergin kannte sie das Schicksal, welches die Zwerge vom Erebor ereilte. War sie auch nicht dabei gewesen, jeder kannte die Geschichte. Sie selbst fand es immer spannend und faszinierend, wenn Reisende davon erzählten. Noch nie in ihrem Leben hatte Ilèyn einen Drachen gesehen... alle Erzählungen, die sie bereits darüber gehört hatte, geisterten in ihrem Kopf herum. Jeder berichtete etwas anderes, jeder glaubte zu wissen, wie Smaug ausgesehen haben soll oder wie dieser Tag damals geendet hatte. Und viele berichteten seit einiger Zeit vom Tode Smaugs.
Schwungvoll kippte Ilèyn den Rest des Schmutzwassers aus dem Fenster hinaus auf die Straße.
Dass ausgerechnet jetzt, wo der Drache totgeglaubt wurde, Thorin Eichenschild mit der Hilfe eines Zauberers versuchen würde, den Berg zurück zu erobern, konnte sie sich einfach nicht vorstellen. Wer würde sich das trauen? Selbst dieser Zauberer konnte ganz bestimmt nicht viel ausrichten. Es sei denn...
Ilèyn hatte ihre Sachen zusammengepackt und war auf dem Weg nach draußen. Auf den Verdacht hin, dass die Zwerge wirklich zum Erebor marschieren, hielt sie einen Hobbit auf den schlammigen Gassen Brees an, welcher ein Pony mit sich führte.
"Fünf Goldmünzen für Euer Pony, Herr!", rief sie ihm schon von Weitem zu.
"Wer seid Ihr?", erkundigte sich der Hobbit, "Möhrchen soll bereits an jemanden gehen."
Ilèyn sah den Hobbit ungläubig an.
"Ihr nennt Euer Pony Möhrchen?", fragte sie mit hochgezogener Augenbraue. Sie zog ihren Münzbeutel hervor und fischte nach dem Geld. Bevor der Hobbit weitergehen konnte, hatte sie ihm die Münzen bereits in die Hand gedrückt und ihm den Strick aus der Hand gerissen.
"Habt Dank.", sagte sie und wandte sich um.
Sie würde keinen Sattler mehr finden, den sie bezahlen könnte, also schwang sie sich kurzerhand auf den Rücken des Ponys und verließ Bree durch das Stadttor.
"Also gut... Möhrchen.", nuschelte die Zwergin und gab dem Pony den Befehl loszulaufen.

Nun war sie auf dem Weg zur Wetterspitze. Mit Möhrchens Hilfe würde sie es auf jeden Fall ohne irgendeinen Zeitdruck schaffen und würde auch gut mit den Zwergen mithalten können.
Zumindest hoffte sie das. Wenn es auch früh am Morgen war, wusste man nie, was einem noch auf der Straße dazwischenkommen konnte.
Ilèyn ließ sich Zeit auf ihrem Weg, da sie annahm, dass Thorin und sein Kumpane mit einem alten Zauberer wohl nicht sehr schnell vorwärts kamen.
Diesen Berg zurückzuerobern grenzt an Selbstmord. Ach was, es war definitiv Selbstmord. Zwei Zwerge und ein Zauberer? Wie soll das funktionieren?
Ilèyn hatte von dem großen Reichtum des Königs unter dem Berge gehört. Ein ganzer Berg gefüllt mit Gold und Edelsteinen. Würde sie das alles für sich haben, müsste sie nie wieder als Kopfgeldjägerin arbeiten. Bei diesem Gedanken musste Ilèyn schmunzeln.
Das Gold gehört dem rechtmäßigen König unter dem Berge. Ihre innere Stimme meldete sich zu Wort. Jene Stimme, welche sie für gewöhnlich tief in sich vergrub. Jene Stimme, welche zu einem Teil von ihr gehörte, welche einen Charakter von ihr prägte, den sie nie wieder jemandem gezeigt hatte. Und nie wieder jemandem zeigen würde.
"Der König unter dem Berge...", murmelte Ilèyn nachdenklich.
Sie wusste, dass Thorin der König unter dem Berge war. Selbst das hatte sie nicht davon abgehalten, diesen Auftrag anzunehmen und auch beenden zu wollen.
Du musst das nicht tun.
Ilèyn schüttelte sich, was Möhrchen kurz aus dem Konzept brachte. Er wieherte und wollte stehen bleiben. Ilèyn bedeutete ihm, weiterzugehen.
"Verzeih, Möhrchen.", Entschuldigend rubbelte sie ihm über das Fell an seinem Hals.
"Ich bin nicht ganz bei mir, weißt du? Diese ganze Sache... beginnt viel zu kompliziert zu werden. Ich hätte es mir gleich denken können, dass es nicht bei einem simplen Mordauftrag bleiben wird, wenn es um Thorin Eichenschilds Kopf geht."
Langsam ritt Ilèyn auf Möhrchen noch immer die große Oststraße entlang. Allmählich begann es zu dämmern.
"Ich... ich habe noch nie den Auftrag bekommen, mich gegen meine Sippe zu stellen. Jedes Mal habe ich um die Klienten einen gewaltigen Bogen gemacht, die die Kopfgeldjäger auf irgendwelche Zwerge ansetzen wollten. Das... das fühlt sich einfach nicht richtig an."
Möhrchen schnaubte.
Ilèyn lächelte leicht.
"Du hast ja Recht, ich sollte lieber ganz still sein, bei all den Dingen die ich dafür Anderen angetan habe. Jedoch hatte ich immer das Gefühl, sie hätten es verdient. Und ich brauchte das Geld. Das kannst du doch verstehen, oder?"
Die Zwergin beugte sich vor und beäugte das Pony von der Seite. Möhrchen trottete zufrieden vor sich hin.
Ilèyn richtete sich wieder auf. Nun würde sie also das erste Mal einen der Ihren töten. Das Kopfgeld lockte sie, die Versuchung war gewaltig. Die Gründe dieses Auftrages zu hinterfragen verkniff sie sich angestrengt.
War es das Richtige?
Hatte Eichenschild den Tod durch die Hand einer Kopfgeldjägerin verdient?
So viele Fragen, so wenige Antworten. Mit Abstand der ungewöhnlichste Auftrag den Ilèyn je hatte. Und derjenige, bei welchem sie am meisten Gewissensbisse hatte.
Dennoch drehte sie nicht um. Sie hielt weiter auf die Wetterspitze zu, mittlerweile war es Abend geworden. Ilèyn entschied, die Wetterspitze nicht mehr zu erklimmen und sich lieber ein kleines Lager am Fuße der gewaltigen felsigen Erhebung zu errichten. Möhrchen fand genug Gras zum Fressen und etwas Holz lag auch herum, was die Zwergin geschwind aufsammelte und im Schutze der Felsen ein kleines unscheinbares Feuer zu machen.

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