chapter 1

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Ich war wieder zurück in meiner Heimatstadt. Herford. Hier wo vor über zehn Jahren etwas passierte, was mich bis heute noch prägte. Ich fuhr gerade an meinem alten Gymnasium vorbei. Das was damals hier begann, endete auch hier. Alle Nummern waren blockiert und gelöscht. Alle Fotos im untersten Karton verstaut und die Gefühle noch tiefer.

Er brach mir damals mein Herz ohne es überhaupt zu wissen. Christian Reinelt.

Doch um das erklären zu können, musste ich an meine Jugendjahre zurückerinnert werden.

Dort begann mein Herz mehr zu fühlen und seines ebenfalls. Doch nicht für mich.

Sommer 1999

Chris älterer Bruder Andreas öffnete mir die Tür. "Hey Kleine", frech grinsend begrüßte er mich. "Haha, du kannst es auch nicht lassen.". Neckend piekste ich ihm in die Seite und ging vorbei. "Christian! Wir wollen langsam mal los!". Lachend ging sein Bruder an mir vorbei in die Küche. "Das kann noch dauern, du kennst ihn doch.". Wo er Recht hatte. Chris braucht immer länger als ich, es war faktisch schon Tradition, dass ich mit seiner Familie zusammen saß und wir uns solange unterhielten.

"Was machst du den Sommer über noch?". Mit einem Glas Wasser setzte ich mich zu Andreas. "Bisschen für die Uni lernen und dann mal schauen, was sich noch ergibt.". Ich nickte. Ich fand es bewundernswert, dass er sein Lehramtsstudium so durchzieht, denn so einfach schien es nicht zu sein. "Du machst das schon Andy.". Lächelnd sah er kurz zu mir. Doch ehe er noch etwas erwidern konnte, hörte man Chris durchs Haus rufen: "Liv!".

Trampelnd kam er die Treppen runter und nahm mich euphorisch in den Arm. "Können wir los?". Skeptisch sah ich ihn an, brach dann aber in Lachen aus. "Ich warte hier seit bestimmt 10 Minuten Freundchen.". Leicht beschämt sah er mich kurz an und da merkte ich es zum ersten Mal: ein unangenehmes Kribbeln in meiner Magengegend.

Gemeinsam gingen wir durch Herford. Wir waren auf dem Weg zu Joelle, meiner besten Freundin, die heute ihren 17. Geburtstag feierte. Wir kannten uns schon seit der ersten Klasse und verstanden uns wirklich prächtig. Chris und sie kamen auch gut miteinander klar, was ich im Laufe des Abends noch zu sehen bekam.

Dort angekommen begrüßten wir die versammelte Runde. Es waren hauptsächlich unsere Klassenkameraden, sodass man auch alle gut kannte. Herzlich umarmte ich Joelle. "Alles Gute zum Geburtstag Jo!". Lachend bedankte sie sich ehe sie sich Chris Glückwünschen zuwendete. Die Umarmung dauerte länger als sonst, was mir erst jetzt so wirklich auffiel.

Wir feierten im Garten von Joelles Familie, ihre Eltern waren für einige Tage weg, also konnten wir ordentlich feiern. Es floss genug Alkohol, um uns alle mindestens beschwipst zu machen. Da ich nachts mit Chris zurückgehen wollte, machte ich mich auf die Suche nach ihm da ich im Laufe des Abends total den Überblick verloren habe.

Ich wandelte durchs Haus, versuchend die auftretenden Kopfschmerzen zu ertragen, und schaute in alle Zimmer. Zuletzt kam ich zu Jos Zimmer und klopfte zaghaft. Es kam keine Antwort, sodass ich beschloss einfach kurz hinein zu sehen. Ein Fehler!

Mein bester Freund kniete oberkörperfrei über meiner besten Freundin und verteilte Küsse auf ihrem Dekolleté. Ich räusperte mich kurz und brachte ein "Ich schätze du kommst dann nicht mit heim" heraus. Noch während ich mich umdrehte, vernahm ich Chris Stimme. "Liv, warte doch.". Ich hörte nicht auf ihn. Durch die Massen drängend brachte ich genügend Distanz zwischen uns, um ungesehen das Haus zu verlassen.

Zitternd lief ich nun also durch die Stadt, bis nach Hause waren es gut 10 Minuten, in meinem Zustand bestimmt 15. Ich suchte meine Jackentasche ab und nahm mein Handy hervor. Wen kann ich denn um diese Uhrzeit anrufen? Meine Kontaktliste war sehr eingeschränkt, ich hatte nie wirklich viele gute Freunde.

"Ja? Liv?". Verschlafen und deutlich verwirrt entgegnete meine Notlösung den Anruf. "Andreas? Tut mir leid, dass ich störe... Ich...". Weiter kam ich nicht wirklich, denn ein leises Schluchzen verließ meine Kehle. "Hey, was ist los? Wo bist du?". "Irgendwo in der Nähe von Joelle, kannst du bitte...". Ohne dass ich den Satz beenden musste, antwortete er sofort, dass er mich holen würde.

Ich hatte mich an die Straße gestellt, sodass ich gleich einsteigen konnte als Andreas kam. "Wo ist mein Bruder?". Ich schüttelte nur stumm den Kopf. "Bringst du mich bitte einfach nach hause?". Stumm nickte er und fuhr los. Ich wusste, dass es damit nicht vorbei war aber gerade musste ich erstmal klarkommen, was ich eben gesehen hatte. Joelle und Chris. Meine besten Freunde. Mir drehte sich der Magen um.

"Halt an!". Andreas sah mich erschrocken an, kam der Aufforderung aber nach und hielt am Straßenrand. Ich stieg aus und musste mich sofort übergeben. Andreas Hand legte sich behutsam auf meine Schulter. "Ich nehm dich mal lieber mit zu uns, nicht dass noch was passiert.". Eindringlich sah er mich an. "Und morgen früh kannst du dann ganz in Ruhe erzählen, was passiert ist, ja Kleine?". Ich konnte nur nicken und hoffen, dass Chris bis morgen früh erstmal nicht mehr auftauchte.

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