chapter 36

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Nicht überstanden. Herr Reinelt hat die Operation nicht überstanden. Ich sah Doktor Vogt an. "Das ist nicht wahr.". Er nickte langsam, wehmütig und voller Trauer. "Seine Lunge hat sich zu sehr mit Blut gefüllt, wir konnten ihm nicht mehr helfen.". "Nein!". Ich sah zu ihm, mir liefen Tränen über die Wangen. "Sie lügen!". Ich sprang auf und lief aus dem Zimmer. Auf dem Flur standen mehrere Schwestern, die allesamt mitleidig zu mir sahen.

"Ihr Verlust tut mir wirklich leid", sagte eine der Frauen ruhig. "Er ist nicht tot", hauchte ich verzweifelt. "Chris!?". Ich ging in sein Zimmer, sah mich panisch um und suchte hilflos nach ihm. Sein Bett war noch immer weg, es lagen einige blutgetränkte Tücher auf dem Boden von der Rettungsaktion vor der OP. "Chris?". Meine Stimme brach komplett und ich sank weinend auf den Boden. Die Welt um mich herum nahm ich nicht wahr, ließ niemanden an mich ran und schrie ausweglos seinen Namen.

Erst als ich Andreas schwache Stimme hörte, sah ich etwas hoch. "Er ist nicht weg Andy", hauchte ich schluchzend. Er schüttelte leicht den Kopf, auch er sah schlecht aus. "Wir dürfen ihn sehen Liv, wenn du magst.". Ich schüttelte erst den Kopf und schluchzte erneut auf. "Ich will, dass er mich in den Arm nimmt und mir sagt, dass alles gut wird.". Erneut zog ich die Beine dicht an mich und vergrub meinen Kopf weinend. Andreas hatte sich neben mich gesetzt und zog mich in seine Arme.

"Es tut mir so leid Liv", flüsterte er und strich über meinen Rücken. "Wir können ihn nicht mehr zurückholen.". Ich konnte die Zerbrechlichkeit und Angst in seiner Stimme hören und nickte stumm. Die Erkenntnis kroch mir langsam durch den gesamten Körper und ich sah zu Andy hoch. "Er ist- er ist wirklich nicht mehr bei uns?". Zögernd schüttelte er den Kopf, während ihm stetig Tränen über die Wangen liefen. Ich lehnte mich an seine Brust und ließ den Tränen ihren Lauf.

Wir saßen schweigend hier, in seinem Zimmer und umgeben von einigen Schwestern und Pflegern. Ich wollte dieses Zimmer nicht mehr verlassen denn außerhalb war nichts mehr so wie noch vor einigen Stunden. Ich wollte die Welt nicht ohne ihn sehen, konnte so auch nicht leben. Gerade jetzt hätte es wieder bergauf gehen können mit uns, ich wäre zu ihm zurückgekehrt. Andreas leises Flüstern unterbrach meine Gedanken: "Kommst du mit? Zu ihm?". Ich sah zu ihm hoch. "Ich will meinen kleinen Bruder sehen.". Seine Augen strahlten einen unglaublichen Schmerz aus.

Ich stand langsam auf und zog Andy an seiner Hand nach oben. Er legte mir sofort den Arm um und so stützten wir uns gegenseitig. Auf dem Flur standen Hedi und Steffi gemeinsam, Arm in Arm. Auch Hedi war sofort anzusehen, wie es ihr ging. Erst verlor sie ihren Mann und nun noch ihren jüngsten Sohn. Ich klammerte mich etwas mehr an Andreas und schluchzte schmerzhaft auf. "Shht Kleines", flüsterte Andreas und gab mir vorsichtig einen Kuss auf die Stirn.

"Wollen wir?". Herr Doktor Vogt kam zu uns und sah in die Runde. "Sie können nun zu ihm und in Ruhe Abschied nehmen. Er wird morgen früh nach Herford gebracht.". Hedi nickte leicht und gemeinsam folgten wir schweigend dem Arzt. Er führte uns durch etliche Gänge und blieb letztlich in einem abgelegenen Teil stehen. "Bleiben Sie so lange Sie wollen", meinte er ruhig und ließ uns dann alleine. "Geht ruhig zuerst rein", murmelte Steffi und sah zu Hedi und Andy. Beide nickten und Andy sah zu mir. "Kann ich dich kurz alleine lassen? Ich brauch kurz allein mit ihm.". Ich nickte direkt.

Schweigend ging erst Hedi rein, Andreas folgte ihr einige Minuten später und ich saß hier, von meinem Freund verlassen und verzweifelt. Ich wusste gar nicht, ob ich ihn überhaupt sehen wollte. Oder konnte. Ich ließ den Kopf hängen und schloss die Augen. Irgendwie versuchte ich die Gedanken in meinem Kopf zu sammeln, einen klaren Gedanken zu fassen doch es war mir nicht möglich. Das Einzige, was ich sah war sein Lächeln. Er lächelte mich glücklich an, total unbeschwert und sanft.

"Liv?". Ich sah hoch zu Andreas, der gerade mit Hedi rauskam. Er nickte mir zu. Ich atmete zittrig durch, stand auf und ging zur Tür. Kurz musste ich durchatmen, ehe ich langsam den Raum betrat. Ich war augenblicklich von einer Kälte, einer Leere, umhüllt. Es war komplett ruhig hier drin, kahl und steril. Ich trat langsam an das Bett heran. Ein Tuch verhüllte seinen Körper bis zu seinem Brustkorb. Seine Augen waren geschlossen, es schien als würde er nur schlafen. "Chris?". Ich setzte mich auf einen Stuhl genau neben dem Bett und griff seine Hand.

Ich zuckte kurz zusammen. Sie war kalt und rau. Ich betrachtete ihn zögernd. "Wach doch bitte auf", hauchte ich flehentlich. Doch er rührte sich nicht, kein Stück. Ich legte vorsichtig meinen Kopf auf seine Brust, wo ich seinen beruhigenden Herzschlag erwartete. Doch auch hier nur Kälte und Stille. Ich schluchzte auf und ließ die aufsteigende Trauer vollkommen zu. Ich weinte stumm. Ich weinte um ihn, um all die verdammt schönen gemeinsamen Tage und um all die Dinge, die wir nicht mehr gemeinsam tun konnten.

"Du hast versprochen immer da zu sein", schluchzte ich. "Du hast es mir versprochen Chris.".

Someone to YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt