chapter 30

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Ich stieg aus dem Taxi, welches mich hergebracht hatte und ging schnellen Schrittes Richtung des kleinen Sees. Versteckt zwischen Büschen und Gestrüpp lag unser kleiner Waldsee. Eine bis heute unberührte Fläche, die wir als Kinder damals als unser Geheimversteck geprägt haben. Auf etwas unsicheren Beinen eilte ich den See entlang bis zum tiefen Schilf. "Liv?". Ich drückte das Schilf etwas auseinander und zwängte mich hindurch zu dem kleinen sachten Ufer.

Ich sah mich in der Dämmerung um. Doch sie war nicht hier. "Liv, bitte", flüsterte ich in die Stille. Leichte Wellen schlugen auf den seichten Sand auf, die Blätter der Bäume raschelten im leichten Wind. Ich sank auf den Sand und strich mir durchs Gesicht. "Wieso konnte ich es selbst diesmal nicht besser machen?". Die erste Träne rann meine Wange hinab. Ich brauchte sie. In der kurzen Zeit hat sie mein stressiges und leeres Leben erleuchtet, allein ihr Lächeln konnte mich in eine andere Welt bringen.

Mein Blick glitt über das kleine Ufer, welches hier versteckt zwischen dem Schilf lag. Etwas kleines, helles flatterte im Sand kurz vorm Wasser und ich ergriff es. Es war ein zusammengeknülltes Papier. Langsam faltete ich es auseinander und betrachtete es stumm. Die Handschrift würde ich überall wiedererkennen, doch ebenso die kleinen hellen Tropfen auf dem Papier.

Ich weiß nicht mehr weiter, wie ich damit umgehen soll, wem ich glauben soll und vor allem auf wen ich vertrauen soll... Ich kann das nicht mit Chris. Schon damals hat er mir gezeigt, dass Joelle ihm einfach wichtiger ist und das sollte wohl auch heute noch so sein. Welch eine Überraschung Liv...

Soll er glücklich mit ihr werden, er hat es verdient hm. Schon vor 15 Jahren hat er sich Familie gewünscht, eine tolle Frau und super Kinder. Die bekommt er jetzt. Ich gönne es ihm wirklich von Herzen, er soll glücklich werden, mehr wünsche ich mir für ihn nicht. Ich werde Herford wieder verlassen, wohin weiß ich noch nicht.

Die letzten Wochen mit dir, Chris, waren wunderschön. Ich wünschte nur sie wären von dir genauso echt gemeint, aber ich sollte glücklich darüber sein dir überhaupt so nah gewesen zu sein. Danke dafür. Ich wünsche dir ein schönes Leben mit Joelle und eurem Kind, vergiss mich einfach wenn du es nicht schon getan hast.

Danke an Steffi, dass du mir so geholfen hast und mir die Augen geöffnet hast und auch Danke Andy, dass du trotzdem versucht hast uns zu helfen.

Dies ist ein Abschied, Chris. Für immer. Denn ich habe immer für dich geliebt und gelebt, nun muss ich lernen dich gehen zu lassen. Ich liebe dich Chris, deine Liv.

Meine Tränen fielen stetig auf das Blatt Papier. Ich faltete es ganz vorsichtig zusammen und steckte es in meine Jackentasche. Sie hatte aufgegeben, hatte mich aufgegeben und alles, was zwischen uns war. Nur wegen Joelle. Alles nur wegen ihr. Doch dann der Einfall. Liv hatte von Steffi gesprochen und dass sie ihr die Augen geöffnet hatte. Ich kam ins Nachdenken, trotz dass meine Gedanken unaufhaltsam um Liv rasten.

Was genau hatte Andreas Frau damit zu tun? Was hatte Steffi getan, um ihr die Augen zu öffnen. Es musste etwas Wichtiges gewesen sein. Ich rieb mir angestrengt die Schläfen und mit einem Mal durchfuhr es mich und ich sprang auf. Steffi und Joelle hatten sich nicht nur etwas gut verstanden, sie waren wie beste Freunde!

Ich drängte mich durchs Schilf, unbeachtet der entstehenden Kratzer, und begann loszurennen. Im Laufen griff ich mein Handy und rief meinen Bruder an. Auch wenn er mich gerade nicht sprechen wollte, ich musste es. "Ja?". "Andreas ist Steffi zuhause?!". "Warum fragst du? Sag mal läufst du gerade einen Marathon?". Ich blieb stehen und sah mich um. Schwer atmend strich ich mir durchs Haar. "So ziemlich, ja. Steffi und Joelle stecken unter einer Decke Andreas, Liv hat geschrieben, dass sie Steffi dankt fürs Augen öffnen!".

Ich hörte ihn seufzen. "Steffi würde Liv nicht von dir weg reißen ohne Grund. Das weißt du selbst Christian.". Ich atmete angenervt durch. "Lern damit umzugehen, dass sie weg ist. Und such vor allem keine Gründe bei anderen, das hast du selbst verbockt". Ich wollte etwas erwidern, doch dann tutete es. Er hatte aufgelegt. "Andreas!". Ich schrie verzweifelt mein Handy an und setzte mich an den Straßenrand.

Es war mittlerweile komplett dunkel, ich saß irgendwo im Herforder Wohngebiet und war am Weinen. Geld für ein Taxi nach Hause hatte ich keines mehr und jemanden zum Anrufen auch nicht. Ich stand langsam auf und schrieb während ich losging noch eine SMS an Liv. Meine Füße trugen mich durch die Straßen und brachten mich letztlich zu meinem Elternhaus. Ein kurzer Blick auf die Uhr, ich klopfte leise. Kurz darauf klopfte ich erneut und gerade als ich wieder gehen wollte, öffnete sich die Tür.

"Christian, Gott wie siehst du denn aus und was machst du hier?". Ich sah sie an. Verzweiflung, Trauer und Angst standen mir ins Gesicht geschrieben und ich fiel ihr einfach um den Hals und weinte. Die gesamte angesammelte Verzweiflung und Hilflosigkeit überrannte mich und ich stand weinend in den Armen meiner Mutter. Ganz sanft strich sie mir über den Rücken und hielt mich stumm. "Ich- ich hab sie verloren und- ich brauch sie Mama, ich liebe sie", brachte ich unter ersticktem Schluchzen hervor bevor mich der Heulkrampf erneut einholte.

Someone to YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt