chapter 9

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Gegen 11 Uhr fuhr ich zur Adresse, die Andreas mir gab. Es war ein wunderschönes Einfamilienhaus etwas abseits. Daneben stand eine unglaublich große Lagerhalle, so schien es. Ich klingelte und keine Minute später öffnete er. "Hey Liv, schön dich wiederzusehen", er nahm mich in den Arm und ich lächelte. "Ich freu mich auch", nuschelte ich und trat hinein. Wir gingen ins Wohnzimmer und er setzte sich.

Ich sah mich etwas um, nahm ein Bild in die Hand und strich drüber. "Von wann ist das?". Andreas sah zu mir. "Letzten Winter.". Seine Stimme klang gedämpft und ich setzte mich zu ihm. "Erzähl jetzt mal, wie kam es genau dazu?". Ich merkte, dass er vom Thema ablenkte, fragte aber auch nicht weiter nach.

"Ich war nach dem Aufeinandertreffen gestern noch im Go-Parc, bisschen was getrunken und gefeiert. Irgendwann hat man zwei Männer brüllen hören und kurz darauf die Schläge, die sie sich gegenseitig gaben. Ich ging hin und-. Es war Chris.". Ich sah ihn an, er nickte nur. "Er war betrunken, ich hab ihn einfach geschnappt und daraus gezogen.". Andreas strich sich kurz durchs Haar und seufzte tief. "Ist ja nicht das erste Mal.".

"Er hat sich verändert vor einiger Zeit. Er ist kälter geworden, ihm is alles egal.". "Das stimmt nicht", unterbrach ich ihn harsch. "Du kennst ihn nicht mehr, er ist nicht mehr das Unschuldslamm von früher Liv.". Er drehte sich weiter zu mir und sah mich ernst an. "Er hat Fehler gemacht, nicht gerade wenig. Er prügelt sich um seine Aggressionen rauszulassen.". Wie Andreas über seinen Bruder sprach, gefiel mir gar nicht. Was sollte Chris schon angestellt haben? Oder dachte mein Herz gerade mehr für mich?

"Er sagte mir, dass er mit dem Stress nicht klarkommt", unsicher schaute ich Andreas in die Augen, welcher erneut seufzte. "Ja, ja das mag ja auch sein aber er kann sich nicht ständig prügeln.". Ich nickte. "Na ja, jedenfalls hab ich ihn heimgebracht. Er meinte, dass er sich wünschte seine beste Freundin wiederzusehen, um mich ihr vorzustellen.". Andreas sah mich an. "Er hats immer noch nicht gerafft?". Ich schüttelte bedrückt den Kopf.

Die Haustür öffnete sich und man konnte eine Kinderstimme freudig rufen hören. "Papa! Onkel Chris isst mit uns Mittag!". Ich sah Andreas an, brachte ein kurzes "Wo ist euer Badezimmer heraus?" und stand auf. Er deutete in eine Richtung, in die ich mich sofort begab, nur um mich dann zu übergeben. "Alles in Ordnung?". Ich atmete durch. Toll Liv, dachte ich. Du übergibst dich wegen ihm und jetzt steht er hinter dir.

Ich nickte und stand auf. Ich wusch mir den Mund und drehte mich dann leicht zu ihm. Er sah noch etwas mitgenommen aus, sein Auge zierte ein leichtes Veilchen und seine Haare standen wie wild ab. Scheinbar war sein Verstand aber mittlerweile vollsten zurückgekehrt.

"Liv?". Mein Name aus seinem Mund klang auch nach all den Jahren noch wunderschön. "Was-. Was machst du hier und- also wo warst du?". Mein angesammeltes Selbstbewusstsein verließ erneut meine Seele und ich konnte ihn nur angucken. "Ich bin geflohen Chris", flüsterte ich und merkte, wie mir eine Träne lief. "Vor dir", ich drängte mich an ihm vorbei und ging in den Flur. "Ich muss los!", schnell zog ich meine Schuhe an und lief raus.

Dass er mir nachrannte, hätte ich nicht für möglich gehalten. "Liv, warte doch!". Ich blieb aber nicht stehen, im Gegenteil. Irgendwann konnte ich seine Schritte nicht mehr hinter mir hören und ich hielt außer Atem an. Ich ließ mich auf den kalten Boden sinken und weinte. Ich kann kaum sagen, wie lange ich dort saß aber nach einer ganzen Weile bemerkte ich, dass sich jemand näherte. Es war mir auch eigentlich komplett egal, bis sich zwei Arme um mich legten und sanft hochzogen. "Du bist völlig durch den Wind, ich bring dich zu Andy", flüsterte seine Stimme.

Das schnelle Laufen und das Weinen hatten mich fertiggemacht. Ich wehrte mich nicht einmal sondern schmiegte den Kopf bloß noch weiter an seine Brust. "Alles gut Kleine", seine Stimme war sanft und beruhigend. Ich schloss meine Augen und versuchte zu atmen. Ab und an musste ich husten, blieb aber sonst ruhig. Bei Andreas angekommen, schloss er auf und brachte mich gleich in ein Zimmer.

Er legte mich ab und begann sanft meine Schuhe und die Jeans auszuziehen, ehe er mich zudeckte. "Ruh dich ein wenig aus, ich bin bei dir.". Ich bekam kaum noch mit, wie er sich zu mir legte und wie die Tür sich nochmal öffnete. "Versau es diesmal nicht. Und hör ihr zu.". Das Bett neben mir senkte sich leicht und jemand strich durch mein Haar. "Sie hat gelitten wegen dir Bruder und ganz ehrlich, ich will sie nicht nochmal verlieren.". Er stand wieder auf. "Und du genauso wenig.". Dann wurde es still und ich sank in den Schlaf.

Someone to YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt