chapter 3

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Frühjahr 2000

Mittlerweile steckten wir mitten in unseren Abiturvorbereitungen. Meine Gefühle für Chris waren unterdrückt seit dem Vorfall. Was er mir seit den Worten im Pool alles sagte, war mehr als deutlich, dass ich nur eine Freundin war.

Doch seit seinem Geburtstag war er anders. Er hatte kaum Zeit mehr für mich, hing die ganze Zeit am Telefon und grinste immer dämlich vor sich hin. Wenn ich ihn fragte, meinte er immer nur, dass er sich einfach auf die Zukunft freute und deshalb so glücklich war. Wers glaubt.

Da ich morgen meine Prüfung in Mathe schreiben musste, hatte ich Andreas gefragt, ob er mir noch einige Dinge erklären würde. So machte ich mich auf den Weg zum Hause Reinelt, wo Andreas gerade seine Zeit verbrachte. "Hey Liv, komm rein. Wir gehen in die Küche", er umarmte mich herzlich und ließ mich rein. "Chris gar nicht da?". Ich zog meine Schuhe aus und sah mich um. "Nein nein, der ist ehm mit Max in der Stadt.". Er stammelte etwas rum und vermied es mich anzusehen.

Jedoch fragte ich nicht nach, was sich später noch als Fehler erwies. Gemeinsam setzten wir uns in die Küche, seine Eltern waren nicht zuhause sodass wir ganz in Ruhe lernen konnten. "Dann fangen wir mal an, ich versuchs dir gut zu erklären, ja?". Ich nickte und wir begannen meine Problemfelder, die nicht gerade wenig waren, durch zu gehen.

Irgendwann vernahm ich ein noch recht leises, aber prägnantes, Geräusch. Andreas ließ sich nichts anmerken, aber gehört hatte er es auf jeden Fall. Es wurde nach einigen Minuten lauter und beinahe regelmäßig. "Andreas, was läuft hier?". Erschrocken sah er mich an. "Ich weiß nicht, was du meinst Liv.". Ich schüttelte den Kopf und stand schnaufend auf. Ich hatte bereits eine Vermutung, wollte mir aber einfach sicher sein.

"Geh nicht hoch Liv!". Andreas hielt mein Handgelenk fest. "Wieso nicht?!". Er wich bedrängt meinem Blick aus. "Wieso verdammt?". "Du würdest es bereuen Liv, man glaub mir doch einfach.". "Ihr lügt mich hier alle an Andreas! Ich seh das nicht mehr ein! Chris meldet sich nicht mehr, du bist so komisch und Joelle hängt angeblich ständig bei ihrem Cousin in Enger rum!". Langsam ließ er meine Hand los. "Es tut mir so leid Liv, ich wollte dich nicht anl-".

"Was geht denn hier ab?". Chris raue Stimme hallte durch den Raum und langsam drehte ich mich zu ihm um. "Oh hey Liv, alles gut?". Langsam glitt mein Blick über seinen Körper, er stand in Boxershorts vor mir und war leicht verschwitzt. Seine Haare hingen im Gesicht und sein Blick war noch verleiert.

"Ach das läuft hier also hm? Wer ist sie Chris? Wegen wem lügst du mich an?!". Ich sah wie er fast sofort zurückwich. "Es ist niemand Liv, ich hab einfach viel zu tun.". Ich schüttelte den Kopf und ging in den Flur. "Liv, bitte!". Ich drehte mich zu ihm, zog meine Schuhe an. "Schatz, wo bleibst du so lange?".

Mein Blick glitt zur Treppe und ein eiskalter Schauer lief über meinen Rücken. Das wars, jetzt brachen meine Dämme und ich begann einfach zu weinen. "Lass es mich erklären, bitte", Chris griff meine Hand doch ich entzog sie ihm sofort. "Bis morgen", flüsterte ich und ging stumm weinend aus dem Haus. Ich hörte wie er mir noch hinterrief und wie Andreas anfing mit ihm zu streiten, doch das war mir gerade so dermaßen egal.

Ich ging einfach heim, vorbei an meinen Eltern, die nachfragten was los war. Ich ging in mein Zimmer und nahm einen Brief, der erst letzte Woche kam. Eigentlich wollten Chris und ich an dieselbe Universität, doch jetzt war alles, was ich wollte bloß weg von hier.

Mit dem Brief in der Hand ging ich zu meinen Eltern, noch immer verheult. "Ich werde nach Kiel ziehen.". Sie beide sahen mich an. "Ich dachte es soll nach Bielefeld gehen?". Mein Vater sah von seiner Zeitung hoch. "Zusammen mit Christian?". Er hielt noch nie viel von Chris, er fand ihn zu kindisch. "Nein Mom, ich möchte nach Kiel. Alleine.". Sie nickte leicht und ich ging zurück in mein Zimmer.

Wie ichs erwartet habe, klopfte es keine zwei Minuten später. "Hey mein Schatz, was ist los?". Meine Mom setzte sich zu mir aufs Bett und strich über meine Schulter. "Du weißt doch, dass ich Chris-. Nun ja ich liebe ihn und ich war zum Lernen bei Andreas.". Sie nickte leicht, ließ mich aber erst zu Ende erzählen. "Er hat mit Joelle geschlafen, sie sind zusammen.". Ihr Blick wurde erstaunt und mitleidig sah sie mich an. "Joelle und Chris. Ach Schatz, wenn sie dir das nicht mal erzählen, dann haben sie beide dich nicht verdient.".

Leicht nickte ich, die Tränen standen mir erneut in den Augen. "In Kiel lernst du neue Leute kennen, kannst ihn vergessen", flüsterte meine Mom. "Du bist so stark Liv, du packst das auch ohne ihn.".

Tatsächlich sah ich ihn zuletzt an unserer Zeugnisausgabe. Händchenhaltend mit Joelle und überglücklich. Als er zu mir kommen wollte, drehte ich mich um und ging. Ich kam nicht zum Abiball, zog noch die folgende Woche nach Kiel und löschte alle Nummern, die mich an Familie Reinelt erinnerten.

So ging ich also.

Dass dies jedoch nicht das Ende meines emotionalen Leidensweg sein sollte, konnte im Sommer 2000 ja noch keiner wissen...

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