chapter 4

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Ich drehte den Schlüssel im Schloss und schob die Tür langsam mit meinem Fuß auf. Ich schritt hinein und sah die kahlen weißen Wände meiner neuen Wohnung. Leise seufzend stellte ich die letzten Kartons ab.

Meine Eltern hatten in den letzten Tagen schon Möbel und Kartons hergebracht, sodass ich direkt einziehen konnte. Ich hatte ein Jobangebot einer kleinen Rechtsanwaltskanzlei bekommen und nahm dies als Grund wieder nach Herford zurückzukommen. Freunde hatte ich auch in Kiel kaum welche gefunden, so hatte ich nur meine Eltern hier.

Ich verbrachte meinen freien Tag heute noch damit jegliche Kartons auszupacken, um etwas Ordnung zu bringen. Meine Klamotten sortierte ich in den Schrank, mein Make-Up fand seinen Platz im Badezimmer. Die Küche hatten meine Eltern schon bestmöglich eingeräumt und sogar den Kühlschrank etwas gefüllt. Etwas zu essen fand ich trotzdem nicht, wie sollte es auch anders sein. Also wählte ich kurzerhand die Nummer des Lieferdienstes.

Während ich also wartete, befasste ich mich mit dem mittlerweile letzten Karton. Es waren meine Bilderrahmen und Fotoalben. Das meiste fand schnell einen schönen Platz in der Wohnung, jedoch wusste ich nicht wohin mit dem einen Fotoalbum. Jenes, welches ich nie wieder ansehen wollte.

Irgendwann musst du dich damit auseinandersetzen, du wohnst wieder hier; dachte ich mir und setzte mich mit dem Album auf meine Couch. Gerade als ich mich überwunden hatte, klingelte es an der Tür. Schnell ging ich und öffnete. "Hatte ich doch Recht", mir lachte eine bekannte Stimme entgegen. "Henry, hey.". Henry war damals in unserer Klasse, wir haben uns relativ gut verstanden. "Na, wie läufts?". Er gab mir nebenbei mein bereits gezahltes Essen. "Ach nichts dolles, heute ist mein erster Tag wieder hier.". "Ah stimmt. Du warst damals ja nach Kiel gezogen", er nickte leicht und sah mich dann interessiert an. "Bei dir und Chris lief nichts, oder?".

Mein Innerstes zog sich sofort zusammen. "Nein, nein da war nichts.". Er musste wohl merken, dass es mir damit nicht gut war und fragte nicht weiter nach. "Na denn, meld dich mal wieder. Schönen Abend dir", er nahm mich kurz in den Arm und lief den Hausflur wieder runter. Das Gespräch hatte mich etwas aufgebracht und meine Gefühle für Ihn wollten wieder hochkommen. Doch ich ließ es nicht zu.

Ich aß mein Abendbrot, eine kleine Pizza Dutchman, und machte mir schließlich Netflix an. Lieblingsserie an und einkuscheln, perfekt. Doch etwas zog seine Aufmerksamkeit auf mich. Das Album, welches ich vorhin erst beiseite legen musste wegen Henry. Ich ging dem Verlangen nicht nach und schnappte mir stattdessen mein Handy.

Die Beiträge auf Instagram flogen nur so über den Bildschirm, hängen blieb ich erst bei einem Beitrag der Wunderino Arena Kiel. Werbung für irgendwelche Magier, ich blieb hängen an den beiden jungen Männern. Sie sahen vertraut aus, aber doch fremd. Letztlich scrollte ich weiter und vergaß den Beitrag wieder.

Stattdessen hatte ich nun sein Lächeln im Kopf, seine Stimme. Vielleicht war der Umzug nach Herford doch keine so gute Idee, denn es kamen Erinnerungen hoch, die besser verschlossen geblieben wären. Wie automatisch griff ich das alte Fotoalbum und strich zaghaft über den Einband. "Ich muss einfach damit abschließen, es geht nicht anders", flüsterte ich zu mir selbst und öffnete das Album.

Gleich das erste Bild brachte mir Tränen in die Augen. Er lachte. Er lachte sein schönstes Lachen und ich hätte wetten können es kurz gehört zu haben. Ich hatte meine Arme um seinen Hals und lachte ebenfalls. Total unbeschwert. Das war mir seit so vielen Jahren kaum mehr möglich. Ein zweites Bild zeigte uns bei seinen Eltern im Garten, ich lief lachend vor ihm weg. Selbst Andreas war mit auf dem Bild. Von ihm wusste ich auch nichts mehr.

Mom hatte mir vor Jahren mal erzählt, dass sie ihn getroffen hatte. Er hat wohl geheiratet und zu dem Zeitpunkt hatte er einen kleinen Jungen dabei. Von Chris hatte er auch erzählt, aber das wollte ich nicht wissen. Kurz überlegte ich seine Nummer freizugeben, doch die Angst in mir war stärker. Stumm blätterte ich weiter im Buch und sah mir an, wie wir gemeinsam aufgewachsen sind und immer älter und reifer wurden.

Das Album endete im Sommer 1999, dort fing alles an. Er wusste ja nicht, was er mir mit seinem Verhalten antat. Seine Worte, seine Art.

Er sagte mal zu mir, dass er sich kein Leben ohne mich vorstellen konnte und ich das wichtigste in seinem Lebe wäre. Was soll ich sagen? Kein Monat später hab ich ihn mit Joelle erwischt und seitdem haben wir kein Wort mehr gewechselt. Ich konnte und wollte nicht. Ich stieß seine gesamte Familie von mir, weil ich nicht damit umgehen konnte, dass meine beiden besten Freunde hinter meinem Rücken eine Beziehung führten. Es brach mir das Herz, aber das wusste er natürlich nicht.

Ich legte das Fotoalbum zur Seite und begab mich ins Bett. Doch an Schlaf war kaum zu denken, denn er herrschte in meinen Gedankengängen. Seine Stimme und sein Gesicht war sofort da, sobald ich meine Augen schloss. Es wurde eine sehr unruhige Nacht. Jedoch nur eine von vielen, die in der Zukunft noch auf mich warteten.

Someone to YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt