Kapitel 45

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Liam und ich saßen noch weitere zehn Minuten am Strand und starrten auf das Wasser. Keiner von uns sagte ein Wort, doch die Stille war nicht unangenehm. Liam versuchte vermutlich zu verstehen, was Dad ihm gerade erzählt hatte, während ich daran zurückdachte, wie fertig Liam bei unserem ersten Telefonat nach dem Umzug war. Ich war so froh, dass er jetzt endlich die ganze Wahrheit kannte.

Das tiefe Einatmen von Liam holte mich aus meinen Gedanken zurück. Ich sah ihn an. „Wollen wir?", fragte ich leise und musterte ihn. Er schien kurz zu zögern, nickte dann aber und stand auf, gefolgt von mir. „Auch wenn ich nicht weiß, was mich gleich erwartet, ich will es nicht weiter vor mir herschieben." Ein leichtes Lächeln legte sich auf meine Lippen, da ich Liam bewunderte, wie gefasst er das ganze Thema aufnahm. Ich öffnete dann die Terrassentür und entdeckte Dad und Rebekah, die im Wohnzimmer saßen. Sie waren in eine Unterhaltung vertieft, die sich jedoch unterbrachen, als sie uns bemerkten.

„Setzt euch doch", wies Dad uns an. Während Liam sich in einen der beiden Sessel setzte, nahm ich neben meinem Vater Platz. Alle Blicke waren auf Liam gerichtet, der sich selbst zu sammeln schien. Es war still im Raum, während wir alle Liam musterten, der nach den richtigen Worten zu suchen schien. „Du hast gesagt, dass ihr durch ein Ritual Vampire wurdet. Wer und wie... also wie wird man ein Urvampir?", stellte Liam seine erste Frage und schaute zu Dad.

„Durchgeführt hat das Ritual unsere Mutter. Sie war eine Hexe und wollte uns schützen", erklärte Dad, was Rebekah mit einem Nicken bestätigte. „Schützen wovor?", Liams Stimme klang zögernd, und auch Dad schien zu überlegen, ob er diese Frage beantworten wollte. Ich hob meinen Blick und sah nun auch zu ihm, da ich die genaue Geschichte auch noch nicht kannte.

„Unser jüngster Bruder Henrik wurde von Werwölfen getötet", ergriff Rebekah das Wort. Kurz sah ich zu ihr, doch drehte ich meinen Kopf dann wieder zu Dad, der seine Augen geschlossen hatte. „Um weitere tödliche Übergriffe der Werwölfe zu verhindern, verwandelte unsere Mutter uns", erzählte sie weiter, während ich an Dad heranrutschte und meinen Kopf auf seine Schulter legte. Es dauerte nicht lange, bis ich spürte, wie er seinen linken Arm um mich legte und mir vorsichtig einen Kuss auf den Kopf gab.

„Also habe ich das richtig verstanden? Aufgrund von Werwölfen wurdet ihr von einer Hexe in Urvampire verwandelt?", wollte sich mein bester Freund vergewissern und atmete hörbar aus, als Dad und Rebekah nickten. „Gibt es sonst noch Wesen, von denen ich wissen sollte?"

„Niklaus, mein Onkel, ist halb Werwolf und halb Urvampir. Er ist also ein Hybrid", antwortete ich Liam, der jedoch verwirrt seine Augenbrauen verzog. „Nik ist nur unser Halbbruder. Sein Vater war ein Werwolf. Bei der Verwandlung wurde seine Werwolf-Seite ruhiggestellt. Er hat sie jedoch vor ein paar Jahren ausgelöst", ergänzte Rebekah meine Antwort, was Liam nicken ließ.

„Es gibt ja viele Geschichten über Vampire. Dass ihr schnell und stark seid, hast du ja schon bewiesen. Aber in den meisten Geschichten töten Vampire. Habt ihr schon getötet oder wie ernährt ihr euch?", fragte Liam, und man merkte, wie schwer ihm diese Frage über die Lippen kam. Auch jetzt mied er den Augenkontakt zu Rebekah und Dad.

„Ja, haben wir, aber das war in der Vergangenheit. Wir bekommen das Blut heute aus Blutkonserven, damit niemand zu Schaden kommt", betonte Dad, und ich konnte sehen, wie sich Liam bei der Antwort wieder sichtlich entspannte. „Die Männer vorhin... Ich vermute, sie waren auch Vampire? Habt ihr sie verwandelt?"

„Wir sind zwar der Ursprung, aber nicht alle heutigen Vampire wurden von uns verwandelt. Die Vampire vorhin – wir kennen zwar ihren Anführer, haben sie aber noch nie gesehen. Trotzdem bringen uns die meisten Vampire einen gewissen Respekt entgegen, da wir stärker sind als sie", erklärte Rebekah, während Dad nur ab und zu bestätigend nickte.

Noch immer hatte Dad seinen Arm um mich gelegt und schien seit dem Moment, als Rebekah den Tod seines Bruders angesprochen hatte, in Gedanken versunken. Ich musterte ihn, doch er schien es gar nicht zu bemerken und hatte seine Augen auf den Couchtisch vor uns gerichtet. Noch kurz ließ ich meinen Blick auf Dad ruhen, sah dann aber zu Liam, der im gleichen Moment auch nachdenklich zu mir sah.

„Du bist kein Vampir. Wieso?", fragte Liam schließlich. Ich wusste, dass diese Frage kommen würde, musste jedoch trotzdem schlucken. Ich hatte mir geschworen, keine Geheimnisse mehr vor ihm zu haben, und so setzte ich zur Antwort an. „Ich bin kein Vampir und auch kein Halbvampir, weil Dad nicht mein leiblicher Vater ist. Meine Mutter lernte ihn kennen, als sie bereits schwanger war, und kurz vor ihrem Tod hat sie ihn als meinen Vater eingetragen."

Überrascht zog Liam die Augenbrauen in die Höhe und blickte zwischen Dad und mir hin und her. „Was ist mit deinem richtigen Vater?", fragte er zögernd, und sofort spannte ich mich an. Ich dachte daran, wie aggressiv und gewalttätig mein leiblicher Vater vor ein paar Monaten war, und vergaß dabei, Liam zu antworten. Erst als ich Dads Hand spürte, die mir beruhigend über den Arm strich, erwachte ich aus meiner Starre und sah Liam wieder an.

„Dad ist und bleibt mein Vater. Das ist das, was zählt", betonte ich mit einem Blick zu Dad, der mich mit einem liebevollen Lächeln ansah. „Ich weiß, wie schwer es gewesen sein muss, mir die Wahrheit erzählt zu haben, und deswegen möchte ich mich bedanken. Ich verspreche, dass euer Geheimnis bei mir sicher ist, und ich werde versuchen, in Zukunft nicht die Urvampire in euch zu sehen, sondern Thalias Familie." Liam erklärte dies mit einem Blick zu Dad und Rebekah, die ihn erleichtert und glücklich ansahen.

Rebekah war die Erste, die sich von ihrem Platz erhob und sich vor Liam stellte, der sich ebenfalls erhoben hatte. „Darf ich dich umarmen?", fragte Rebekah vorsichtshalber und zog Liam sofort an sich, als dieser mit einem leichten Lächeln nickte. Auch Dad erhob sich kurz darauf, um meinen besten Freund zu umarmen, wobei er ihm irgendetwas sagte, das ich nicht verstand, aber ich konnte sehen, wie Rebekah dabei schmunzeln musste.

Nachdem Dad sich von ihm gelöst hatte, stand auch ich auf, um meinen besten Freund in die Arme zu schließen. Ich wusste, dass jetzt kein großes Geheimnis mehr zwischen uns stand. „Ich bin froh, dass du mir nicht böse bist", erklärte ich leise während der Umarmung. „Ich bin froh, dass ihr mir die Wahrheit erzählt habt", erwiderte er und brachte mich damit zum Lächeln. Kurz bereute ich, Liam nicht schon viel früher die Wahrheit erzählt zu haben, schob den Gedanken aber letztlich beiseite. Alles, was schlussendlich zählte, war, dass er jetzt die Wahrheit kannte, sie akzeptierte und sich nichts zwischen uns änderte.

Hallo ihr Lieben, hier ein neues Kapitel. Welche Fragen hättet ihr an Liams Stelle gestellt? Ich freue mich über euer Feedback 😊

Die Tochter von Elijah MikaelsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt