„Geht es dir gut? Wieso weinst du?", fragte mich plötzlich einer der Mitarbeiter, als wäre das alles eben nicht passiert, und legte eine Hand auf meine Schulter. Ich konnte es nicht verhindern, zuckte unter seiner Berührung zusammen. Es schien mir, als hätte er mich gerade aus einem Traum gerissen, weswegen ich mich in der Halle umsah. Alle anderen gingen ganz normal ihrer Tätigkeit nach, eilten durch die Gänge oder saßen auf den Stühlen. Nichts wirkte außergewöhnlich.
Nur Liams Blick lag mit einem Ausdruck von Mitleid auf mir, was mir bestätigte, dass die Situation mit Dad eben wirklich passiert war. Dass sie keine Einbildung war. Ohne auf den Mitarbeiter, der mich angesprochen hatte, zu achten, lief ich zu Liam und konnte die Verwirrung in seinen Augen ablesen, die auch in mir aufkam. „Warum reagiert keiner?", fragte Liam leise, während er ebenfalls seinen Blick durch die Menge schweifen ließ.
„Ich glaube, er hat sie manipuliert, den Moment zu vergessen. Aber ich bin mir nicht sicher. Er war plötzlich so komisch", gestand ich leise, versuchte durchzuatmen, um die restlichen Tränen versiegen zu lassen, war aber nur mäßig erfolgreich. Ich sah Dads Augen vor mir, wie sie plötzlich jeglichen Glanz verloren und mich emotionslos ansahen. So hatte ich Dad noch nie gesehen, verstand nicht, was es zu bedeuten hatte, wusste aber, dass er weg war und mich zurückgelassen hatte.
„Ich kann nicht in das Flugzeug steigen. Ich muss nach New Orleans. Ich muss zu meiner Familie. Ich..." Noch ehe ich der Panik hätte wieder verfallen können, zog Liam mich in seine Arme. Auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, blieb mir nichts anderes übrig, als mit Liam zu gehen. Ich wusste nicht, wie ich nach Hause kommen sollte oder was mich dort erwartete. Wusste nicht, ob Mikael bereits in der Nähe war und möglicherweise von mir gehört hatte. Weder Dad noch Klaus würden es sich verzeihen, wenn mir durch Mikaels Hand etwas passieren würde, doch schrie alles in mir nicht, in dieses Flugzeug zu steigen.
„Eben als Elijah und ich nochmal zurück sind, sollte ich ihm versprechen, auf dich aufzupassen. Ich weiß, dass du hierbleiben willst, aber ich werde mein Versprechen nicht brechen. Du weißt nicht, wie dieser Mikael drauf ist. Deswegen kannst du nicht bleiben, Thalia. Bitte zwing mich nicht, dich in dieses Flugzeug zu zwängen", sagte Liam mit einer ruhigen, aber bestimmten Stimme. Ich wusste, er würde seine Drohung zur Not wahr werden lassen. Mit einem tiefen Atemzug löste ich mich von ihm und suchte seinen Blick. Seine Augen strahlten Besorgnis aus, aber auch Entschlossenheit, weswegen ich nickte. Ich wusste, egal, ob ich wollte oder nicht, ich würde gleich in dieses Flugzeug steigen müssen. Liam war der Letzte, der irgendetwas dafür konnte, weswegen ich es ihm nicht noch schwerer machen wollte.
„Wir müssen zum Flugzeug", betonte er mit bedrückter Stimme und hatte bereits die Taschen in der Hand, als mein Blick zur Eingangstür ging. Ich hoffte, Dad würde zurückkommen, mich abholen und doch mit nach New Orleans nehmen, aber jedes Mal, wenn sich die Türen aufschoben, kamen nur fremde Menschen ins Gebäude hinein. Mit jedem Öffnen der Tür bestätigte sich das Gefühl in mir. Er war weg und kam nicht wieder. Ich brauchte einen Moment, um mich von dem letzten bisschen Hoffnung loszureißen und Liam zum Boarding zu folgen. Er lief mit den Taschen vorneweg, doch konnte ich ihm nur langsam folgen.
Mit jedem Schritt wurde es schwerer, doch ich kämpfte mich weiter vorwärts und versuchte, mich an den Gedanken zu klammern, dass es nur eine Frage der Zeit sein konnte, bis meine Familie Mikael besiegt hatte und ich sie wiedersehen würde. Auch Liam hatte meinen Kampf bemerkt, war stehen geblieben und sah mit einem leichten Lächeln zurück. „Deine Familie schafft das. Mikael hat keine Chance, und spätestens in ein paar Tagen ist Elijah auf dem Weg nach Portland, um dich abzuholen", versuchte er mich aufzuheitern. Ich wollte seinen Worten glauben, konnte das letzte bisschen Angst aber nicht hinunterschlucken, zumal mich Dads plötzlicher Wandel auch nicht beruhigte.
Trotzdem schloss ich zu ihm auf und nahm ihm meine Tasche ab. Während wir durch den schmalen Gang zum Flugzeug liefen, wurde ich nervös bei dem Gedanken, das erste Mal zu fliegen. Schließlich waren wir beim letzten Mal mit dem Auto von Portland nach New Orleans gefahren. Liam war meine Nervosität nicht entgangen, und so legte er einen Arm um meine Schulter, um mich zu beruhigen.
Nach wenigen Minuten erreichten wir unsere Plätze, die zum Glück direkt nebeneinander lagen. Höflicherweise bot mir Liam den Platz am Fenster an, wobei ich mir nicht sicher war, ob er es tat, damit ich am Fenster saß, oder damit er am Gang saß, um zu verhindern, dass ich das Flugzeug noch im letzten Moment verlasse. Erschöpft ließ ich mich nieder, wischte mir die einzelnen Tränen, die noch immer meine Augen verließen, weg und zog mit zitternder Hand mein Handy hervor. Schnell ging ich auf Dads Chat und schrieb ihm eine kurze, aber ehrliche Nachricht: ‚Ich habe dich lieb, Dad. Bitte passt auf euch auf.'
Ich wusste nicht, was ich ihm sonst hätte schreiben sollen. Es war genau das, was ich ihm gerne gesagt hätte, bevor er verschwunden ist. Schweigend sah ich auf mein Handy hinunter, hoffte, er würde die Nachricht gleich sehen und beantworten, bevor das Flugzeug startete. Die Stewardess hatte derweil begonnen, die Sicherheitsunterweisung vorzutragen, während ich noch immer wie gebannt auf das Handy starrte.
Ich spürte Liams Blick auf mir, wollte meine Aufmerksamkeit aber nicht vom Chat ablenken. „Du musst dein Handy gleich ausmachen für den Flug", erklärte er leise. Ich nickte, um ihm zu zeigen, dass ich ihn gehört hatte, als sich endlich etwas tat. Online... gelesen... offline. Vermutlich hatte mein Handy Probleme mit dem Empfang, weswegen seine Antwort nicht sofort durchkam. Doch auch als wir fünf Minuten später von der Stewardess gebeten wurden, die Handys auszuschalten und mir volles Internet angezeigt wurde, blieb lediglich das Wort „gelesen" bestehen. Widerwillig schaltete ich es aus, ließ meinen Kopf gegen die Lehne sinken und schloss die Augen. „Es tut mir leid", vernahm ich Liams Stimme, während eine einzelne Träne meine Wange hinunterlief und letztlich vertrocknete.
Seid ihr mehr Team Kol oder Team Marcel? Ich freue mich über euer Feedback 😊
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Die Tochter von Elijah Mikaelson
VampireWas wird passieren, wenn Elijah plötzlich als Vater in der Geburtsurkunde eingetragen wird und von nun an die Verantwortung für ein Tochter hat? Wie sagte er einst? "Für immer und ewig. Familie über alles." Die Rechte der Originals oder Vampire Diar...