Kapitel 1

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Yoongi:

Ich riss meinen Mund auf und gähnte herzhaft. Die gerade aufgegangene Sonne schien durch die großen Panoramafenster in mein Wohnzimmer und ich blinzelte, um auf die Stadt hinunter zu gucken. Heute begann meine freie Woche, bevor der ganze Stress und die Termine wegen des Comebacks auf mich warteten.

Aus genau diesem Grund schlenderte ich in die helle Küche meines Ferienhauses, und nicht meiner Wohnung mitten in Seoul, wo sich ebenfalls die Morgensonne spiegelte - obwohl es erst Anfang Mai war, war das Wetter wunderschön -, und füllte ein Glas mit Wasser. Während ich die Hügellandschaft auf der einen Seite meines Hauses beobachtete, trank ich es in gleichmäßigen Zügen leer.

Es war schön, sich nicht über Schminke, die einem das Gesicht verklebte, und hektische Meetings Gedanken machen zu müssen, doch andererseits machte ich auch in meiner Freizeit so gut wie nichts für mich. Die meiste Zeit schrieb ich an den Songs, die wir noch nicht veröffentlicht hatten und verbesserte sie, beziehungsweise schrieb Neue. Oder ich lag in meinem Bett, auf dem Sofa oder im Garten und beobachtete die Umgebung, wenn ich nicht gerade schlief.

Ich schaute auf die Uhr. Es war gerade einmal halb acht. In letzter Zeit konnte ich nachts schlecht durchschlafen. Ein Grund mehr, mich tagsüber zu erholen. Gerade als ich überlegte, ob ich wieder zurück in mein Bett gehen sollte, welches bestimmt noch angenehm warm war, hörte ich auf einmal ein Rumpeln. Verwirrt drehte ich mich um. Was war das? Einen kurzen Moment dachte ich, jemand wäre bei mir eingebrochen, doch dann entdeckte ich - dank meinen Fenstern - im Augenwinkel, wie jemand draußen herumlief. Mit meinem leeren Glas in der Hand stellte ich mich so hin, dass ich eine perfekte Sicht auf das Geschehen auf dem Nachbargrundstück hatte. Vor einigen Monaten wurde dort ein ziemlich großes Haus gebaut und ich hatte mich schon länger gefragt, wer dort einziehen würde. Die Umzugshelfer waren jedoch die einzigen Leute, die ich weit und breit erkennen konnte. Bei dem Krach, den sie machten, konnte ich sowieso nicht mehr schlafen, also entschied ich mich dazu, mich fertig zu machen und ein wenig Sport zu treiben.

Während meine eigene Musik durch meine Kopfhörer schallte und ich mich dermaßen anstrengte, dass das graue T-Shirt, was ich trug, von Schweiß durchnässt wurde, vergaß ich jegliche Gedanken an vorhin.

Um Punkt zwölf bestellte ich mir Mittagessen und setzte mich dann eine halbe Stunde später, als es endlich angekommen war, in den Garten, um zu essen. Es war wirklich perfektes Wetter. Keine nervigen Insekten, die mich beim Essen störten, aber Temperaturen, bei denen ich ein T-Shirt anziehen konnte. Trotzdem - da ich nicht wirklich ein Fan davon war, von der Sonne angeleuchtet zu werden und man in meinem Business eher eine porzellanweiße Haut brauchte - fuhr ich die Markise über meiner Terrasse aus. Ich versuchte, die Geräusche im Haus meiner neuen Nachbarn auszublenden und mich auf das Geräusch von den zwitschernden Vögeln in den Bäumen meines riesigen Gartens zu konzentrieren. Das fiel mir nicht gerade leicht, denn anscheinend bauten diese Umzugsleute gerade alle möglichen Möbel zusammen und hängten irgendetwas auf, zumindest fiele mir kein anderer Grund ein, wofür man gefühlte fünf Bohrer gleichzeitig anstellen musste.

[...]

Langsam hatte ich mich an das laute Geräusch von Bauarbeiten gewöhnt, also war es komisch, mal ohne sie aufzuwachen. Seit mittlerweile drei Tagen wohnte ich wegen des Urlaubs in meinem Haus und genauso lange hätte ich eigentlich in der Wohnung in der Stadt bleiben können, weil ich mich hier nicht entspannen konnte. Ich fragte mich wirklich, wann diese Leute endlich mit ihrem Einzug fertig waren. So wie das Nachbarhaus aussah, als ich angekommen war, müssten sie nämlich schon einige Wochen davor angefangen haben, zu renovieren und das Haus einzurichten.

Wieso dachte ich überhaupt darüber nach? Diese Leute hatten absolut nichts mit mir zu tun und überaus großes Interesse, mich mit ihnen anzufreunden, hatte ich erst recht nicht. Ich schlug meine Decke zurück und strampelte mit den Beinen, damit ich sie ganz loswurde. Während ich ins Wohnzimmer, beziehungsweise die Küche lief, schloss ich kurz die Augen und streckte ich die Arme über den Kopf, um richtig wachzuwerden. Als ich die Augen wieder öffnete, starrte ich genau in das Gesicht meines neuen Nachbarn. Zumindest glaubte ich, dass er das war. Er stand immerhin genau auf der Linie zwischen unseren Grundstücken und sah eher aus, als würde er aus einem Modemagazin kommen als von einer Umzugsgesellschaft.

Wie reagierte man in so einer Situation? Gerade wurde mir deutlich bewusst, dass meine Haare vermutlich in alle Richtungen abstanden und ich nur meine Boxershorts trug. Und als wäre das nicht genug, hielt ich meine Arme noch hoch über meinen Kopf gestreckt wie der letzte Idiot. Schnell nahm ich sie herunter und verschränkte sie - was auch nur eine mäßige Verbesserung war - über der Brust.

Abweisend wie der nette Nachbar, der ich doch war.

Andererseits verhielt sich mein Gegenüber auch nicht normaler, denn der Mann, der höchstens ein paar Jahre jünger war als ich, starrte mich schamlos an und ich stand wie festgefroren da, weil ich keine Ahnung hatte, wie ich mich in diesem Moment verhalten sollte. Ich war kein Mensch, der gerne im Mittelpunkt stand oder beobachtet wurde.

Schließlich blinzelte er mehrmals, so als wäre er von seinem eigenen Verhalten irritiert und stapfte dann über den braunen, noch unbepflanzten Untergrund zu seinem Haus.

Ähm... okay?

Nur weil ich nicht versuchte, neue beste Freunde zu finden, hieß das nicht, dass jede Begegnung mit meinen Nachbarn total unangenehm werden musste.

Apropos Nachbarn. Lebten dort überhaupt mehrere Leute oder war er alleine? Ich kniff die Augen zusammen und versuchte angestrengt, in das Haus zu schauen. Kopfschüttelnd wandte ich mich ab.

Na super, jetzt war ich derjenige, der mit offenem Mund reglos dastand und fremde Menschen stalkte.


952 Wörter

𝚒𝚏 𝚢𝚘𝚞 𝚋𝚎𝚕𝚒𝚎𝚟𝚎 / 𝚢𝚘𝚘𝚗𝚖𝚒𝚗Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt