Kapitel 4

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Yoongi:

Stöhnend drehte ich mich um. Mein Arm fiel auf irgendetwas. Ich versuchte, die Augen zu öffnen, doch alles war so schrecklich hell und mein Kopf schmerzte. Als sich meine Sicht ein wenig klärte, konnte ich einen fremden Mann neben mir erkennen.

Jetzt erinnerte ich mich auch an gestern.

Nachdem ich verschwitzt auf dem Rückweg vom Joggen war, wollte ich nicht sofort wieder nach Hause laufen, weil mich dieser Mann von drüben verrückt machte. Dabei tat er nicht einmal etwas, was mich hätte stören können. Aber mein gestriges Ich wollte wohl trotzdem nicht wieder an ihn denken müssen.

Ich hatte also offensichtlich irgendwo auf dem Weg jemanden aufgegabelt, der nichts dagegen hatte, die Nacht mit mir zu verbringen. Fragt sich, wie ich das geschafft hatte, in einer Umgebung mit so gut wie keinen anderen Menschen. Ich musste mir wirklich Mühe gegeben haben.

Für einen Abend Ruhe vor meinen Gedanken hatte ich jetzt jemand Unbekanntes in meinem Bett liegen. Genau aus diesem Grund lud ich niemanden zu mir nach Hause ein.

Eine Sekunde zog ich es in Erwägung, einfach nach unten zu gehen und, wenn er aufgewacht war, dort weiter zu machen, wo wir gestern aufgehört hatten.

Dann kam ich wieder zu meinen Sinnen und rüttelte an seiner Schulter, um ihn rauszuschmeißen.

„Wach auf. Du musst gehen!", murmelte ich.

Er knurrte nur und schlug meinen Arm weg. Im Ernst?

„Mein Freund kommt gleich nach Hause...", versuchte ich es anders. „Willst du mich verarschen, Mann? So einer bin ich nicht." Innerhalb von ein paar Sekunden war er aufgestanden und zog sich seine Boxershorts an.

Weil ich versuchte, möglichst nicht hinzusehen, obwohl mir das jetzt eigentlich ziemlich egal sein sollte, richtete ich meinen Blick nach oben wie ein wahrer Gentleman. Ha ha, Gentleman. Ich? Nicht.

Dabei erblickte ich mein speerangelweit offenstehendes Fenster. War das die ganze Nacht offen gewesen?

Wahrscheinlich ... zumindest hatte ich es heute Morgen nicht geöffnet und ich dachte nicht, dass sich mein One-Night-Stand seit gestern Abend auch nur einen Millimeter bewegt hatte.

Der Fremde drehte sich um, um zu sehen, was mich zum Nachdenken brachte. „Das hast du extra aufgemacht und gesagt ‚verpiss dich aus meinem Kopf'.", meinte er und klopfte mir im Vorübergehen auf die Schulter. „Und wenn du keinen Freund hast: sag mir einfach, dass ich gehen soll, Mann. Musst keinen Aufstand machen."

Seine letzten Worte hatte ich gar nicht richtig gehört (außerdem hatte ich tatsächlich gesagt, er sollte gehen), ich war noch dabei, zu verarbeiten, dass ich angeblich das Fenster aufgemacht hatte, um meinen Nachbarn mental zu verscheuchen. Langsam reichte es mir. War ich ein liebeskranker Teenager, der dachte, jemanden eifersüchtig zu machen war die beste Lösung für alles?

Wieso überhaupt eifersüchtig machen? Warum dachte ich, Mr. Park – ich hatte seinen Namen vom Klingelschild abgelesen, als ich Joggen gehen wollte, weil ich zu neugierig war – würde sich auch nur im Geringsten dafür interessieren, was ich mit wem trieb?

Ich bildete mir wirklich zu viel auf höchstens zwanzig Sekunden Augenkontakt ein.

Außerdem hatte ich den alles andere übertönenden Schmerzen zufolge gestern auch zu viel getrunken. Dann konnte ich wenigstens als eine Ausrede benutzen, dass ich nicht ganz klar im Kopf gewesen war.

Erschöpft ließ ich mich gegen die Wand sinken.

Warum konnte ich mich nicht einfach entspannen und über nichts nachdenken?

Und wenn, dann über produktive Dinge wie meine Arbeit.

Als ich mich auf einen Barhocker an meine Kücheninsel setzte, dachte ich auf einmal, dass mein Nachbar wahrscheinlich gar nicht mitbekommen hatte, was ich gestern gemacht hatte.

Aus irgendeinem Grund störte mich das.

Frustriert ließ ich meinen Kopf auf die Arbeitsplatte sinken und fuhr mir knurrend durch die Haare.

Ich hatte unbedingt herauszufinden, was mich an diesem Typen mit seinen blöden blonden und fluffigen, wie Wolken aussehenden Haaren faszinierte, damit ich etwas dagegen tun konnte. Diese ganze innere Unruhe machte mich echt fertig.

Nach meinem Frühstück startete ich noch einen verzweifelten Versuch, an meinen Songs weiter zu schreiben.

Als hätte ich ihn gerufen, zerrte Parki, wie ich meinen Nachbarn jetzt aufgrund seines Nachnamens getauft hatte, seinen Liegestuhl nach draußen, dabei hatte ich vor nicht einmal fünf Minuten meine Blätter und einen Stift nach draußen gebracht, um zu arbeiten.

Wütend kniff ich die Augen zusammen und beobachtete ihn. Wie zur Hölle war es überhaupt möglich, so auszusehen? Das war doch unfair.

Sobald ich kurz vergaß, sauer auf ihn zu sein und vermutlich wie ein Kind im Süßigkeitengeschäft sein Profil anstarrte, drehte er sich um und schaute mir genau in die Augen und wahrscheinlich bis in meine Seele.

Seine Augenbrauen zogen sich verwirrt zusammen und er schien sich zu zwingen, sich von mir abzuwenden.

Hmm... wieso?

Wie in Trance beobachtete ich ihn weiter, was ihn nicht kalt ließ. Ich konnte genau erkennen, dass er in seinem Buch seit zehn Minuten nicht umgeblättert hatte und seine Brust sich unregelmäßig hob und senkte.

Nach weiteren drei Minuten schien er aufzugeben, klappte sein Buch hörbar zu und sah mich mit herausfordernd hochgezogenen Augenbrauen an. „Hast du ein Problem mit mir oder gibt es sonst einen Grund, dass du mich die ganze Zeit beobachtest, hm?" Ich grinste. „Was?", fragte er nervös. Gelassen streckte ich meine Hände aus und ließ meine Handgelenke knacken. Ich lächelte immer noch herausfordernd, weil ich genau wusste, dass ihn das störte. „Kannst du das lassen? Du bist mein Nachbar und offensichtlich kannst du dir genug andere Leute suchen, die gerne mit dir Zeit verbringen.", sagte er und riss sofort seine Augen auf. Anscheinend hatte er das eigentlich nicht sagen wollen. Jetzt fing ich an, lauthals zu lachen.

Er hatte es also doch mitbekommen.

Was ist denn?", knurrte er aufgebracht.

Ehrlich gesagt machte es mir Spaß, ihn verrückt zu machen und auch in seinem Kopf herum zu spuken. Ohne ihn noch einmal anzusehen stand ich auf und ließ ihn mit seiner Verwirrung allein.

Trotzdem konnte ich nicht herausfinden, was mich an ihm fesselte und das trübte mein Triumphgefühl ein wenig.

Jimin:

Mein Herz war eindeutig überarbeitet. In jeder Zelle meines Körpers spürte ich es schlagen. Es hatte sich wohl herausgestellt, dass ich mit einem Psychopaten Grundstück an Grundstück lebte. Oder einfach mit jemandem, dem es Spaß machte, andere Leute zu ärgern. Ärgern war noch milde ausgedrückt. Ich war jetzt schon mit meinen Nerven am Ende.

Er hatte nichts gesagt. Nicht ein einziges Wort. Und schon sein Lachen hatte bei mir eine Gänsehaut am ganzen Körper verursacht. Ob dies eine gute oder schlechte Weise war, wusste ich noch nicht so genau.

Ich hätte einfach nicht von gestern Abend anfangen sollen, jetzt fühlte ich mich nur, als hätte ich ihn stolz gemacht. Die Finger, die mein Buch umschlossen, zitterten. Und diesmal war es seine Schuld und nicht die des blöden Schüttelfrosts.

Einen positiven Punkt gab es an der ganzen Sache: er schien mir nicht wie jemand, der gerne mit mir befreundet sein wollte. Und das passte mir.

Dann sollte er sein ach so tolles und undurchschaubares Ding durchziehen, ich würde nicht denselben Fehler zwei Mal machen.

1155 Wörter

𝚒𝚏 𝚢𝚘𝚞 𝚋𝚎𝚕𝚒𝚎𝚟𝚎 / 𝚢𝚘𝚘𝚗𝚖𝚒𝚗Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt