Kapitel 26

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Jimin:

Ich hatte so gehofft, dass ich keine oder zumindest weniger Nebenwirkungen haben würde als beim letzten Mal, doch ich hing so ziemlich den ganzen Tag über der Toilettenschüssel. Yoongi hatte irgendwelche Interviews, also war ich alleine. Es war schon später Nachmittag und ich erwartete, dass er in der nächsten Zeit wiederkommen würde. Ich hatte ein wenig Angst vor unserer Begegnung, weil er mich gestern Abend wieder einmal ohne Protest in den Armen gehalten hatte, bis wir in mein Zimmer gegangen und schließlich eingeschlafen waren. Wenn so etwas sonst vorkam - also relativ selten - taten wir danach meist so, als wäre nichts gewesen.

Gerade aß ich ein wenig Reis mit Kimchi, weil ich unglaublichen Hunger bekommen hatte, als ich ein Ping und dann Schritte hörte. „Jimin?", rief Yoongi und setzte sich kurz darauf zu mir. „Hm.", machte ich nur und spürte, wie sich schon wieder Übelkeit in mir ausbreitete, also schob ich genervt den Teller von mir.

„Was ist?" Yoongi sah auf das Essen herunter, was jetzt genau vor ihm stand.

„Ich kann nichts essen." Er runzelte die Stirn. „Warum?" Er hatte seine Frage noch nicht ganz beendet, da rannte ich schon in Höchstgeschwindigkeit zur Toilette.

Wahrscheinlich hatte er in naher Zukunft genug von mir und keine Lust mehr auf mich und meine Krankheit. Ich war mir relativ sicher, dass er dachte, ich würde ein paar Mal in der Woche ins Krankenhaus zur Therapie gehen und das war's dann.

Erschöpft ließ ich mich auf die kalten Fliesen sinken. Schwindel und Kopfschmerzen hatte ich auch noch, weil ich bisher weder Essen noch Trinken bei mir behalten konnte und mein Kreislauf sich deshalb schon gegen Mittag verabschiedet hatte.

„Kann ich dir irgendwie helfen?" Yoongi stand im Türrahmen und sah besorgt aus. In meiner Brust machte sich das Gefühl und die Hoffnung breit, dass er mich vielleicht doch nicht im Stich lassen würde und für immer an meiner Seite bleiben würde. Gleich darauf verwarf ich den Gedanken wieder, er war berühmt und reich und hatte genug Freunde, also brauchte er mich nicht. Und was hatte ich schon, dass andere nicht hatten? Genau, Krebs.

Also schüttelte ich den Kopf und Yoongi verschwand. Ich sollte mich auf mich konzentrieren. Wahrscheinlich war es doch besser, aneinander vorbei zu leben.

„Hier." Erschrocken zuckte ich zusammen. Ein Glas Wasser schwebte vor meinem Gesicht und als ich meinen Kopf drehte, konnte ich erkennen, dass Yoongi sich neben mich gekniet hatte und mir mit einem nassen Handtuch die Stirn abtupfte. Wieso war er so distanziert und dann auf einmal so nett und sanft? Konnte er sich nicht für eins davon entscheiden? Dann bitte für nett und sanft...

„Danke." Meine Stimme hörte sich heiser an und Yoongi lächelte traurig und müde. Ich würde so gern wissen, warum er das alles hier tat. Es war sicher nicht die ganze Wahrheit, dass er einfach nur nett war, doch ich wollte das zwischen uns nicht zerstören, wo er die erste Person war, die mir beistand. Ich konnte ihn nicht verlieren. Fuck. Ich hatte nicht bemerkt, wie sehr ich ihn mochte und realisierte: wenn er mich jetzt bitten würde, zu gehen, würde ich das nicht überstehen.

„Kannst du aufstehen?", fragte er vorsichtig und streckte eine Hand als Hilfe aus. Dankbar ergriff ich sie und er zog mich auf die Beine. „Du kannst dich ja zu mir ins Wohnzimmer setzen, wenn du möchtest, in Ordnung? Dann sehe ich es, falls etwas passiert." Ich zuckte mit den Schultern, ein wenig unangenehm war es schon, wenn er mich in dem Moment sah, in dem ich wohl am wenigsten Würde besaß. Eine andere Wahl hatte ich aber auch nicht, so bestimmt wie er mich hinter sich herzog.

„Ich spiele etwas Klavier im Hintergrund, das stört dich doch nicht, oder?" Ich schüttelte den Kopf und schielte über den oberen Rand meines – eher gesagt seines – Buches zu ihm und sah, wie er die Blätter, die schon seit meinem Einzug auf dem Flügel lagen, ordnete und sie aufstellte.

„Jimin, das macht mich nervös.", bemerkte er wie nebenbei und ich hätte seine Worte fast nicht verstanden, weil ich nur darauf achtete, wie seine Adern in Händen und Armen hervortraten, wenn er seine Muskeln an- und entspannte. Ups.

Ich räusperte mich verlegen. „Sorry." Mir war peinlich, dass er mich beim Starren erwischt hatte, dabei kam das leider sogar häufiger vor.

„Schon gut, ich habe sowieso eine Schreibblockade. Ich dachte, wenn ich irgendeine Melodie finde, dann wird das wieder weggehen und ich kann wie davor weiterschreiben. Tja, anscheinend eher nicht." Er klappte die Tasten zu und schob den kleinen Hocker unter den Flügel, nachdem er aufgestanden war.

„Wieso hast du denn eine Blockade?" Yoongi sah mich nachdenklich an. „Ich weiß einfach nicht, worüber ich schreiben soll. Mein Kopf ist wie leergefegt.", erklärte er und ließ sich resigniert neben mich fallen.

„Du könntest doch über dein Leben schreiben. Ich bin mir sicher, dass du viel zu erzählen hast.", meinte ich und tastete mich vorsichtig wieder an das Ich-will-dass-wir-uns-vertrauen-und-uns-alles-sagen-können-Thema heran.

„Hm.", machte er und blickte ins Leere. „Kann schon sein. Aber ich habe mich vor Jahren das letzte Mal mit meinen Gefühlen und meinem Leben auseinandergesetzt. Ich kann das wahrscheinlich gar nicht mehr." Als hätte das ihn zurückgeholt, blinzelte er mehrmals und stand dann auf. „Nein, Jimin. Ich weiß genau, was das hier werden soll. Ich bin nicht bereit dafür, also lass es einfach gut sein." Yoongi kniff die Augen zusammen und verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust. Ich seufzte.

„Tut mir leid. Musst du nicht. Ich will nur sagen: Wenn du reden möchtest, wäre die Musik ein guter Weg dazu. Für jemanden wie dich wahrscheinlich der leichteste. Aber natürlich kannst du jederzeit zu mir kommen." Damit stand ich ebenfalls auf und wollte mich an ihm vorbeischieben, doch er hielt mich an meiner Schulter fest und nutzte seine andere Hand, um mein Kinn in seine Richtung zu drehen.

Mein Herz überarbeitete sich schon wieder und ich versuchte vergeblich, mich aus seinem Griff zu befreien, weil das Gefühl von seiner Hand mich keinen klaren Gedanken mehr fassen ließ.

„Du wirst sicher nicht nach oben verschwinden, wenn ich versprochen habe, dass ich dich im Auge behalten werde, falls es dir nicht gut geht.", sagte er ruhig und ich konnte trotz dieses nervigen Kribbeln nicht wegsehen, da das Tiefbraun seiner Augen mich an einen wunderschönen Herbstmorgen im Wald erinnerte und ich am liebsten darin eintauchen würde.

„Ha-hattest du?" Er nickte und schob mich sanft an meiner Brust zurück auf das Sofa. Als er neben mir saß, legte er sich, ohne zu fragen meine Beine auf den Schoß und ich hob das Buch ein Stückchen höher, damit er meine roten Wangen nicht sah. Warum machte er mich so verrückt? Und warum wirkte er so, als wäre das alles hier so normal für ihn und würde ihn komplett kalt lassen? Das machte er doch nicht mit jedem... oder?


1148 Wörter

𝚒𝚏 𝚢𝚘𝚞 𝚋𝚎𝚕𝚒𝚎𝚟𝚎 / 𝚢𝚘𝚘𝚗𝚖𝚒𝚗Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt