Kapitel 22

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Yoongi:

Ich lag schon seit zwanzig Minuten in meinem Bett und starrte an die weiße Decke, weil ich mich weigerte, aufzustehen. Ich wollte definitiv nicht in zweieinhalb Stunden Tanzen müssen. Dieser Teil von meinem Beruf war eindeutig am schlimmsten und ich konnte es doch nie umgehen.

   Es lohnte sich nicht, jetzt duschen zu gehen und es später wieder tun zu müssen also überwand ich mich dazu, mich aus dem Bett rollen und eine Jogginghose anzuziehen. Sonst würden wir die Jimin-Yoongi-Kennenlern-Situation in noch. unangenehmer wiedererleben und darauf konnte ich verzichten.

   Sobald ich die Tür öffnete und auf den Flur trat, hörte ich Musik. Hatte Jimin das Radio angemacht? Das Lied kannte ich, aber es hörte sich anders an.

   Unten angekommen erkannte ich, dass Jimin selbst sang.  Zu einem Song von Jungkook und Taehyung.

   Als es zu Ende war, bemerkte er mich und erstarrte. „G-guten Morgen. S-seit wann stehst du da?", stotterte er.

   „Erstens: Guten Morgen. Zweitens: Lange genug." Ich hob eine Augenbraue.

   „Du bist wahrscheinlich Besseres gewohnt." Er lachte nervös und schaltete hastig sein Handy aus, auf welchem schon das nächste Lied anfing zu spielen. Wieder eins von uns.

   „Nein. Das nicht. Du... ähm... singst wirklich gut." Wahrscheinlich gab es auf der ganzen Welt niemanden, der schlechter Komplimente machen konnte als ich. Aus meinem Mund klangen diese immer als würde ich lügen, obwohl ich es ernst meinte. Gab es Workshops darin?

   Auch dieses Mal glaubte mir niemand und Jimin verschränkte die Arme vor der Brust. „Kannst du wenigstens gut lügen?", fragte er ironisch, doch er wirkte irgendwie verletzt.

   „Tatsächlich kann ich gut lügen. Nicht, dass ich dich anlügen würde. Ich bin nur nicht gut darin, nett zu anderen zu sein. Aber das, was ich gesagt habe, war mein vollster Ernst. Wieso bist du nicht Sänger geworden?" Er wand sich sichtlich und zuckte schließlich mit den Schultern.

   „Weil ich zu nervös bin, wenn ich auf Bühnen stehe? Keine Ahnung, ich fühle mich dann so allein und als würden alle mich angucken. Was sie ja auch tun."

   „Naja, du wärst ja nicht alleine. Wir sind ja zum Beispiel zu sechst. Außerdem gewöhnst du dich bestimmt irgendwann daran."

   „Vielleicht. Im Moment wird es sowieso etwas schwierig, irgendeinen neuen Beruf für mich auszuüben, findest du nicht? Was willst du denn, was ich jetzt mache? Mich auf der Stelle bei einem Entertainment anmelden?" Jimin schob den zweiten Band von Percy Jackson zwischen seinen Händen hin und her.

   „Ich habe keinen blassen Schimmer. Vergiss es einfach." Das hörte sich jetzt um ein Vielfaches unhöflicher an als ich es gemeint hatte. „Ich werde dich nicht zu etwas zwingen. Vor allem kennen wir uns ja noch nicht so gut. Es steht mir nicht zu, dir Vorschläge zu machen.", murmelte ich und warf einen flüchtigen Blick auf die Uhr. In anderthalb Stunden musste ich fahren. Viel zu lange, wenn ich bis dahin mit Jimin von einem Fettnäpfchen ins nächste treten würde.

   „Ist schon okay." Er seufzte und sah mich an. „Ich habe heute kein Frühstück gemacht, aber ich kann noch, wenn du das möchtest."

   „Hast du denn Hunger?", fragte ich.

   „Nein, ich... ähm... habe schon gegessen. Müsli." Ich nickte und danach verfielen wir wieder in Schweigen.

   „Yoongi?" Jimin knibbelte an seinem Fingernagel. „Warum hast du mich bei dir aufgenommen?"

   „Das habe ich dir doch schon gesagt. Ich fühle mich verantwortlich und habe es deinem Arzt versprochen." Ausgesprochen klang es viel lächerlicher und wie eine Ausrede.

   „Könntest du mir vielleicht auch den richtigen Grund sagen?" Jimin verdrehte die Augen.

   „Das ist der richtige Grund.", beteuerte ich hartnäckig wie ein kleines Kind.

   „Na schön. Du hast mir noch rein gar nichts über dein eigenes Leben erzählt und ich bin mir sicher, es hat etwas damit zu tun. Dann reden wir eben nicht mehr. Das, was aus deinem Mund kommt ist sowieso nur Bullshit.", fauchte er nun und kippte den Stuhl um, als er ruckartig aufstand. Ich folgte seinem Beispiel und lief mit großen Schritten um den Tisch herum.

   Wütend presste ich ihn mit dem Rücken gegen die Wand und hielt ihn mit meinen Händen neben seinem Kopf gefangen. Mit weit aufgerissenen Augen schaute er mich an.

   „Ach, jetzt bereust du, was du gesagt hast?" Ich lachte herablassend. „Du hast mir auch nur die halbe Wahrheit gesagt und erzähl mir keinen Scheiß. Dir kann man sowieso alles vom Gesicht ablesen. Nein, ich habe dir nichts über mich persönlich erzählt. Wieso sollte ich auch? Wir haben keine Beziehung oder Freundschaft. Also nenne mir einen einzigen verdammten Grund, der gut genug ist, damit ich dir das erzähle, was mich jede beschissene Nacht wachhält und warum ich für einen Idioten, der nicht weiß, was er will, sorge! Und wieso legst du es so sehr darauf an, mich zu provozieren?" Er bewegte sich keinen Millimeter, denn er hatte keinen Bewegungsfreiraum und wenn ich nicht kurz davor gewesen wäre, ihm eine reinzuhauen, hätte ich auch gemerkt, in welcher Position wir uns gerade befanden.

   „Es tut mir leid, okay? Was willst du noch von mir hören? Wir vertrauen einander nicht, also belassen wir es einfach dabei, dass das einzige, was wir teilen, diese Wohnung, deine Freunde und Bücher sind.", fauchte er irgendwann.

   Ich atmete tief ein und aus. Es war noch über eine Stunde Zeit, doch ich musste hier raus. Jimin machte mich fertig.

   Zwar hatte ich ihn nicht wirklich angelogen, wir redeten schließlich so gut wie nie, aber ich hatte ihm auch kein bisschen über mich verraten.

   Das würde mich verwundbar machen und ich wollte nicht verwundbar sein. Schon gar nicht vor ihm.


904 Wörter

𝚒𝚏 𝚢𝚘𝚞 𝚋𝚎𝚕𝚒𝚎𝚟𝚎 / 𝚢𝚘𝚘𝚗𝚖𝚒𝚗Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt