Yoongi:
Ich hatte absolut keine Ahnung, wie ich hier hereingeraten war. Und erst recht nicht, wie ich wieder herauskommen würde. Wie gestern schon fühlte ich mich für Jimin verantwortlich und hatte das dringende Bedürfnis, für seine Sicherheit zu sorgen. Meine höchstens drei Stunden Schlaf heute Nacht hatten mich komplett fertig gemacht, obwohl ich versucht hatte, möglichst wenig darüber nachzudenken, was ich mit ihm anfangen sollte. Und über sein Leben.
Jetzt trommelte ich rhythmisch auf meinen Tresen in der Küche und überlegte, ob ich zu ihm hinüber gehen sollte oder lieber nicht. Es stand fünfzig fünfzig, entweder er tat so, als würde er sich nicht über Gesellschaft freuen, weil es ihm unangenehm war, oder er würde mich sofort rausschmeißen.
Ich war mir ziemlich sicher, dass es die Das-ist-Hausfriedensbruch-also-verpiss-dich-Variante werden würde. Dann konnte ich aber wenigstens stolz von mir behaupten, dass ich es versucht hatte.
Eigentlich hatte ich die Entscheidung schon längst getroffen, doch ich zögerte es immer weiter hinaus, als würde sich Jimin zusammen mit meinen Erinnerungen an die letzten Tage irgendwann in Luft auflösen, sobald ich mir nicht versicherte, dass er noch da war.
Für den Fall, dass ich einfach irgendwo neben ihm sitzen würde und wir nicht redeten, nahm ich meinen Block und einen Kugelschreiber mit. Ich hatte viel zu wenig geschrieben. Das würde die anderen bestimmt verwundern, wenn ich zurück war. Ja, es war mein Urlaub und sie würden sich bestimmt nicht beschweren, aber normalerweise schrieb ich so gut wie immer und überall. Am besten ging es sogar in meinen schlaflosen Nächten, in denen ich aus den Fenstern meines Penthouses in die ebenfalls schlaflose Stadt hinunterstarrte. Dann war die einzige Beleuchtung in meiner Wohnung eine schwache Schreibtischlampe und ich wurde von fast kompletter Stille eingehüllt, die nur manchmal durch besonders laute Geräusche auf den Straßen unterbrochen wurden. Und die Atmosphäre Seouls von oben bei Nacht war unglaublich. Allein bei dem Gedanken daran bekam ich eine Gänsehaut.
Ich klopfte vorsichtig an die Terrassentür, da ich mir nicht die Mühe gemacht hatte, extra zum Vordereingang zu laufen.
Jimin kam und kam nicht und ich wollte schon energischer gegen die Tür schlagen, als eine Gestalt, weiß wie die Wand hinter ihr, am Fuß der Treppe erschien. Er hielt das Geländer mit seiner linken Hand umklammert und schaute mich mit aufgerissenen Augen an. Gut möglich, dass er gerade darüber nachdachte, einfach wieder nach oben zu gehen und mich nicht zu beachten.
Ich hätte ihn verstanden. Und ich war mir ziemlich sicher, dass ich es an seiner Stelle so gemacht hatte. Wobei ich ihm wahrscheinlich noch den Mittelfinger gezeigt hätte, bevor ich wieder verschwunden wäre. Ein winziges Lächeln schlich sich auf mein Gesicht.
Jimin bemerkte es trotzdem und legte seinen Kopf leicht schief. Es mussten schon mindestens fünf Minuten vergangen sein, seit ich das erste Mal geklopft hatte.
Tatsächlich war ich von mir selbst verwundert, da ich sonst ein eher ungeduldiger Mensch war. In letzter Zeit hatte ich Stunden geopfert, während ich auf Jimin gewartet hatte.
In Zeitlupe setzte er sich schließlich in Bewegung und streckte dann zitternd die Hand aus. Statt die Tür für mich zu öffnen, legte er sie auf die Stelle, an der ich meine eigene Hand nach dem Klopfen abgelegt hatte. Meine Mutter hätte mich für das Hinterlassen von Flecken auf einer Glastür enterbt. Da war ich mir sicher.
Jimins Hand verschwand unter meiner und als ich ihn wieder ansah, meinte ich, Tränen in seinen Augen glitzern zu sehen, die er jedoch schnell wegblinzelte.
Er löste sich langsam von der Glasscheibe und lief rückwärts zurück in sein Wohnzimmer.
Jimin:
Warum war er hier? Und warum hatte ich mich überhaupt blicken lassen?
Ich starrte auf meine Hand hinunter, mit der ich ihn (nicht richtig) berührt hatte, während ich nach dem Geländer tastete. Den Blick zu ihm wandern zu lassen, wagte ich nicht. Er stand noch da. Und er war höchstwahrscheinlich genervt von mir. Was ich verstehen konnte.
Es tat mir aufrichtig leid.
Doch ich wollte ihn wirklich in Ruhe lassen. Nein, ich sollte.
Und dafür musste er das gleiche mit mir tun, weil ich andernfalls nicht in der Lage war, ihn nicht zu mögen.
Seit Tagen redete ich mir das ein, ich wusste, dass es so gut wie unmöglich war, aber es fiel mir immer schwerer. Besonders, seitdem ich herausgefunden hatte, dass ein Star – ein Star – mich ins Krankenhaus gefahren und dann Stunden auf mich gewartet hatte.
Wieso gab er sich solche Mühe? Er würde morgen früh wieder mitten nach Seoul fahren und dort für Wochen, Monate (?) leben. Ich kannte ihn nicht, er mich ebenfalls nicht. Wobei man viel über mich in Erfahrung bringen konnte, sofern man denn im Internet suchte. Auch, wenn er meinen Namen wusste, hatte ich jedoch nicht das Gefühl, dass er ein Mensch war, der das tun würde.
Scheiße. Jetzt stand ich wieder vor der Entscheidung, diesem Konflikt aus dem Weg zu gehen oder die Tür zu öffnen, was bedeuten würde, dass ich meinen Verstand nach draußen kickte.
Dann konnte ich es nicht mehr aushalten und hob meinen Kopf. Yoongi hatte seine Stirn an meine Scheibe gelegt und seine Haare wurden immer wieder leicht vom Wind angehoben.
Er richtete sich erst auf, als ihm auffiel, dass die Füße, die sich in sein Blickfeld geschoben hatten, zu mir gehörten. Wir waren fast gleich groß, deshalb schauten wir uns genau in die Augen.
Mein Atem ging viel zu schnell dafür, dass ich gerade fünf Meter gelaufen war. Über eine gerade Fläche.
Als die Tür offen war, trat Yoongi einen Schritt nach hinten. „Jimin." Mein Gegenüber spannte seinen ganzen Körper an und wirkte ganz und gar nicht so wie noch vor ein paar Minuten. Aber was hatte sich in der Zeit geändert, außer, dass ich ihm geöffnet hatte? Und das war doch das gewesen, was er erreichen wollte?
„Nein. Nein. Nein.", flüsterte er immer wieder und zog sich fest an den Haaren. In seinen Augen spiegelten sich Erkennen und blankes Entsetzen.
„Was? Sag mir, was mit dir los ist!" Ich ging auf ihn zu und er wich immer weiter zurück. Verwirrt schaute ich ihm nach.
Er stolperte rückwärts über meinen Rasen zu sich und murmelte dabei immer wieder etwas, was sich anhörte wie „Nein" und „das kann nicht sein, daskannnichtsein, mach dass das nicht sein kann".
Die Sonne fing an, mir ins Gesicht zu scheinen und ich schaute immer noch Yoongi hinterher, der schon vor einiger Zeit aus meiner Sicht verschwunden war.
Er hatte es mir unbewusst leichter gemacht, denn ich war mir im Klaren darüber, dass ich ihn hereingelassen hätte, wäre er nicht von selbst weggelaufen. Und an die Folgen dessen wollte ich nicht denken. Ich konnte nicht.
Und er wusste es. Ich war mir zu einhundert Prozent sicher.
1113 Wörter
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𝚒𝚏 𝚢𝚘𝚞 𝚋𝚎𝚕𝚒𝚎𝚟𝚎 / 𝚢𝚘𝚘𝚗𝚖𝚒𝚗
FanfictionAls Yoongi in seinem Ferienhaus Urlaub macht, zieht neben ihm ein neuer Nachbar ein, welcher ihm nur Probleme bereitet. Schließlich, als Yoongi wieder in die Stadt zurückfährt, kommt es sogar dazu, dass er diesen aus Pflichtgefühl bei sich wohnen lä...