Kapitel 12

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Jimin:

Die ganze Zeit, in der ich alleine auf ihn wartete – mittlerweile hatte ich schon das Geschirr gespült und abgetrocknet -, machte ich mir Gedanken darüber, warum Yoongi so plötzlich verschwunden war. Bis jetzt klang jede Möglichkeit für mich entweder unlogisch oder komplett abwegig.

Jetzt las ich drinnen ein Buch und bemerkte gar nicht, dass ich nicht mehr allein war, bis sich auf einmal jemand auf den Sessel gegenüber von mir setzte.

Er machte es sich wirklich zum Beruf, mich zu erschrecken. Ich schaute ihn nur kurz fragend an, doch er war in sein Handy vertieft, also widmete ich mich wieder den Zeilen, die mich in eine andere Welt abtauchen ließen. Dort konnte ich meinem Leben entfliehen, jemand sein, der sich nicht vor geringen Verletzungen geschweige denn fremden Zellen, die langsam, aber beständig seinen Körper zerstörten, fürchten musste.

Yoongi räusperte sich und ich hielt meinen Zeigefinger als Lesezeichen zwischen die Seiten. Bei seinem Gesichtsausdruck vermutete ich, dass er dies schon mehr als einmal getan hatte. Hups. Jetzt schenkte ich ihm meine volle Aufmerksamkeit.

„Möchtest du... möchtest du vielleicht einen Film gucken?" Irritiert blinzelte ich. Er schien mir nicht wie der Typ, der normalerweise mit mehr oder weniger fremden Menschen einen Film schaute. Er wirkte nicht einmal, als würde er überhaupt Filme gucken. Gegen meinen Willen musste ich an seinen One-Night-Stand denken und, ob er das mit diesem auch getan hatte. Dabei konnte ich mich damit gar nicht vergleichen.

Trotzdem nickte ich und er wechselte seinen Platz, sodass er neben mir saß und wir einen Film aussuchen konnten. Ich hatte so ein merkwürdiges Gefühl am ganzen Körper und verspannte mich. „Wir müssen das nicht machen. Du siehst nicht aus, als würde es dir gefallen.", sagte Yoongi plötzlich und lächelte schief. Das stand ihm... und kaum hatte ich dies zu Ende gedacht, drehte ich mich panisch zum Fernseher und atmete tief durch. Oh nein. Ich war eine dieser Personen, denen jeder alles von der Nasenspitze ansehen konnte.

„Nein, gerne. Ich weiß nur nicht, was du für einen Geschmack hast.", beeilte ich mich zu antworten und räusperte mich.

„Hmm... ich auch nicht. Normalerweise habe ich so gut wie gar keine Zeit, um mir die paar Stunden eine Pause zu gönnen."

„Wenn du möchtest, können wir auch ein Drama anfangen... Ich meine, wenn wir jetzt öfter Zeit miteinander verbringen, würde das doch Sinn ergeben. Das... geht ja länger a-als ein Film.", druckste ich schon wieder herum. Oh Gott, ich sollte einfach ganz aufhören zu reden.

„Meinetwegen. Ich habe noch nie eins geguckt. Und du musst dich nicht für jeden Satz rechtfertigen, Jimin." Ich traute mich, Yoongi aus den Augenwinkeln einen Blick zuzuwerfen und er hatte immer noch dieses attraktive Lächeln auf den Lippen. Er machte mich fertig.

Wir hatten nur zwei Folgen geguckt, bis ich gesagt hatte, dass ich Kopfschmerzen bekam und dann waren wir in den Garten gegangen. Ich las und Yoongi hatte sich ernsthaft zu sich nach drüben gesetzt, damit ich ihn nicht 'beim Arbeiten stören' würde. Im Urlaub. Kopfschüttelnd blätterte ich die Seite um und widmete mich wieder Frodo und so weiter und so fort, die vor dem Balrog aus Moria wegliefen. Und vor ziemlich vielen Orks. Tief im Inneren würde ich immer  ein wenig auf Legolas stehen.

Ich liebte dieses Buch und hatte es bestimmt schon fünfmal gelesen, doch es beruhigte mich und erinnerte mich an die Zeiten, in denen mein Leben noch nicht so kompliziert war. Es war das erste Buch gewesen, was freiwillig in meinem Regal gelandet war.

Vielleicht sollte ich mir auch Gandalfs Spruch aus den Minen zu Herzen nehmen und fliehen. Vor meinem Leben und dem Tod. Doch dieser würde mich leider immer begleiten, ob ich es wollte oder nicht.

Ich schweifte mit den Gedanken weit vom Buch ab. Die nächsten Tage und Wochen würden die Hölle werden. Ich würde erstens die ganze Scheiße mit der Therapie noch einmal durchmachen müssen und dann war ich mir noch ziemlich sicher, dass ich auch den Rest meiner begrenzten Zeit darüber nachdenken würde. Ein Fluch, der immer auf mir lastete, ich konnte meine Probleme selten vergessen, bis sie gelöst waren und das würde sich hierbei als schwer erweisen. Als unmöglich.

Ich erwischte mich dabei, wie ich schon wieder Yoongi anstarrte, welcher in einem Rhythmus auf sein Blatt tippte und dazu mit dem Kopf wippte. Seine Haare waren verstrubbelt, denn er hatte an ihnen wahrscheinlich schon mehrmals seinen Frust über irgendeinen Song ausgelassen, mit dem er nicht zufrieden war.

Ich konnte nicht verstehen, warum er sich meiner erbarmte und mich bei sich aufnahm. Er schuldete mir nichts und kannte mich gar nicht. Und es schien mir nicht, als hätte er viele Probleme damit, ‚Freunde' zu finden und, dass er mich nur für seine Befriedigung bei sich leben ließ, bezweifelte ich ebenfalls stark. Jemand, der eine kranke Person ausnutzte, war er nicht. Ha ha. Als könnte ich das so gut beurteilen. In der Öffentlichkeit zeigen sie nur das, was sie zeigen wollen, so wie du selbst, Jimin. Die Stimme in meinem Kopf sagte die Wahrheit. Es gab keine Garantie, dass ich ihm vertrauen konnte und doch tat ich es. Ich hatte versucht, ihn von mir wegzustoßen, trotzdem saß ich jetzt hier, beobachtete ihn und würde schon morgen bei ihm einziehen.

Und diese Therapie machte ich nicht, weil ich an sie glaubte oder nicht sterben wollte, das war mir ziemlich egal, ich hatte Angst, Yoongi zu enttäuschen. Yoongi, der sich um mich gekümmert hatte, der mich nicht im Stich gelassen hatte wie alle anderen. Yoongi, der es ohne Worte geschafft hatte, dass ich mich in ein paar Minuten lebendiger fühlte als in drei ganzen Jahren. Welch eine Ironie.

Nachdem ich ungefähr drei Stunden lang in meinem Bett lag und es nicht geschafft hatte, einzuschlafen, stand ich leise auf, um mir ein Glas Wasser zu holen. Es war unmöglich, mich auszuruhen, wenn eine Etage unter mir eine der berühmtesten Personen des Landes schlief. Dazu gehörte ich zwar auch, aber ich war... naja ich eben. Nichts besonderes.

Auf Zehenspitzen schlich ich ins Wohnzimmer und hörte meinen eigenen Herzschlag in meinen Ohren dröhnen. Dabei war das hier mein Haus und wahrscheinlich schlief er sowieso.

Heute Abend war er zurückgekommen und ich war knapp eine halbe Stunde später ins Bett gegangen. Doch an Schlaf war nicht zu denken.

Ich erstarrte, als ich ihn auf der Couch entdeckte, was eigentlich lächerlich war, ich wusste schließlich von seiner Anwesenheit. Das eigentliche Problem lag eher darin, dass er die Decke zu seinen Füßen getreten hatte und jetzt nur in Boxershorts auf meinem Sofa lag. Sein Rücken war von einer Gänsehaut überzogen, es war ohne Decke und T-Shirt nachts ziemlich kalt.

Noch immer hatte ich mich nicht bewegt und starrte auf seinen Körper. Friedlich hatte er ein Kissen umschlungen lächelte sogar ein wenig. Irritiert von meinen seit ein paar Tagen auftretenden Stalker-Tendenzen stolperte ich rückwärts zurück zur Treppe und stieß mir dabei gleich den Ellenbogen am Geländer. Der Zusammenstoß verursachte ein Geräusch als hätte man gegen einen Gong geschlagen und ich rannte nach oben in mein Zimmer wie ein kleines Kind, dessen Eltern es unten erwischt hatten, obwohl es Bettzeit war.

Vom Sofa konnte man blöderweise genau auf die Treppe schauen und wenn ich Pech hatte, war Yoongi wach geworden und hatte mich gesehen.

Und außerdem hatte ich mein Wasser vergessen.


1153 Wörter

𝚒𝚏 𝚢𝚘𝚞 𝚋𝚎𝚕𝚒𝚎𝚟𝚎 / 𝚢𝚘𝚘𝚗𝚖𝚒𝚗Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt