1 Beth

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Der Haustürschlüssel passte immer noch. Als die Tür leise aufsprang, durchfuhr sie ein Kribbeln -doch es war keines dieser glücklichen, wunderschönen. Eher durchzog sie ein Stechen, hunderte von Emotionen und Ängste warteten hinter dieser großen Holztür auf sie. Sie hörte eine Kaffeemaschine summen, Tassen klirren und leise spielte das Radio eine ruhige Melodie. Zu ihrer Verwunderung hatte sich alles verändert. Dieses kalte, sterile Haus, dass sie Heimat nennen sollte, war nicht mehr nur schwarz und weiß. Die Einrichtung war verändert, Wände gestrichen, es war dekoriert.

Leise schloss sie die Tür, legte ihre Tasche ab und zog ihren braunen Mantel aus. Es war warm, nicht nur die Temperatur, auch ihr Sichtfeld war so warm, so geborgen. Der Kamin knisterte und knackte, es roch herrlich nach Gebackenem. So schön war es hier noch nie. So herzlich, einladend. In all den Jahren hier hatte sie sich nie so wohl gefühlt wie jetzt. Dabei war sie mittlerweile die Fremde. Als sie einige Schritte weiterlief, entdeckte sie in der Küche ihren Vater. Mit dem Rücken zu ihr gerichtet, werkelte er in der Küche herum. Auch diese war nicht mehr kahl und weiß, sondern in einem hellen blau gestrichen. Die Küchenplatten waren aus Holz und nicht mehr aus Marmor, der Esstisch war klein, mit unterschiedlichen Holzstühlen bestuhlt, überall standen Pflanzen und Bilder. So etwas gab es vor fünf Jahren noch nicht. Pflanzen machten schließlich unnötigen Dreck, Bilder lenkten ab und Farbakzente waren nicht notwendig sagte die ehemalige Herrin des Hauses immer. Doch so sah es nicht mehr aus. Verlassen, ohne Charakter- das war Geschichte. So wie ihre Mutter. Die damaligen hochmodernen Möbel und Tische, die Farbauswahl zwischen weiß, grau und schwarz, ließen das Haus immer so unfreundlich wirken. Deshalb war sie früher nie gerne hier. Dieser Ort hätte ihr eigentlich Ruhe und Geborgenheit schenken sollen. Aber das war nur einer von vielen schiefgegangenen Punkten in ihrem Leben.

Ihre Hand fuhr vorsichtig über die Stühle, während sie auf ihren Vater zu lief. "Schön, dass du schon da bist Beth. Damit hatte ich so früh nicht gerechnet." Ohne sich zu ihr zu drehen, schob er ein Blech in den Ofen und legte die Handschuhe beiseite. Sein Gehör war äußert gut, das Herausschleichen war früher immer kläglich gescheitert. Er drehte sich zu ihr und fing an zu grinsen. "Hei min lille." Er nahm sie in den Arm und drückte sie feste, was sie zum Schmunzeln brachte. So lange hatte sie ihn schon nicht mehr gesehen. "Hei Pappa."

"Schön hast du es dir gemacht." Sie setzte sich neben ihm auf die Couch und wärmte sich am brennenden Kamin. Es war zwar später Frühling, doch sie liebte die Wärme des Kamins. "Wenn du als Innenarchitektin sowas sagst, habe ich wohl wirklich nichts falsch gemacht." Er nahm einen Schluck seines Kaffees und lächelte sie fröhlich an. "Es ist so schön, dass du wieder hier bist." Sie nickte sanft und sah auf das Bild, das neben dem Bücherregal hing. Es war von ihr, sie hatte es damals gemalt. Daran konnte sie sich noch bestens erinnern. Das Grün musste sie von ihrem Fußboden schrubben. Aufgrund eines Missgeschicks -wohl eher- weil sie mit dem Pinsel nach jemandem geworfen hatte. Nach ihm. Ein mulmiges Gefühl durchzog sie, welches sie tapfer herunterschluckte.

"Wie geht es dir?" Sie sah zu ihm hinüber, seine faltige Stirn schien weniger besorgt zu sein als vor einigen Jahren. Grübchen bildeten sich und er grinste. "Mir geht es sehr gut. Und wenn wir heute endlich Mal wieder alle beisammen sind, wird es bestimmt noch besser." Er freute sich riesig, Tarjei, ihr großer Bruder, würde auch kommen, er hatte ein gemeinsames Essen geplant. Warum, wusste keiner genau. Doch da sie nun fertig mit ihren Prüfungen war und Zeit hatte, kam sie vorbei. Das erste Mal seit fast fünf Jahren war sie wieder hier. Vater und Bruder hatten sie manchmal in Oslo besucht, jedoch nicht sonderlich oft. Sie war kein eines Mal hier, sie war höchstens nach Frankreich geflogen, um ihre beste Freundin zu besuchen. Doch mehr nicht. Und sie bereute es auch nicht, nichts hielt sie hier, nichts als schmerzhafte Erinnerungen verband sie mit Chicago, diesem Haus, den Menschen hier.

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