3 Beth

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Sie joggte die Straßen entlang und sah durch die Gegend. Es war warm, die Sonne schien. Nichts hatte sich geändert hier. Blätter raschelten, Vögel zwitscherten und die Bienen summten. Die dünne Sportjacke hätte sie nicht anziehen müssen, es war wärmer als gedacht. Entlang der Landstraße lief sie auf dem alten Fahrradweg in Richtung Ortschaft. Nachdem sie und Tarjei nach der Party heimlaufen mussten, hatte sie beschlossen, das Auto zu holen. Tarjei schlief noch, er hatte eine Nacht über der Toilette hinter sich. Er vertrug deutlich weniger als er behauptete. Sie hingegen war ziemlich fit, auch ohne viel Schlaf.  Beth hatte sich das frühe Aufstehen angewöhnt, weshalb es ihr mittlerweile nicht mehr allzu schwerfiel. Früh die Arbeit machen um den restlichen Tag frei zu haben.
Die Autoschlüssel klapperten immer wieder in der Jackentasche, während sie durch den Ort joggte, um zu Maurice zu gelangen.

Durch einen großen Umweg war sie sieben Kilometer joggen, der direkte Weg zu Maurice wären nur zwei Kilometer gewesen. Sie holte die Schlüssel aus der Tasche und schloss das Auto auf. Eine Flasche Wasser stand im alten Wagen, an der sie sich bediente. Das Auto hatte die besten Jahre hinter sich, Tarjei hätte sich bei seinen Verdiensten ein Brandneues kaufen können, doch er gab sich mit diesem zufrieden. Es war schön, dass ihn das Geld nicht änderte. Wahrscheinlich wusste er nicht einmal genau, wie viel er auf dem Konto hatte.
"Guten Mor- oh sag mir nicht, dass du schon Sport gemacht hast?" Kenneth stand auf der Veranda und hielt sich die Hand vor das Gesicht. So wie er aussah, hatte er wohl notgedrungen bei Maurice übernachtet. Mit seinen Klamotten von gestern und der Lederjacke in der Hand kam er die Stufen herunter auf sie zugelaufen. "Wie geht es dir?", fragte er gequält, sie fing an zu lachen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. "Wie geht es dir?", wiederholte sie seine Frage spöttisch und bekam nur ein qualvolles Stöhnen als Antwort.

"Ich würde ja gerne eine Runde mit dir plaudern Beth, aber ich muss mach Hause." Sie nickte und sah auf ihre Uhr. Gleich war 10 Uhr. "Wir können uns ja heute Mittagspause treffen oder bist du schon wieder verplant wie immer?" Er grinste sie gemein an. „Gerne. Vier im Park?" "Vier." Erst wollte er auf sie zu und sie umarmen, doch er ließ es bleiben. War vermutlich auch besser so. Sie roch seine Alkoholfahne auch aus der Entfernung und sie war geschwitzt, was auch nicht sonderlich lecker war. Also winkte er ihr zu und lief die schmale Gasse entlang, den Hügel nach oben, Richtung Heimat. Sie hingegen stieg in das Auto ein und startete den Motor. Sie war schon lange kein Auto mehr gefahren, sie fuhr meist mit dem Rad oder der Straßenbahn. In Norwegen war es normal die meisten Wege mit dem Rad oder öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, keiner ihrer Freunde dort hatte ein Auto.

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Als sie die Haustür hinter sich schloss, kam ihr der Duft von frischem Kaffee entgegen. Geschirr klimperte, Musik lief und ihr Vater war dabei den Tisch zu decken. "Da bist du ja. In 20 Minuten gibt es Frühstück." Sie stellte die Schuhe unter die Kommode und lief an der Küche vorbei, die Treppe auf die Empore hoch und den offenen Flur entlang Richtung Zimmer.
In den nächsten 20 Minuten duschte sie ausgiebig und half ihrem Vater beim restlichen Decken des Tisches, als Tarjei in die Küche taumelte. Er sah schrecklich aus und dennoch besser als vor einigen Stunden. Er hatte geduscht und Zähne geputzt, seine Haare standen noch nass in alle Richtungen, doch das war nichts Neues.

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"Ich würde heute Nachmittag mit Kenneth in den Park." Ihr Vater nickte während er kaute, Tarjei sah auf die Uhr. Nachdem er gefrühstückt hatte, ging es ihm immer direkt besser. Als Sportler sollte er eigentlich gar nichts trinken, doch er tat es trotzdem. Dementsprechend war er aber auch aus der Übung. Aber nach einigen Stunden ging es ihm wieder so gut, dass er schon wieder auf die nächste Party gehen könnte. "Ich fahre gleich zum Training und bin heute Abend zum Pizza machen eingeladen." Tarjei trank seinem Kaffee aus, sie musste schmunzeln. Er liebte Pizza, schon immer. Er könnte sich ausschließlich von Pizza ernähren.
Sie waren heute Abend alle verplant. Dad war bei Joanna und ihren Kindern zum Essen eingeladen was hieß, Beth wäre heute Abend allein hier. Schlimm war das nicht, im Gegenteil. Ein guter Film, der Kamin und etwas Leckeres zu Essen klangen sehr vielversprechend. Sie hatte gelernt allein zu sein und es zu genießen. Zeit für sich, in der man allein entspannen konnte, nur mit sich selbst, keinem anderen. Ruhe.

"Wisst ihr, ich hatte überlegt, mir einen Hund anzuschaffen." Beth fing an zu Grinsen und nickte stürmisch. Sie liebte Tiere, doch ihre Mutter war immer der Meinung, Haustiere wären unnötige Probleme, die Dreck machen würden. "Das wäre doch super!" Tarjei stellte die Tasse ab. "Aber keinen Kleinen. Ich war letzte Woche im Tierheim und habe einen gesehen, der mein Herz erobert hat." Er zog sein Handy hervor und suchte einen kleinen Moment, bis er ihnen ein Bild zeigte. "Seine Besitzerin ist gestorben, keiner wollte ihn übernehmen."
Es war ein großer Berner Sennenhund, vier Jahre alt erzählte er ihnen und die beiden verstanden, wieso er schockverliebt war. „Ich hoffe es ist okay dass ich das einfach so entschlossen habe." Die beiden lachten gleichzeitig los. Natürlich war das okay, die beiden waren alt genug und nicht immer hier, er konnte machen was er wollte.

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"Wie geht es dir?" Die beiden lagen nebeneinander auf einer Picknickdecke im Park und beobachteten sich gegenseitig. „Gut" fing er an und sah in den strahlend blauen Himmel, "ich bin glücklich, zufrieden. Nora fehlt mir, du hast mir gefehlt, aber mir geht es super. Ist bei dir alles gut?" Sie seufzte und setzte sich auf. "Mir geht es auch gut. Ein wenig planlos, aber alles bestens so weit." Sie war ehrlich zu ihm, wieso auch nicht. "Bleibst du jetzt eigentlich hier?" Sie lachte leise auf und ließ sich neben ihn fallen. "Ich weiß es nicht. Ich habe zwei Jobangebote in und um Chicago. Aber ich habe auch ein Angebot aus Oslo. Seitdem ich das Angebot habe, bin ich ehrlich gesagt etwas zwiegespalten." Er nickte verständnisvoll und drehte sich zu ihr. "Denk darüber nach, schreib eine Liste mit Argumenten, wie du es früher immer gemacht hast." Beide fingen an zu lachen, er hatte Recht.

"Darf ich dich etwas fragen?" Sie zog die Augenbrauen in die Höhe und schnaubte gespielt. "Sowas wagst du dich?" Er verdrehte die Augen und seufzte. "Glaubst du, es wäre zu früh, wenn ich Nora einen Antrag mache?" Sofort schoss sie auf, ihre Kinnlade klappte hinunter und sie begann zu grinsen. Ihm schoss die Röte in die Wangen, während Beth sich ein Quietschen verkniff. "Nein, das passt. Natürlich! Frag ihren Vater um seinen Segen und heirate sie endlich!" Nora und Kenneth waren die Art Paar, wie sie es sich immer erträumt hatte. Eine Sandkastenliebe, die erst durch sämtliche Hochs und Tiefs gehen musste, bis beide eingesehen hatten, dass sie sich liebten. Kenneth liebte sie, seit er 13 war, doch hatte als bester Freund keine Chance. Sie war verliebt, verliebt in einen Jungen aus unserer Klasse, von dem sie ihm hoffnungslos vorschwärmte. Bis sie bemerkte, dass er derjenige war, den sie brauchte, dass er es schon immer war und sie es nie gemerkt hatte, weil sie ein Leben ohne Kenneth nicht kannte. Seit beinahe sieben Jahren waren die beiden nun ein Paar, sie liebten sich durch und durch, so, wie man sich es erträumte. Sie würde alles dafür geben, solch eine Liebe zu finden.

"Sag Mal, wie steht es eigentlich bei dir mit der Liebe?" Sie schmunzelte und zuckte mit den Schultern. "Nicht viel, von Henrik wusstest du ja Bescheid. Aber das war auch der erste und letzte feste Freund seit ihm. Nach ihm hatte ich einen Jungen Namens Kristof kennengelernt, zwischen uns lief etwas, doch er tat mir nicht gut. Also habe ich mich lieber darauf konzentriert mich selbst lieben zu lernen." Er musterte sie und fing an zu schmunzeln. "Wie kann man nur so desinteressiert am Thema Liebe sein Beth." Sie lachte los und stützte ihren Kopf mit den Händen ab. "Das nennt man nicht desinteressiert. Ich suche eben nicht aktiv, wenn sich etwas ergibt, dann ist es so. Und ein wenig Pech spielt mit rein." Er lachte und schloss die Augen. Ja, Pech spielte auch eine große Rolle. Doch es machte sie weniger traurig als gedacht. "Weißt du, ich muss bald los, wir treffen uns zum Pizza machen. Magst du mit?" Mit ihm traf sich Tarjei also. "Ich will dich aber vorwarnen. Falls ja, Elias wäre auch da." In ihr zog sich alles für einen kurzen Moment zusammen, doch dann fiel ihr wieder ein, dass das nicht schlimm war. Eigentlich sogar das Gegenteil. Sie wollte wissen, wie es ihm geht, was er so machte. Sie war alt und erwachsen genug, sich ihrer ersten großen Liebe zu stellen. "Wenn es keine Umstände macht, gerne."





(Picture: Kenneth Saunders)

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