33 Elias

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"Leo!" Die beiden fielen sich um den Arm, es tat gut ihn Mal wieder zu sehen. Seit Nora bei ihm zu Besuch war, waren nun drei Wochen vergangen. Ihre Standpauke hatte etwas gebracht, seitdem hatte er sich aufgerafft, Sport gemacht, Musik gemacht und angefangen seine Abschlussarbeit zu schreiben. Doch auch, wenn er sich ausreichend ablenkte, musste er an sie denken. Manchmal träumte er von ihr, nur zu gerne würde er wissen, ob auch sie von ihm träumt. "Schön, dass du auch endlich Mal wieder aufkreuzt." Aus dem Wohnzimmer kamen Stimmen. Alva und Kenneth waren da, das wusste er. Eine kleine Runde, so wie damals. Zu anderen Treffen der Freunde war er nicht gekommen, er mied Alkohol, Partys und all das Zeug. Außerdem wollte er nicht von jedem gefragt werden, wie es ihm ging. Doch heute traute er sich. "Ja, wurde Mal wieder Zeit ins Leben zurückzukehren." Leolas lachte und klopfte ihm auf die Schulter. "Alles gut bei dir?" Leolas nickte und nahm seine Jacke entgegen.

Die beiden liefen Richtung Wohnzimmer, jemand lachte und Elias zog die Stirn in Falten. Es war Kenneths Lachen, er und Nora schienen doch noch kurzfristig zugesagt zu haben. Mit dem Kasten Bier unter dem Arm lief er weiter und kam neben Leolas im Wohnzimmer an. Er lächelte in die Runde und entdecke Kenneth, der neben Nora und einer weißen kleinen Couch Gegenüber des Eingangs saß. Auf der Couch vor dem Fenster zu seiner Linken saß niemand, auf dem großen Sitzkissen gegenüber an der Wand unter dem Fernseher saßen Alva und Tarjei. Und Beth. Als sich ihre Blicke kreuzten klappte ihr die Kinnlade herunter. Vermutlich starrte er sie genau so dumm an, wie sie ihn. Sein Herz zog sich schlagartig zusammen, dafür war er nicht bereit gewesen. Leolas schob ihn weiter Richtung leere Couch und lenkte ihn somit ab. Er konnte nun nicht mehr umdrehen, er musste es akzeptieren, er würde sie so oder so öfter sehen. Das Leben würde weitergehen. Muss weitergehen.

Während die anderen sich unterhielten und er Platz nahm, spürte er ihren Blick immer noch auf sich. Sie sah umwerfend aus, aber gleichzeitig auch mitgenommen. Aus ihrem locker zusammengebundenen Zopf hingen ein paar Strähnen, sie trug ihre Brille, einen blassen blauen und viel zu großen Strickpullover, eine schwarze Leggings und bunte Socken. Ihre Augen waren leicht geschwollen, sie sah müde aus. Nora hatte ja erzählt, dass sie ihren Job angenommen hatte, vielleicht deshalb. Sie saß zwischen ihrem Bruder und Alva, die sich mit Tarjei lautstark unterhielt. Mit einem Bier in der Hand saß Beth zwischen ihnen, die Beine angezogen, den Blick ins Leere gerichtet. Bis Leolas sie ansprach und sie in seine Richtung schaute. Während sie sich mit ihm unterhielt, huschte ihr Blick immer wieder zu Elias, der sie dabei beobachtete.

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"Ich stell die Mal kalt, ja?" Beth stand auf, lief um den schmalen Couchtisch und hob den Kasten hoch. Sie wollte weg. Er kannte sie, es war ihm klar, dass sie fünf Minuten allein bräuchte. Ihre soziale Batterie war leer, sie schien müde zu sein, seine Anwesenheit schien sie auch nicht unberührt zu lassen. Also verschwand sie allein mit dem halbleeren Kasten aus dem Wohnzimmer Richtung Küche. Die anderen redeten miteinander, bald würde das letzte Viertel des Footballspieles beginnen, für welches sie sich getroffen hatten. Früher hatten sie regelmäßig Football zusammen geschaut. Manchmal auch Wintersport, Beth und Tarjei hatten ihre Leidenschaft mit den anderen geteilt, bis sie selbst auch Interesse daran fanden. Eishockey interessierte leider die wenigsten seiner Freunde, was er als Kanadier ziemlich schade fand. Beth sah es sich gerne Mal an, zumindest war das früher so, doch Feuer und Flamme war auch sie nicht. Hier drehte sich alles um Football, welches auch er spielte. Eishockey gab es hier in der Gegend nicht.

Er spürte ein Ziehen in seinem Rippenbereich und sah zu Leolas. Die ganze Zeit hatte er in den Flur gestarrt. "Geh doch zu ihr." Leolas nickte unauffällig Richtung Durchgang und er seufzte. "Und bring die Nachos mit." Er warf Elias ein dreckiges Grinsen zu und drehte sich wieder zu Nora, die am Erzählen war.

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Einen Moment sagte er nichts, er stand nur im Türrahmen und sah ihr zu, wie sie das Bier kaltstellte. Es sah so grazil aus, leise machte sie den Kühlschrank zu und machte einen Schritt zur Seite an das Waschbecken. Sie spülte ein Glas aus, nachdem sie sich eine Strähne aus dem Gesicht gewischt hatte. Nachdem sie es abgetrocknet hatte, blieb sie in ihrer Bewegung stehen. Sie stützte sich schwer auf ihren Händen ab und seufzte leise auf, laut genug, dass er es hörte. Ihm rutschte das Herz in die Hose, es wurde plötzlich viel zu heiß. Langsam drehte sie sich um und sah in seine Augen. Sie schenkte ihm ein müdes Lächeln und griff nach dem Glas. Sie war fertig, völlig am Ende, das konnte man ihr ansehen. Und tat weh, sie so kraftlos zu sehen. Er kratzte sich nervös am Hinterkopf und lief an ihr vorbei Richtung Kühlschrank. Ruhig atmen.

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