12 Elias

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"Was ist das?" Theresia wedelte mit einem Stapel Papier vor seiner Nase herum. "Wo hast du das her?" Er sprang von der Couch und lief auf sie zu. "Ich habe etwas weggeschmissen was ich noch gebraucht habe und hab das beim Suchen entdeckt. Was ist das?" Er riss ihr die Zettel aus der Hand und lief durch den Flur. "Müll." In ihm kochte es, wieso musste das jemand finden? "Wieso bist du nur so pampig?" Er wirbelte um. "Kann dir doch egal sein?" Sie packte ihn am Arm. "Verdrängst du jetzt wieder alle Emotionen bis zu zusammenbrichst?" Er schluckte schwer. "Das geht dich nichts an, kümmer dich lieber um deinen Scheiß." Er riss sich los und lief Richtung Haustür. "Ich mach mir Sorgen um dich. Und damit bin ich nicht allein!" Er ignorierte es und öffnete die Haustür, lief zum Müll und stopfte die Zettel wieder in die Papiertonne.

"Wieso schmeißt du sie weg?" Adalia lehnte an seiner Zimmertür und sah zu ihm, wie er die Treppen hinauflief. "Um abzuschließen." Er hatte sich etwas beruhigt, bei so vielen Geschwistern im Haus hatte man selten seine Ruhe. Sie öffnete die Tür, ließ ihn durch und schloss die Tür hinter sich. Etwas verwirrt sah er zu ihr. Doch Adalia war seine Seelsorgerin, sie kümmerte sich um ihn als wäre er nicht ihr Bruder, sondern ihr eigenes Kind. Doch sie war auch die einzige, der er alles anvertraute, sie hatte Annis Platz eingenommen. Sie schmiss sich auf sein Bett und sah auf seinen Schreibtisch, der an der gegenüberliegenden Wand stand.

"Abschließen heißt nicht immer sich davon zu trennen." Sie klang weder mahnend noch wütend, ihre raue Stimme war leise, beruhigend. "Manchmal muss man es sich vor Augen halten und es akzeptieren." Sie zog aus ihrem Cardigan einen zerknitterten Zettel und faltete ihn auf. Mit großen Augen sah er auf den Zettel. Er wollte wütend sein, sie hatte einen davon gefunden. "Das hier war immer eines meiner Lieblinge." Er setzte sich neben sie und blickte auf das Stück Papier. "Als du erzählt hast, dass du sie wegwerfen willst, habe ich es mitgenommen, ich konnte nicht anders." Sie hielt es ihm hin, vorsichtig nahm er es entgegen.

"Weißt du, du hast ein Talent für Worte." Er lachte auf. "Nein, definitiv nicht." Sie verdrehte die Augen und lehnte sich an die Wand. "Ja, du handelst lieber und bist kein Mann der großen Worte, ich weiß." Sie lächelte ihm zu und er nickte. "Aber das hier", sie deutete auf den Zettel, "zeigt, wie gut du dich ausdrücken kannst, was du fühlst." Er legte den Zettel beiseite. "Ich könnte niemals vor jemanden stehen und das sagen." "Aber du kannst es singen und schreiben." Ihm klappte die Kinnlade herunter, woher wusste sie- "Mein Zimmer ist nicht weit entfernt du Idiot. Du und Anni, ihr habt immer gesungen. Du hast Beth vorgespielt, du singst und spielst nachts heimlich." Ihm schoss die röte ins Gesicht. Man hörte ihn?
"Keine Sorge, die anderen hören es nicht. So heimlich und verschwiegen du auch bist, ich kenn dich doch." Ihm entwich ein erleichtertes Aufatmen. Es war ihm peinlich, er bemühte sich immer leise zu sein, zu spielen und zu singen, wenn keiner im Haus war. Doch bei einer siebenköpfigen Familie war das nicht einfach.

"Sie hat bald Geburtstag." Adalia lag auf der Couch, die Beine über der Lehne, ihr Buch neben ihr zusammengeklappt. Er seufzte leise auf, natürlich wusste er, dass sie bald Geburtstag hatte. Und er wusste, dass Nora bald wiederkommen würde. Nora, Beths beste Freundin und ihre bessere oder schlechtere Hälfte, wie man es sehen wollte. Im Gegensatz zu Beth war Nora extrovertiert, vorlaut und bei weitem optimistischer. Sie hatte strohblondes Haar, Meeresblaue Augen und war seit einer Ewigkeit mit Kenneth zusammen.

Elias mochte sie, sie war eine der wenigen, die ihn zurechtwies und er es sich zu Herzen nahm. Sie war die Mutter der Gruppe ohne die sich alle ein wenig auseinandergelebt hatten. "Feiert sie?" Er zuckte mit den Schultern, "Nora kommt an dem Tag nach Hause." Adalia nickte und zwirbelte an einer Strähne. "Weißt du Elias, du solltest ihr etwas schenken." Er musste auflachen, zog seine Augenbrauen zusammen und sah zu seiner Schwester rüber. "Lass das Mal meine Angelegenheit sein."


(Picture: Theresia Amelia Murray)

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