9 Elias

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"Du hast die Wette verloren." Adalia schob ihrem Bruder einen Teller voller Frühstück zu und trank genüsslich ihren Kaffee. "Ja und?" Er hatte Kopfschmerzen, höllische Kopfschmerzen. Die Nacht war lang gestern, unschön und laut. Seine Ohren dröhnten noch Stunden später, das Gefühl von Übelkeit ließ ihn nicht los. Wie konnte das nur so aus dem Ruder laufen?

"War es das wenigstens wert die Wette zu verlieren?" Er schluckte und sah auf das Frühstück. Es war bereits elf, in dieser Frühaufsteher-Familie waren bereits alle unterwegs, außer er. "Das Gegenteil." Er seufzte und nahm wehmütig die Gabel in die Hand. "Gibst du etwa einen Fehler zu?" Sie schnaubte lachend auf, doch sein Blick blieb auf den Teller gerichtet. "Einen", er lachte auf, "Ein einziger Fehler wäre schön." In seinem Hals bildete sich ein Kloß, der ihm das Schlucken schwer machte. Er hörte einen Stuhl rücken und sah auf. Seine Schwester blickte ihn besorgt an und griff nach seiner Hand. "Was ist los Elias?" Ihre Schadenfreude und die besserwisserische Stimmlage waren verschwunden, stattdessen musterte sie ihn fragwürdig.

"Beth, sie war da." "Ich weiß." "Und als Arvid und ich ankamen hatte sie sich mit einem Typen unterhalten, der den gesamten Abend bei ihr war." Adalia zog die Augenbrauen zusammen, sie war ebenso irritiert wie er. "Das hat mich irgendwie wütend gemacht, bis Kenneth mich mit nach draußen genommen hat und mit mir darüber geredet hat. Dass ich um sie kämpfen soll oder sie nicht daran hindern soll, ihr Leben zu genießen." Ein Schmunzeln huschte ihr über die Lippen. "Und? Für was hast du dich entschieden?" "Später. Aber wie gesagt, als wir dann wieder rein sind, haben die beiden miteinander rumgemacht, was - naja, nicht so mein Geschmack war." Er hörte sie seufzen und biss sich auf die Lippe. "Du hast ihn aber nicht-" "Nein, Kenneth hat mich zurückgehalten." Sie wusste, wie schlecht er sich im Griff hatte.

"Also hast du jemanden gevögelt." Sie verdrehte die Augen und schob unruhig ihre Tasse auf dem Tisch herum. "Dumm nur, dass es Alvas Cousine war." Sie zog scharf die Luft ein und griff sich an die Stirn. "Elias, wie kann man nur so dämlich sein wie du?" Sie wurde nicht laut, eher klang sie verzweifelt. "Und danach eine, die ich nicht kannte. Danach habe ich Beth's Typen Mal kurz meine Meinung gegeigt, da war Beth bereits weg und er hat Sprüche gerissen und geprahlt." Ihr Seufzer unterbrach ihn, ihr Kopf lag auf dem Tisch und sie murmelte etwas vor sich hin. Er wusste selbst, wie dämlich das war. Nicht nur das mit Beth, er hatte auch Angst, wie Alva reagieren würde.

"So dämlich Elias. Schämst du dich nicht, ist nicht irgendwann endlich Schluss damit?" Er schloss seine Augen, er konnte sich das nicht anhören, wenn sie die Fassung verliert. Er wollte nicht, er war auch zu schwach dafür. "Wie lange brauchst du noch, um zu begreifen, dass dir dieses Hirnlose Herumvögeln nichts bringt?" In ihm fing es an zu kochen, sie wusste genau, was sie sagen musste, um ihn zu verletzen. Und das tat sie.

"Dass es dein Leben nicht besser macht? Dass es dir alles versaut und du somit weder Beth, zurückbekommst noch Anni glücklich machst?" Mit seiner Faust schlug er auf den Tisch und sprang auf. "Wag es ja nicht Adalia! Lass sie da aus dem Spiel!" Sie zuckte ein wenig zusammen, doch sie schluckte den Schreck hinunter. "Hör du doch auf damit, dann muss ich diese Moralpredigt nicht mehr halten!" Auch sie stand nun auf und machte einen Schritt auf ihn zu.
"Mach doch endlich die Augen auf Elias! Du versaust es dir mit Beth, nur weil du mit deinen eigenen Problemen nicht zurechtkommst, nur weil du es nicht akzeptieren kannst, verkraften kannst! Diese Art von Ablenkung bringt dir nichts, rein gar nichts." Die Trauer in ihren Augen konnte er sich nicht ansehen. Er drehte um und lief aus der Küche.

"Doch, eine Sache bringt sie dir." Wie angewurzelt blieb er stehen und drehte sich zu ihr um. "Du musst niemanden mehr wegeckeln, du bleibst für immer alleine." Eine Träne kullerte über ihre Wange, auch ihm kamen aus Wut so langsam die Tränen hoch, weshalb er sich ruckartig umdrehte, und die Treppe hochlief. "So bekommst du keine der beiden wieder!" Er schlug die Tür zu und schmiss sich auf sein Bett. Dann fing es an. Alles brach zusammen, je mehr er versuchte es zu verhindern desto schlimmer wurde es.

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Er wischte sich die letzte Träne von der Wange und sah aus dem Fenster. Die Sonne schien, die Wolken am Himmel wurden immer weniger. Leise klopfte es an der Tür und bevor er etwas sagen konnte, knarrte diese leise. "Elias?" Adalias Augen waren geschwollen, rot unterlaufen. Genauso wie seine vermutlich. Sie schloss die Tür hinter sich und lief auf sein Bett zu. Ihre braunen Haare hatte sie zu einem Zopf gebunden, ihre Brille war nass voller Tränen und ihre rehbraunen Augen geschwollen. Sofort setzte er sich aufrecht hin und breitete seine Arme aus, sodass sie sich zu ihm setzte und in seine Arme fiel. "Es tut mir so leid. Entschuldigung", flüsterte sie leise und schluchtste in seinen Arm. Er wusste, dass es ihr leidtat, genau dieses Szenario spielte sich jährlich ein paar Mal ab. Er drückte sie feste und fuhr ihr übers Haar. "Keine Sorge. Du bist mittlerweile echt gut darin, weißt du?" Sie lachte auf und wischte sich eine Träne weg. "Und vielleicht nehme ich es mir ja irgendwann Mal zu Herzen, wenn du weiter so machst." Sie lachte auf und er musste Grinsen. Es war nicht sonderlich lustig, eigentlich war es überhaupt nicht lustig, doch er wollte sie nicht weinen sehen.

Nachdem sie sich beruhigt hatte und die beiden nebeneinander auf seinem Bett saßen räusperte die sich plötzlich. "Wie hattest du dich entschieden? Um sie kämpfen oder es akzeptieren?" Ein Schmerz durchzog ihn. Er sah durch seinen Raum und grübelte. "Auf der Party war die Antwort so klar und eindeutig. Aber jetzt weiß ich nicht mehr genau. Ich will um sie kämpfen, aber sie soll ein glückliches Leben führen, ohne einen Problem-Macher wie mich. Ich will sie zu nichts drängen." Sie nickte und stand auf. "Du musst dich ändern, wenn du es ernst meinst. Danach wird es leichter, für euch beide." Sie streckte ihm die Hand hin, die er verwirrt nahm und Aufstand. "Und jetzt fängst du mit einem weiteren Schritt in Richtung Besserung an." Er hatte gar nicht bemerkt, dass sie ihre Jogginghose in eine Jeans gewechselt hatte und ihm wurde sofort klar, was sie vorhatte. Ihm klappte die Kinnlade herunter.

"Nein, das kannst du nicht von mir verlangen!" Er wusste genau, wo sie ihn hinschleppen wollte. "Ich gehe da nicht hin." Sie seufzte laut auf und schüttelte den Kopf. "Um endlich loszulassen, musst du dich damit auseinandersetzen." Sie schmiss ihn eine Hose zu, die auf seinem Fußboden lag. "Anziehen, Theresia, Helene und ich warten unten." Ohne ein weiteres Wort verließ sie sein Zimmer und er fing an sich umzuziehen. Gegen alle drei Schwestern hatte er keine Chance. Seit vier Jahren war er nicht mehr dort. Er brachte es einfach nicht übers Herz sie zu besuchen, die Blumen zu erneuern und einen Stein anzustarren, der ihre Gegenwart ersetzen sollte.

Bei ihnen angekommen lächelten sie ihn an. "Bereit?" Er schüttelte den Kopf, zog sich seinen Mantel an und öffnete die Tür. "Nein, aber das ist euch ja egal." Zu viert liefen sie aus dem Haus, Theresia nahm Helene in den Arm und Adalia lief neben Elias. "Dadurch hat alles angefangen. Wenn du dein Leben aufräumen willst, musst du ganz vorne beginnen." Adalia hakte sich bei ihm ein. "Na dann auf zum Friedhof."

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