19 Elias

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Ein sanftes Klopfen riss ihn zurück in die Realität. Die alte Holztür quietschte, als sie geöffnet wurde und Adalia sah zu ihm. Es war so weit. Sie würde gehen. Er nickte ihr zu, woraufhin sie eintrat und sich neben ihn setzte. Er legte seine Gitarre ab und sah zu ihr. Sie sah traurig aus, er wollte sie nicht erst in ein paar Monaten wiedersehen.
"Ich wollte dich nicht stören, das klang wunderschön." Er zuckte mit den Schultern, er hatte sich wieder in der Welt der Musik verloren. Sie war sein Zufluchtsort, hier konnte er jeder Emotion Freiraum geben, um etwas Neues zu erschaffen.

"Ich fahre gleich." Er nickte sanft und sah in den Spiegel, der gegenüber hing. Dort trafen sich ihre Blicke wieder, ihr huschte ein Lächeln über die Lippen. "Weißt du, ich habe mich immer gefragt, wie unser Leben verlaufen wäre, wäre Anniara noch hier." Er fing an zu Grinsen. "Wir hätten jeden Morgen gutes Frühstück." Die beiden brachen in schallendes Gelächter aus, beruhigten sich aber zügig wieder. "Wären wir zwei uns fremder? Würde es Theresia besser gehen? Hättest du diese wilde Phase überhaupt durchlebt, wenn sie an deiner Seite gewesen wäre? Welche Freunde hätten wir, wie viel Lebensfreude hätte sie uns wohl geschenkt?" Elias starrte auf die Kette, die an dem Spiegel hing.

"Es hätte mich treffen sollen." Er hörte ein Seufzen und spürte, dass Adalia ihren Arm um ihn legte. "Es hätte niemanden treffen sollen. Sie hat das nicht verdient, definitiv. Aber du hättest es genauso wenig verdient, nur bemerkst du das nicht, weil du nicht das Leben lebst, dass du dir erhoffst oder sie dir gewünscht hat. Dabei könntest du genauso Leben." In ihm zog sich alles zusammen.

"Nein, diese Phase hätte ich mit ihr definitiv nicht erlebt. Sie hätte mich zurück ins wahre Leben geholt, bevor ich richtig abdriften könnte." Adalia grinste und nickte. Er wusste, dass sie sich teils etwas Schuld zusprach, da sie nicht früh genug bemerkt hatte, auf welche Bahn er gerutscht war. Dabei war es allein seine Schuld und Entscheidung. "Genauso wie Beth es tun könnte." Adalia hielt inne und sah etwas peinlich berührt auf den Boden. Sie wollte es nicht aussprechen, das bemerkte er direkt. Ihr entwisch ein Seufzen und sie blickte zu ihm. "Sie hat dich da bereits einmal rausgeholt, sie hat etwas geschafft, dass sonst niemand geschafft hat." Er nickte vorsichtig, er wusste nicht, was er antworten sollte. Alles was ihm einfiel waren Lügen, doch er war müde vom Lügen. "Elias, du kannst so nicht weiter machen." Er nickte stumm, sie lag richtig mit allem, was sie nun sagen würde. Und er sollte endlich anfangen ihren Ratschlägen zu folgen und nicht mehr so impulsiv zu handeln.

"Ich denke ständig an sie. Sie ist mein einziger Gedanke, wenn ich nachts um drei wach bin, sie zu sehen macht mich glücklich. Ich träume fast jede Nacht von ihr. Ich will sie nicht verlieren, also bin ich lieber ein Außenstehender als ein Fremder." Adalia sah auf die Uhr und stand auf. "Du bist sonst doch auch immer so mutig und voreilig, nur bei ihr nicht. Willst du nicht lieber später einmal sagen, dass du es probiert hast und vielleicht die schönste Zeit deines Lebens erlebt hast? Oder bleibst du lieber bei einem »ich war zu feige«?" Es war, als würde ein Fels auf seiner Brust liegen und ihn erdrücken, er versuchte ruhig zu atmen und schüttelte sachte den Kopf.

Adalia signalisierte ihm, dass sie gehen müsste und er nickte. Mit aller Kraft stand er auf und lief hinter ihr her. Vom Rest der Familie hatte sie sich bereits verabschiedet, Helene und Theresia waren bereits weg, die Eltern waren arbeiten, nur Arvid und Elias waren da. Elias hatte beschlossen, sie an den Bahnhof zu fahren, damit sie es etwas einfacher hatte. Auf den Straßen war nicht viel los, die meisten waren bereits bei der Arbeit angekommen, weswegen es sich gut fahren ließ. Leise erklang Musik im Radio, welche er aber ausblendete. Er wollte Beth all das nicht noch einmal antun, doch Adalia hatte Recht. Er sollte es probieren. Hätte er damals nicht aufgegeben, hätte es auch funktionieren können. Vielleicht hätte es gehalten, vielleicht wäre sie nie weg gewesen.

"Danke." Adalia drückte ihn ein letztes Mal feste an sich und er schloss die Augen. Der Wind verwehte ihre Haare ein wenig, immer wieder liefen Menschen an ihnen vorbei. "Versprichst du mir, dass du auf Beth aufpasst?" Er drückte sie feste und nickte. "Das werde ich."

Ein wenig Liebe    ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt