29 Nora

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"Arvid?" Nora stellte den Staubsauger ab und klemmte sich das Handy zwischen Ohr und Schulter. "Hey, störe ich?" Er klang besorgt. Arvid rief sie nie an, allein deshalb wusste sie, dass etwas nicht stimmte. "Nein, was gibt es?" Sie setzte sich an den Esstisch, Kenneth sah sie vom Wohnzimmer ausfragend an. "Wie geht es Beth?" Nora seufzte. Von allen Fragen ausgerechnet die komplizierteste. "Schlecht. Also, komisch. Sie isst kaum, am liebsten würde sie sich entschuldigen, dass sie so böse zu ihm war. Aber sie ist sich sicher, dass das die Wahrheit war und dass es so am besten ist. Sturkopf eben." Arvid lachte leise auf. "Aber immerhin erzählt sie es dir." "Naja, ich Prügel es aus ihr heraus. Sorry, unangemessener Wortwitz." Sie schlug sich gegen den Kopf und verdrehte die Augen.

"Elias spricht mit keinem. Es ist so schlimm, dass ich kurz davor bin Adalia anzurufen." Nora schluckte schwer. "Scheiße." Arvid stimmte ihr zu. Sie wusste, dass Adalia nicht einfach herkommen könnte, doch Elias schüttete sein Herz nur ihr aus. Oder Beth. Wobei das gerade natürlich nicht möglich war. "Glaubst du, das wird wieder?" Sie hörte Arvid seufzen, Kenneth blickte neugierig zu ihr, doch sie winkte ab. Er müsse sich gedulden. "Seit sechs Tagen kein Wort. Nicht einmal das Schlagzeug oder die Gitarre." Nora stützte den Kopf ab und seufzte. Es klang übel. Das letzte Mal, als das der Fall war, fing das mit den Mädchen an. Das hatte Arvid ihr vor Ewigkeiten einmal erzählt.

"Ich weiß, das klingt vielleicht etwas seltsam, aber könntest du es mal probieren?" Nora verzog verwirrt das Gesicht. "Ich meine, du kennst Beths Lage am besten. Ich weiß, sie ist stur und du kannst nicht einfach alles erzählen was sie dir anvertraut, aber Elias braucht etwas. Ich weiß nicht, was sonst passiert, wirklich." Nora wippte mit dem Fuß und kaute auf ihren Fingernägeln herum, so wie sie es immer tat, wenn sie nervös war. "Ich- also ich kann es Mal probieren, aber ich garantiere für nichts." Sie hörte ihn erleichtert aufatmen und schmunzelte. Was ein Glück hielt er zu seinem Bruder. "Besser als nichts." Sie nickte und sah aus dem Fenster. "Aber selbst wenn, ich weiß nicht, wann mein Sorgenkind realisiert, was für eine sprechende Mülltonne sie ist." "Das war fies." Nora zuckte mit den Schultern. "Bei dem Müll, den sie erzählt und sich einredet, hat sie das verdient. Pessimistischer Realist." Arvid lachte leise auf. "Wann könntest du denn?" Nora sah zu Kenneth auf die Couch, er würde genervt sein, wenn sie gehen würde, es aber verstehen. "Jetzt?" "Jetzt."

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"Du bist ein Schatz Nora." Arvid schloss die Tür hinter ihr, sie zog die Schuhe aus. "Soll ich noch etwas zur Raubtierfütterung mitnehmen?" Arvid grinste und hielt ihr einen befüllten Teller hin. "Wenn er nicht will, futter du's ruhig." Sie nickte und lief mit dem Teller die Treppen nach oben. Sie kannte sich hier aus. Zwar war sie bloß einmal hier, jedoch hatte Arvid ihr erklärt, wem welches Zimmer war. Außer die Tür links von der Treppe, da schien niemand sein Zimmer zu haben. Vorsichtig klopfte sie an, bekam jedoch keine Antwort. Also öffnete sie die Tür einfach und lief in das Zimmer. Elias lag auf seinem Bett, leise lief Musik aus der Stereoanlage. Musik, die seine Gefühlslage beschrieb.

Etwas verwirrt setzte er sich auf und starrte sie an. "Ich weiß, »was zur Hölle macht die hier«, aber es gibt eben Menschen, die sich um dich Sorgen machen, Dumpfbacke." Er verdrehte die Augen, sie schloss die Tür und setzte sich ungefragt neben ihn. "Was willst du?" Er sah sie verwirrt an, sie schob ihm den Teller hinüber. Man sah ihm an, dass er kaum bis nichts aß, er hatte tiefe, dunkle Augenringe, seine Wunden zierten sein markantes Gesicht. "Ich will mit dir reden." Er lachte spöttisch auf. "Du bist doch nur die nächste, die mich fertig machen will." Sie zog die Augenbraue in die Höhe. "Wenn du so grantig bleibst, ja."

"Ich wollte ja Fragen wie es dir geht, aber wenn ich dich anschaue, habe ich die Antwort auf meine Frage schon." Er seufzte. "Ich brauche mir deine dämlichen Sprüche nicht zu geben. Hau ab." Sie grinste und nickte. "Vorschlag: Wir reden darüber, ich lasse die Sprüche. Gehen ist erstmal noch keine Option. Verstanden?" Er lehnte sich an das Kopfende und nickte. "Super. Willst du mir erst erzählen wie es dir geht oder soll ich zuerst Beth verpetzen?" Er drehte sich zu ihr, seine Augenbraue schoss in die Höhe. "Du würdest sie nie verpetzen." Nora nickte. "Also musst du anfangen." "Wieso sollte ich es dir erzählen?" Sie seufzte und lehnte sich ebenso zurück. "Weil ich weiß, dass es Beth genauso geht wie dir." Etwas verwirrt blickte er zu ihr, sie nickte.

"Wieso sollte sie? Sie hat es zu mir gesagt. Dass es nichts war außer ein Fehler. Dass sie nicht mich, sondern nur die Idee von uns geliebt hat." Er sah verletzt aus, sein Blick war auf die gegenüberliegende Wand gerichtet, er widmete Nora keine Aufmerksamkeit. "Ja, das versucht sie sich auch einzureden. Aber das stimmt nicht." Nora zog den Teller zu sich und aß ein Stück des Brownies.
"Ich will deine Taten nicht gutheißen, keinesfalls- du wolltest sie nur beschützen. Aber Beth ist kein kleines Kind mehr und du bist nicht ihr Beschützer, der alles zunichtemachen muss. Du kannst dich für sie einsetzen, damit zeigst du ihr, wie wichtig sie dir ist. Aber das ging zu weit, Elias. Deshalb ist sie dir sauer. Aber das, was sie dir gesagt hat, ist definitiv nicht wahr." Elias sah desinteressiert auf die Wand. Doch in seinen Augen erkannte sie den Schmerz.

"Ich merke, wie wichtig sie dir ist. Aber du darfst nicht alles riskieren. Irgendwann wird es zu viel, zu schlimm für sie." "Für Beth würde ich alles riskieren." Nora huschte ein Lächeln über die Lippen, er liebte sie so sehr. An Beths Geburtstag hatten die beiden diese Blicke ausgetauscht, so dass Beth ihr gar nicht erzählen musste, dass sie sich geküsst hatten. Es war ihr klar, Beths Lächeln hatte sie verraten. Auch davor, wenn sie mit Beth oder Kenneth telefoniert hatte, war ihr klar, dass das Feuer zwischen Elias und Beth nie ausgelöscht war. Die beiden hätten sich nie trennen sollen, sie waren perfekt füreinander. Sie ließen die schlechten Seiten des anderen verschwinden und brachten die beste Seite hervor.

"Also du glaubst, dass sie Gefühle für mich hat?" Er sah zu ihr, wie sie mit verschränkten Armen da lag und ihn belachte. "Wir alle wussten damals, dass sie dich mag, noch bevor sie uns davon erzählte. Vielleicht sogar, bevor sie es selbst wusste. Man konnte es in ihren Augen sehen, der Art wie sie sich ansah. Es war, als wäre sie ein Kind, das zum ersten Mal die Sonne sehen würde. Es war offensichtlich, selbst für uns, in diesem jungen Alter. Ihr funkeln in den Augen, wenn du sie zum Lachen gebracht hast - es war dieses Funkeln, auf welches die meisten ihr gesamtes Leben lang warten. Einige haben sie damit geärgert. Aber in Wahrheit ist es die Sehnsucht, solch einen Moment mit solch einer besonderen Person zu erleben, die diese Eifersucht aufkochen lässt. Wir wollten alle so lieben und geliebt werden wie ihr euch geliebt habt." Elias schluckte schwer und sah an die Decke. Er hatte Tränen in den Augen, das erkannte sie. "Und dieses Funkeln, dieses Glück, dass ihr euch gefunden habt- das ist noch nicht vorbei. Es wird euch immer begleiten, wie schwer es auch wird. Sie kann so oft wie sie will die Liebe zu dir vergraben, doch sie wird immer wieder auferstehen, zurückkommen. Bis du ihr zeigst, dass du sie so lieben kannst, wie sie es sich erhofft. Und du weißt, dass du es kannst, ohne dich zu verstellen." Er zog eine Augenbraue in die Höhe und lachte. "Nein, wirklich. Sei du, nur 50% weniger aggressiv." Die beiden fingen an zu lachen.

"Weißt du, Beth bleibt. Sie hat den Job angenommen." Seine Augen wurden riesig, er drehte sich zu ihr und fing an zu Grinsen. "Wirklich? Wann?" Sie lehnte den Kopf an das Kopfende und schmunzelte. "Vor dem Vorfall schon. Sie hielt es geheim." Sein Lächeln wurde geringer, doch er freute sich immer noch. "Und das lag vielleicht auch ein wenig an dir." Er runzelte die Stirn. "Ich weiß ja nicht." "Aber ich. Du warst- tut mir leid, wenn ich dein Selbstbewusstsein damit ankratze- nicht der ausschlaggebende Punkt. Beth wollte sich nicht wegen einer Person für oder gegen etwas entscheiden, sie ist selbständig und selbstbewusst, aber sie hat trotzdem an dich gedacht, als sie die Entscheidung getroffen hatte." Wie ein Idiot grinste er in sich hinein, versuchte aber verzweifelt cool zu bleiben. Was kläglich scheiterte. "Gibs auf Elias." "Was?" "Das cool sein. Du bist kein kalter Brocken, der sich in seiner Freizeit mit Mädels vergnügt. Du bist ein gebrochener Junge, der sich sehnsüchtig nach Liebe und Geborgenheit sehnt, diese Unsicherheit aber mit Partys und Sex ertränken will." "Fies." Sie schüttelte den Kopf. "Wahr."

"Weißt du, du musst mir gar nicht erzählen, warum du so bist, nur vor Beth solltest du keine Geheimnisse haben." Er lachte und zog die Augenbrauen hoch. "Sie weiß es schon seit Jahren." Nora schnappte gekränkt nach Luft und hielt sich die Hand ans Herz. Die beiden grinsten und Elias zog besserwisserisch die Augenbrauen hoch.

"Also, fress das alles nicht so in dich herein, ja? Mach Musik, sing und Spiel dir die Seele aus dem Leib oder so. Oder noch besser, geh einen Schritt auf Beth zu." Sie wackelte mit den Augenbrauen, er lehnte lässig am Türrahmen und nickte. "Wobei, ich geb dir am besten Bescheid, wenn Beth es endlich verstanden hat. Der Sturkopf braucht vielleicht noch ein paar Tage." Elias nickte und seufzte. "Danke Nora." Er lächelte sie sanft an und sie nickte. "Gerne doch Elias." Sie nahm ihn in den Arm und drückte ihn sanft, auch er erwiderte die Umarmung. "Bis bald."

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